Die Macht im Internet

Die Frage nach der Gestaltung der Zukunft der Informationsgesellschaft hat den Vereinten Nationen den größten Gipfel in ihrer Geschichte beschert. Der Zugang zu Informationstechnik und weltweitem Netzwerk ist ein Gut, das ökonomische Entwicklung und Meinungsfreiheit garantieren soll. Die Kontrolle über das Internet aber wollen die USA behalten.

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Von
  • Monika Ermert
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Vorbei sei die Zeit, in der man gefragt wurde, ob die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Wasser nicht erst einmal wichtiger als Internet-Zugang wäre, kommentierte ein Mitarbeiter des deutschen Bundesministeriums für Zusammenarbeit und Entwicklung die Diskussionen auf dem zweiten UN-Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) in Tunis. Der Zugang zu Kommunikationsinfrastruktur und -medien sei ein essenzielles Gut, für das Nutzer in armen Ländern inzwischen auf anderes verzichteten und unter Umständen sogar ihr Leben einsetzten.

Der Frage, wer die Aufsicht über das Internet, die Netzverwaltung ICANN und damit über das Domain Name System (DNS) mit seinen 13 zentralen Root-Servern und über das weitgehend autonome System der IP-Adressvergabe ausüben darf, rückte in Tunis ins Zentrum der Auseinandersetzung. Alle Welt erkannte offenbar plötzlich, dass im angeblich so anarchischen System einige Dinge ziemlich klar geregelt sind: Änderungen im DNS zum Beispiel - sei es ein neuer Nameserver für die .de-Adresszone, die Einsetzung eines neuen Operators für die Domain .cd oder die Einführung neuer Adresszonen wie .xxx - müssen vom Handelsministerium in den USA beziehungsweise dessen nachgeordneter Behörde, der National Telecommunication and Information Administration (NTIA) durchgewinkt werden.

Diese Oberaufsicht muss auch so sein, fand die US-Seite, und verteidigte ihre Rolle gegen die Ansprüche aus Entwicklungsländern bis zuletzt - bis der pakistanische UN-Botschafter Masood Khan am 15. November nachts gegen zehn Uhr den Hammer auf den Konferenztisch im Palais d’Exposition in Tunis fallen ließ. US-Botschafter David Gross und der Chef der NTIA triumphierten: Ein neues Aufsichtsgremium internationaler Regierungen sei vermieden worden. „Ich gehe jetzt wieder an meine Arbeit, ohne mir weiter Sorgen zu machen über eine zusätzliche Aufsicht auf irgendeinem Level“, polterte NTIA-Chef Michael Gallagher und nannte die Debatten beim WSIS „einen ersten Trainingskurs“ für die Welt in Sachen Internet. Das als Kompromiss vereinbarte neue Internet Governance Forum (IGF) habe den privaten Institutionen wie der ICANN, die sich ums Netzmanagement kümmern, nichts zu sagen - und natürlich noch viel weniger den USA. Zugeständnisse habe man nicht machen müssen. Stattdessen habe man die US-Position auf voller Linie durchgesetzt gegen den Rest der Welt.

Die EU, die unter dem Verweis auf eine Vermittlerrolle zu den aufbegehrenden Entwicklungsländern von Brasilien bis China ein „neues Modell für die Zusammenarbeit“ internationaler Regierungen vorgeschlagen hatte, warf sich dagegen selbst in Siegerpose: EU-Vertreter einschließlich der gegen die US-Sonderrolle wetternden Kommissarin Vivianne Reding verwiesen zum einen auf das Forum, das über alle politischen Fragen des Internet von Cybercrime über Spam bis DNS beraten soll, zum anderen hoben sie zwei Neuregelungen hervor. „Länder sollten nicht in die Entscheidungen anderer Länder über deren nationale country code Top Level Domain (ccTLD) eingreifen“, heißt es zum einen in den Gipfel-Dokumenten - ob das nun allerdings heißt, dass sich die NTIA aus Nameserver-Änderungen von ccTLD-Betreibern heraushalten soll, konnte vorerst niemand sagen. Zum anderen wird gleich in mehreren Paragraphen betont, dass „alle Regierungen gleichberechtigt die Rolle und Verantwortung für die Stabilität, Sicherheit und Kontinuität des Internet“ übernehmen sollen. Dazu bedürfe es einer „verbesserten Zusammenarbeit“, damit alle Regierungen globale politische Fragen zum Netz mit entscheiden können. Die bestehenden Internetverwaltungsorganisationen werden aufgerufen, dafür die Grundlage zu schaffen. Kofi Annan höchstpersönlich soll diesen Prozess in Gang setzen, ganz genauso wie das geplante Forum.

