Deutsche Astrophysik will Aktivitäten in der Lausitz bündeln

Der Strukturwandel in der Lausitz rückt die Region in den Fokus der Forschung. Wissenschaftler wollen hier die Aktivitäten der deutschen Astrophysik bündeln.

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(Bild: faboi/Shutterstock.com)

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Von
  • Jörg Schurig
  • dpa
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Eines haben die Lausitz und das Universum gemeinsam: schwarze Löcher. Doch während die Tage des Kohleabbaus gezählt sind und seine Wunden geschlossen werden sollen, gilt es die Löcher im All erst noch zu erforschen. Wenn der Astrophysiker Christian Stegmann über Forschungsbedingungen in der Lausitz spricht, merkt man ihm seine Begeisterung an. "Astronomie und Astrophysik in der Lausitz wären aus verschiedenen Grünen ideal. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein erfolgreicher Strukturwandel eine langfristige Vision braucht", sagt der 56 Jahre alte Professor, Direktor des Bereichs Astroteilchenphysik beim Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy).

Stegmann nennt Astronomie die "demokratischste" aller Wissenschaften. "Wenn wir abends in den Himmel schauen, machen wir im Grunde schon Astronomie. Jeder kann mitmachen. Der Zugang zu dieser Wissenschaft ist so viel einfacher als bei anderen Disziplinen", meint der Forscher. Astronomie löse praktisch bei allen Menschen Begeisterung aus. Momentan boome die Astrophysik geradezu.

Doch anders als in anderen Wissenschaftsbereichen gebe es noch kein Deutsches Forschungszentrum für Astrophysik (DZA). "Wir wollen, dass es im Osten Deutschlands entsteht, in der Lausitz", sagt Stegmann. Forschungseinrichtungen seien ein Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung. Er ist überzeugt, dass auch die Bevölkerung der Lausitz hinter dem Vorhaben steht. Das DZA gehört zu den Vorhaben, die es ins Finale für die beiden sächsischen Großforschungszentren (GFZ) des Bundes und Landes im Zuge des Kohleausstiegs geschafft haben.

Bis Ende April müssen die Bewerber ihre Ideen ausarbeiten, im Sommer fällt die Entscheidung. Das Mitteldeutsche Revier bei Leipzig und der sächsische Teil der Lausitz bekommen je ein GFZ. Damit ist eine große Chance verbunden. Stegmann rechnet mit einem Jahresetat von 170 Millionen Euro, mindestens 1000 direkten Arbeitsplätzen in Handwerk, Technik und Wissenschaft sowie einem Faktor drei bis vier an weiteren Jobs. Bis 2038 stehen dafür bis zu 1,2 Milliarden Euro bereit. Es wäre die größte Investition aller Zeiten für die strukturschwache Region und würde sie auch international ins Blickfeld rücken.

Die GFZ sollen in den Kohlegebieten einen Prozess der Transformation anstoßen, sagt Sachsens Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU). Unter anderem an dieser Anforderung müssten sich Bewerber messen lassen. "Auf dem Feld der Wissenschaft geht es darum, zwei neue Forschungstanker zu schaffen." Aus der Entwicklung Sachsens in den vergangenen 30 Jahren könne man gut ablesen, will hilfreich das war. "Die erreichte Wertschöpfung und Lebensqualität hat viel damit zu tun, dass wir stark in Wissenschaft und Forschung investiert haben."

"Die Astrophysik übt eine große Faszination auf die Menschen aus. Wir befinden uns in einer goldenen Phase, in der die Entdeckungen geradezu auf uns herunterregnen", erklärt Günther Hasinger, Wissenschaftschef bei der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), in einem Video des Projekts. Die Hälfte der Nobelpreise in Physik seien im letzten Jahrzehnt für Themen der Astrophysik vergeben worden.

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"Mit dem Zentrum für Astrophysik wollen wir mehrere Komponenten umsetzen", sagt Stegmann. Diese Disziplin bringe brillante Köpfe aus der ganzen Welt zusammen. Konkret besteht das Konzept aus drei Säulen. Zum einen sollen Datenströme verschiedener astronomischer Observatorien weltweit in Sachsen zusammenlaufen. "Das bringt Ideen für Technologien und damit wirtschaftliche Impulse. Wir empfangen mit den Radioteleskopen Datenmengen, die das jetzige Internet in den Schatten stellen. Mit diesen Datenmengen muss man umgehen." Dafür seien Ideen für neue Computer und Softwareentwicklung erforderlich. Die Nähe zum Silicon Saxony in der Region Dresden passe da sehr gut.

Teil zwei des Konzepts betrifft ein Technologiezentrum, das etwa neue Halbleiter-Sensoren und Silizium-Optiken für Observatorien entwickeln soll. Die dritte Komponente hat geradezu kosmische Dimensionen. 200 Meter unter der Erde soll das "Einstein-Teleskop" entstehen, ein schon geplantes europäisches Großprojekt unabhängig vom Strukturwandel in den Kohlegebieten. Das Teleskop soll in einem Tunnelsystem in Form eines Dreiecks mit je zehn Kilometern Kantenlänge Gravitationswellen messen – und so neue Einblicke ins Universum ermöglichen. An jedem Eckpunkt des Dreiecks sind Labore im Untergrund geplant.

"Die Lausitz sitzt auf einem Schatz, das ist 200 Meter unter der Erde ein großer Granitstock mit einem Durchmesser von 20 Kilometern", berichtet Stegmann. Der Stock sei ungebrochen und garantiere die für solche Forschungen erforderliche Ruhe. Auch eine Region in Sardinien und eine Gegend in den Niederlanden gelten als mögliche Standorte für das Projekt. Die Lausitz kommt nun als dritter Kandidat dazu.

Stegmann hält den Standort für ideal: in der Mitte Europas, mit Anknüpfungspunkten zu Universitäten, Wirtschaft und Technologie, das Know-how vor Ort, die Bergbautradition der Region und das Granitgestein. Sollte die Lausitz nicht den Zuschlag erhalten, werde man hier trotzdem ein Untergrundlabor errichten: "Wir reden bei der Ansiedlung des DZA nicht von ein paar Jahren, sondern Jahrzehnten. Diese Gegend wird sich so nachhaltig verändern. Wenn uns das gelingt, schaut die Welt auf die Lausitz."

(mho)