Datenschützer: Unschuldige in der Mühle der Rasterfahndung

Bei der Rasterfahndung sind nach Ansicht des baden-württembergischen Landesdatenschutzbeauftragten die meisten Menschen zu Unrecht ins Visier der Polizei geraten.

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  • dpa

Bei der Rasterfahndung nach mutmaßlichen Terroristen sind in Baden-Württemberg die meisten Menschen zu Unrecht ins Visier der Polizei geraten. "Rund 60 Prozent der angelieferten Datensätze entsprachen nicht den Kriterien, die das Landeskriminalamt seinen Anordnungen für die Rasterfahndungen zu Grunde gelegt hatte", sagte der neue Landesdatenschutzbeauftragte Peter Zimmermann am Montag in Stuttgart. "Mit ein bisschen mehr Mühe hätten die überschüssigen Daten schon bei den meisten der 300 angeschriebenen Behörden herausgefiltert werden können", kritisierte Zimmermann bei der Vorlage seines ersten Jahresberichtes im neuen Amt.

Der oberste Datenschützer des Landes fordert ein schnelles Ende der Rasterfahndung, mit der die Polizei islamistischen Gewalttätern und so genannten Schläfern seit dem 11. September 2001 auf die Spur kommen will. "Dass es jetzt Hals über Kopf gehen muss, verlangt niemand", schränkte Zimmermann ein. Die Rasterfahndung dürfe aber auch nicht zur Daueraufgabe des Landeskriminalamtes auswachsen.

Wie bereits sein Vorgänger forderte auch Zimmermann Datenschützer auf den unteren Ebenen der Verwaltung. Dies sei gerade bei großen Städten wie Stuttgart und Mannheim, Baden-Baden, Karlsruhe und Ulm nach wie vor nicht vorgesehen oder umgesetzt, sagte Zimmermann, der vor einem Monat das Amt des Landesdatenschutzbeauftragten von Werner Schneider übernommen hatte. "Offenbar tut man sich äußerst schwer damit, das 'ungeliebte Kind' aus der Taufe zu heben", vermutete Zimmermann.

Der baden-württembergische Innenminister Thomas Schäuble will dieses Anliegen unterstützen: "Damit kann die öffentliche Verwaltung Belange des Datenschutzes unmittelbar vor Ort regeln und den örtlichen Gegebenheiten anpassen."

Vor allem die baden-württembergischen Behörden könnten nach Ansicht Zimmermanns beim Datenschutz "noch manches verbessern". Er wolle sich deshalb in seiner Arbeit auf die Beratung und Fortbildung der Verwaltung in diesem Bereich konzentrieren. "Wenn Protokolle über Schwangerschaftskonfliktberatung oder Geburtsurkunden und Sozialdaten im großen Stil einfach weggeworfen werden, zeigt das, dass vielen Behördenmitarbeitern der Datenschutz immer noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist", kritisierte Zimmermann. Ein Bürgerdienst der Stadt Mannheim habe einen unverschlossen auf dem Bürgersteig abgestellten Bauschuttcontainer randvoll mit Aktenvermerken, Behördenbescheiden und Auszügen aus Geburtsbüchern gefüllt.

Die Gemeinden warnte Zimmermann, bei ihren Auftritten im Internet "nicht über das Ziel hinauszuschießen". Teilweise seien Sitzungsunterlagen des Gemeinderates mit persönlichen Daten von Bürgern auf der Internetseite der Kommune veröffentlicht worden. Zimmermann äußerte auch Zweifel am Datenschutz der so genannte Webcams, die aktuelle Bilder von Fußgängerzonen oder Bürgerbüros auf die Datenautobahn übertragen.

Nach Ansicht Zimmermanns muss außerdem die derzeit getrennte Aufsicht für den öffentlichen und nicht-öffentlichen Datenschutz zusammengelegt werden, um Arbeit zu erleichtern. "Wenn die leeren öffentlichen Kassen dazu beitragen, diese längst überfällige, kostengünstige Neuorganisation endlich umzusetzen, wäre dies nur zu begrüßen", sagte Zimmermann. Beide Aufgabenbereiche werden gegenwärtig getrennt durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz und das Innenministerium wahrgenommen.

Die Grünen bezeichneten die Forderung als "richtig und vernünftig" und forderten von der Landesregierung einen Gesetzentwurf, "nachdem entsprechende Anregungen der Grünen bereits seit zehn Jahren missachtet werden". Auch die oppositionelle SPD verlangte eine Fusion und schlug zudem erneut vor, das Amt des Datenschutzbeauftragten künftig beim Landtag anzusiedeln. Der Datenschutzexperte der SPD-Landtagsfraktion, Claus Wichmann, bezeichnete dies als "Befreiungsschlag aus der fürsorglichen Belagerung des Innenministeriums". (dpa) / (anw)