Kurzfristig, sagte ein französischer Delegierter der EU-Verhandlungstruppe, hätten die USA also erst einmal gewonnen. Aber schon mittelfristig sehe es anders aus; „der Funke ist entzündet“, meinte ein brasilianisches Verhandlungsmitglied. Bei dem für den kommenden Sommer geplanten Forumstreffen geht die Debatte also weiter. Genau so sehen das auch die Experten des Internet Governance Project. Deren Kopf, US-Professor Milton Mueller, sagte nach der Einigung in Tunis: „Die USA können einen kurzfristigen Sieg für sich in Anspruch nehmen, müssen sich aber auf einen langen Belagerungszustand gefasst machen, der ihre Position langsam erodieren wird.“

Die so farbenprächtig zelebrierte Debatte um die „Macht im Netz“ hat nach Ansicht anderer Gipfelteilnehmer allerdings vor allem eines bewirkt: Sie hat vom eigentlichen Hauptziel des Gipfels abgelenkt, der Strategie, eine Informationsgesellschaft für alle zu realisieren. „Anstatt über bezahlbaren Zugang für alle zu sprechen, haben wir dadurch einen von den Ländern des Nordens dominierten Dialog über die Verwaltung des DNS bekommen“, kritisiert Mike Jenkins vom kanadischen International Deve-lopment Research Center (IDRC), Kenner der Telecom- und Internet-Szene in Afrika.

Bezeichnend für Jenkins ist dabei, wie dankbar manch ein Staatschef des Südens, etwa Simbabwes Diktator Robert Mugabe, das Thema US-Dominanz aufgriff, anstatt die Probleme des eigenen Landes zur Diskussion zu stellen. In Simbabwe kostet eine Satellitenlizenz laut Jenkins 70 000 US-Dollar, damit hält die Regierung alternative Betreiber aus dem Markt. Der Zugang zu den Kommunikationsnetzen sei aber heute kein technisches oder Infrastrukturproblem mehr. Viele Regierungen ließen sich mit der Liberalisierung Zeit, da sie selbst an den Monopolnetzbetreibern beteiligt seien. Andererseits, betonte Jenkins, gibt es auch die Fälle, dass neue Betreiber - auch aus dem Westen - sich den Markteintritt durch eben diesen Schutz versüßen lassen. In Uganda habe genau das etwa die Telekom-Tochter Detecon getan.

Man müsse verhindern, dass die Zugangspolitik für das geplante Ostafrikanische Unterseekabel (East African Submarine Cable System, EASSy) den beteiligten Telekomunternehmen überlassen werde, sagte Jenkins. Wie beim SAT-3-Kabel habe man sonst mit Zugangspreisen für alternative Anbieter zu rechnen, die zehnmal höher liegen als für Satellitenbandbreite. Mit 17 000 Dollar pro Monat für eine Leased Line verdienen die SAT-3-Betreiber unter Leitung der südafrikanischen Telkom eine schöne Stange Geld, sagt Romeo Bertolini vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Eine Leased Line von Großbritannien in die USA koste gerade einmal 250 Dollar pro Monat. Ein Hoffnungsschimmer sei daher, dass sich bei den potenziellen Geldgebern von EASSy, angefangen von Nepad bis zur Weltbank und nationalen Entwicklungshilfeinstitutionen wie dem BMZ, die Überzeugung durchsetze, dass die finanzielle Unterstützung von einer offenen Zugangspolitik für das Glasfaserkabel abhängig gemacht werden soll.

