"Der Kunstmarkt hat sich dramatisch verändert"

Ein Markt für Investoren: Russische Oligarchen und reiche Chinesen kaufen die Galerien leer und machen Kunst zur bedeutungslosen Ware. Warum gerade Elton John im Kontrast dazu ein Lichtblick ist, verrät der Kunstsammler Gerhard Steidl im Interview.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • dpa

Noch vor 100 Jahren galt Fotografie nicht als Kunst, sondern diente meist dazu, die Familie oder die Besitztümer im Bild festzuhalten. Der Steidl Verlag in Göttingen bringt mittlerweile jährlich 200 Fotografiebuch-Titel heraus, Inhaber Gerhard Steidl zufolge ist dies das größte Fotobuch-Programm weltweit. Der Fotokunst-Experte beobachtet, wie die Preise sowohl für junge Talente als auch für Altmeister auf dem Kunstmarkt explodieren. Für ihn ist Popstar Elton John der wichtigste Sammler von Fotografie.

Im vergangenen Jahr wurde ein Bild des Fotokünstlers Andreas Gursky für umgerechnet 3,4 Millionen Euro versteigert. Welchen Stellenwert hat Fotografie mittlerweile auf dem Kunstmarkt?

Gerhard Steidl: Der Kunstmarkt hat sich dramatisch verändert, er ist ein Markt für Investoren geworden. Russische Oligarchen oder reiche Chinesen – das sind inzwischen die wichtigsten Käufer – entscheiden, dass Fotografie zu ihrem Investment-Portfolio gehört und kaufen buchstäblich die Galerien leer. Die Werke werden dann eingelagert. Ihr einziges Interesse ist, sie irgendwann gewinnbringend zu
verkaufen.

Sind die Sammler aus Leidenschaft mittlerweile in der Minderheit?

Steidl: Es gibt auch seriöse Sammler der Fotografie, der wichtigste ist für mich Elton John. Er sucht in Galerien weltweit persönlich die besten Stücke aus. Elton John sammelt mit Leidenschaft und Geschmack für sich selbst, das sind die wertvollen Sammler. Wir reden schon seit Jahren darüber, dass wir Bücher über seine Sammlung machen wollen.

Was sind Ihre Lieblingsfotografen der Gegenwart?

Steidl: Wenn es nach meinem persönlichen Geschmack geht, dann der Amerikaner Lewis Baltz und der Kanadier Robert Polidori. Von den jüngeren Fotografen die Inderin Dayanita Singh, der Deutsche Juergen Teller und der Amerikaner Alec Soth. Der wichtigste Fotograf überhaupt ist der 87-jährige Robert Frank, der mit seinem 1959 erschienenen Buch "The Americans" die Blaupause für den Typus des modernen Fotobuchs gegeben hat.

Die Digitalisierung hat das Fotografieren erleichtert. Bewerben sich bei Ihnen mehr Fotokünstler als früher?

Steidl: Vor zehn Jahren habe ich pro Jahr 20, 30 Angebote bekommen, jetzt sind es 700 bis 800, aber davon sind höchstens zehn zu verwenden. Das hat vielleicht damit zu tun, dass jeder meint, er könne mit einem Fotobuch Geld verdienen und berühmt werden. Es ist aber ein Unterschied, ob ein Fotograf oder eine Fotografin fünf bis zehn Jahre an einem Thema arbeitet und feilt oder ob jemand Fotos von 14 Tagen zusammenstellt und als Buch drucken lassen möchte. Die Qualität der Angebote sinkt, doch das bringt uns nicht um. Es gibt ja riesige Archive aus dem 19. und 20. Jahrhundert, und es sind immer wieder Entdeckungen zu machen wie der Münchner Fotograf Robert Voit oder der in London lebende Axel Hoedt. (ssi)