Der Sündenbock freut sich

Wegen der zeitweise verschwundenen Liste potentieller griechischer Steuersünder muss sich nun nach einer tumultösen Parlammentssitzung der ehemalige Finanzminister Giorgos Papakonstantinou vor einer strafrechtlichen Kommission verantworten

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Die schier endlose Geschichte um eine zeitweise verschwundene Liste potentieller griechischer Steuersünder hatte gestern ein parlamentarisches Nachspiel. Für den ehemaligen Finanzminister Giorgos Papakonstantinou hat sich daraus eine juristische Konsequenz ergeben. Er muss vor den Kadi.

Es ging darum, ob sich die in die Affäre verwickelten ehemaligen Finanzminister Giorgos Papakonstantinou und Evangelos Venizelos vor einer strafrechtlichen parlamentarischen Kommission verantworten müssen. Zusätzlich dazu waren die früheren Premierminister des Landes, Giorgos Papandreou und Loukas Papademos, als politische Vorgesetzte der beiden angeklagt.

Das gesamte Verfahren lief gemäß der in Griechenland geltenden Gesetzgebung für die Verantwortlichkeit von Ministern in der 2003 federführend von Evangelos Venizelos ausgearbeiteten Form ab. Gemäß diesem auch in der Verfassung verankerten Regelwerk können Minister und Abgeordnete für Vergehen im Amt nur vom Parlament selbst angeklagt und nach erfolgter Verurteilung der Justiz übergeben werden. Für einen Strafantrag sind eine entsprechende Verdachtsäußerung der Staatsanwaltschaft samt einem Antrag von mindestens dreißig Abgeordneten erforderlich. Nach zwei Sitzungsperioden des Parlaments ist eine Strafverfolgung nicht mehr möglich.

Den Antrag gegen Papakonstantinou, dem unter anderem die Streichung aus der Liste von drei seiner Verwandten vorgeworfen wird, trugen im Prinzip alle Parteien. Er wurde von den drei Regierungskoalitionspartnern Nea Dimokratia, PASOK und DIMAR eingereicht. Gegen Papakonstantinou und Venizelos wollte SYRIZA vorgehen. Die Anklage gegen alle vier Beteiligte wurde von den Unabhängigen Griechen eingereicht und seitens der Chryssi Avgi unterstützt. Die Kommunistische Partei reichte als einzige Partei keinen eigenen Antrag ein.

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Giorgos Papaconstantinou hat es halt vegessen. Bild: W. Aswestopoulos

Nach einer von zahlreichen Tumulten begleiteten Mammutsitzung, die um 10 Uhr morgens begann und die sich bis nach Mitternacht hinzog kam es erst um viertel nach Zwei zur Bekanntgabe eines Abstimmungsergebnisses. Für die strafrechtliche Untersuchung Giorgos Papakonstantinous stimmten 265 Abgeordnete, im Fall Evangelos Venizelos waren es 124, bei Giorgos Papandreou 80 und bei Loukas Papademos 63. 151 Stimmen sind für eine weitere Untersuchung einer Anklage erforderlich.

Kurz vor Beginn der Abstimmung wurde, wie ein Klischee bei einem typischen Fernsehkrimi, seitens der Finanzstaatsanwälte ein neues Schriftstück als Beweisstück für die Untersuchung der Affäre eingereicht. Die einhundertzwanzig Seiten wurden seitens des Parlamentspräsidiums angenommen, jedoch nicht als Grundlage für eine Verschiebung der Abstimmung zugelassen. Im Laufe des Freitags sickerte durch, dass die darin enthaltenen Aussagen und Dokumente zahlreiche bislang unbekannte Details des Skandals beleuchten.

Anzumerken ist, dass vier verschiedene Urnen aufgestellt wurden. Jede Urne stand für einen der Anträge sowie für eine der angeklagten Personen. Die erste Urne betraf Papakonstantinou, die zweite Venizelos, die dritte Papandreou und die vierte Papademos. Somit war jedem klar, dass jemand, der nicht in alle Urnen einen Stimmzettel einwarf, auf keinen Fall für eine Verurteilung der nicht bedachten Personen gestimmt hat. Der Umkehrschluss ist nicht möglich, weil in die Urnen auch Enthaltungen und Verneinungen eingeworfen werden durften.

Die gesamte Opposition sah in diesem Verfahren eine Methode, die verfassungsmäßig vorgeschriebene geheime Abstimmung auszuhöhlen. Sie warf der Regierung vor, dass sie damit ihre eigenen Parlamentarier unter Druck setze. Tatsächlich stimmten bis auf eine Ausnahme die Abgeordneten der PASOK nur für die Verurteilung Papakonstantinous. Seitens der Nea Dimokratia gingen 85 von 125 Abgeordneten an alle vier Urnen und einer an zwei (den Vorschlägen für Papakonstantinou und Venizelos), die übrigen 38, darunter auch Premier Antonis Samaras, würdigten demonstrativ nur die erste, ihre eigene Option. Samaras begründete seinen Schritt damit, dass er als Abgeordneter und nicht als Premier an der Abstimmung teilgenommen habe. Zahlreiche Abgeordnete waren mit der Komplexität des Verfahrens so überfordert, dass sie ungültige Stimmen abgaben und schlicht falsche Namen in falsche Urnen einwarfen.

Papakonstantinou nahm seine "Vorverurteilung" unerschüttert an. Er hatte bereits mehrmals betont, dass er nicht gedenke, die Iphigenie für die Rettung der Regierung spielen zu wollen. Er deutete an, dass vor allem sein Nachfolger im Amt, Venizelos, erhebliche Beiträge zur Vertuschung der Steuerhinterziehung geleistet habe. Papakonstantinou meinte, er freue sich darauf, seine Unschuld zu beweisen.

Vollkommen ohne Freude aber mit erheblicher Wut gestaltete Venizelos seine Verteidigungsreden. Er goutierte nicht, dass man es wagte, ihn vor einen Untersuchungsausschuss zu zerren und drohte damit, im Fall seiner Verurteilung die Regierung zu stürzen. Im Zusammenhang mit seiner Apologie begründete Venizelos die Tatsache, dass er monatelang die Liste bei sich zu Hause unter Verschluss hielt: "Ich habe auch die geheimen Verteidigungspläne der Landes zu Hause in Form einer elektronischen Kopie in meinem Archiv, denn diese nahm ich aus dem Verteidigungsministerium mit, als ich es verließ." Venizelos meint, dass dies allgemein Usus aller Minister sei und sieht in seinem Verhalten nichts Verwerfliches. Vielmehr nimmt Venizelos sich seiner eigenen Aussage gemäß als personifizierten Garanten für die Stabilität des Landes wahr.

Die Opposition wertete sein Verhalten als Verstoß gegen das Geheimhaltungsgebot. Ein Arzt aus Chalkida reichte noch am Freitagmorgen eine Anzeige wegen des Verdachts auf den Verrat staatlicher Geheimnisse gegen Venizelos und "die übrigen von Venizelos erwähnten" Minister ein.

Schließlich bleibt für die Statistik festzuhalten, dass fünf Abgeordnete dem Schauspiel unentschuldigt fern blieben. Christine Lagarde, IWF-Chefin und Urheberin der nach ihr benannten Liste, um die es ging, äußerte sich parallel zur Abstimmung in einem Fernsehinterview über das Schicksal ihrer Liste. Sie sieht im gesamten Prozedere eine rein innergriechische Angelegenheit.