Beine machen könnte den Festnetzbetreibern die mobile Konkurrenz: 10 Prozent der Bevölkerung in Afrika telefoniert bereits mobil. Anbieter wie Nokia zeigen dabei, dass kluge Geschäftsmodelle beiden Seiten dienen: Um den Minibudgets von Kunden in Entwicklungsländern Rechnung zu tragen, hat das Unternehmen ein System entwickelt, mit dem Prepaid-Konten durch eine SMS vom Händler an der Straßenecke aufgeladen werden können. „Kunden in ärmeren Ländern haben vielleicht heute 50 Cent und in drei Tagen vielleicht wieder 50 Cent,“ sagt Jussi Siltanen, System Marketing Manager bei Nokia. Noch aber müssen auch im Mobilfunk die Gebühren nach unten gehen.

Während die Regierungen und Unternehmen im Palais d’Exposition über die Informationsgesellschaft der Zukunft berieten und ihre Machtkämpfe austrugen, setzten sich tunesische Bürgerrechtler in der Hauptstadt für das Recht ein, überhaupt Zugang zu Informationen zu bekommen. Seit 18. Oktober waren sieben Anwälte, Richter und Journalistenvertreter im Hungerstreik, um auf die Scheindemokratie im Land aufmerksam zu machen. Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (Non-governmental Organizations, NGO) veröffentlichten lange Listen von Webseiten, die für den tunesischen Nutzer nicht erreichbar sind.

Doch bei solchen Filteraktionen allein blieb es nicht beim Gipfel in Tunis. Der Libération-Journalist Christophe Boltanski wurde nach einem kritischen Bericht über eine Demonstration zugunsten der Hungerstreikenden im Botschaftsviertel überfallen, belgische Journalisten daran gehindert, Repressalien für NGOs durch die Sicherheitskräfte zu dokumentieren. Der Präsident der Journalistenorganisationen Reporter ohne Grenzen, Robert Menard, wurde erst gar nicht ins Land gelassen. Den deutschen UN-Botschafter, der ein Treffen zwischen den tunesischen Bürgerrechtsorganisationen und westlichen NGOs im Goethe-Institut in Tunis ermöglichen wollte, blockierten Beamte in Zivil. Die Schweizer Delegation, die sich auf dem Gipfel äußerst kritisch zu den Vorgängen geäußert hatte, wurde von regierungsoffiziellen tunesischen Journalisten wüst beschimpft.

Der vor den Toren des offiziellen Gipfels geplante Bürgergipfel musste schließlich abgesagt werden. Die Nichtregierungsorganisationen, unter ihnen die beim UN-Weltgipfel aktive Heinrich-Böll-Stiftung, konnten keine Räume finden: Was vorgebucht war, wurde kurzerhand auf Druck der Behörden abgesagt. Die NGOs fordern nun eine Untersuchung durch den Generalsekretär der UN, Kofi Annan. Sie verlangen, dass „nie wieder ein UN-Gipfel in einem Land abgehalten werden soll, das seinen Verpflichtungen bei der Wahrung der Grundrechte nicht nachkommt.“

Die sieben Hungerstreikenden, der Anwalt Ayachi Hammami, Nejib Chebby (Chef der Partei für den Demokratischen Fortschritt), der Richter Mokhtar Yahyaoui, Abderraouf Ayadi (Mitglied der Parti communiste ouvrier tunesien), Mohamed Nouri (Präsident der internationalen Vereinigung für die Unterstützung politischer Gefangener), Lotfi Hajji (Präsident der tunesischen Journalistenvereinigung) und der Anwalt Samir Dilou beendeten ihre Aktion am letzten Tag des UN-Weltgipfels für die Informationsgesellschaft. Sie gaben die Gründung eines Komitees bekannt, das weiter für Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit kämpfen soll. Sie werden dafür auch weiterhin internationale Unterstützung brauchen - auch dabei muss sich, wie bei der Förderung des freien Zugangs zur Netzinfrastruktur, die Nachhaltigkeit des Gipfels zeigen. (jk)