Die dot.org-Orgie

Ab dem 1. Januar 2003 sollen .org-Adressen nicht mehr von VeriSign/NSI vergeben werden -- nun sind alle Bewerber für die Top Level Domain angetreten.

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Von
  • Monika Ermert

Ab dem 1. Januar 2003 sollen Adressen in der Top Level Domain .org nicht mehr von VeriSign/NSI vergeben werden. Obwohl der Ex-Monopolist für die Domain-Registrierung sich vertraglich verpflichtet hat, die .org-Domain aufzugeben, hat er sich wieder unter die elf Bewerber gemischt, die zum zweistündigen "Beauty-Contest" beim Treffen der Internet-Verwaltung ICANN in Bukarest antraten.

Die Chancen, dass VeriSign den Zuschlag erhält, sind allerdings gleich null, auch wenn sich der langsam schrumpfende Domainriese klug mit der Non-Profit-Organisation Union of International Associations (UIA) zusammengetan hat. Manche würden VeriSign offensichtlich für den "Bruder des Satans halten", sagte Anthony Judge von UIA bei der Vorstellung der Bewerbung. "Und irgendwie gehören wir damit in den Augen der Leute wohl zur Achse des Bösen." Man wolle VeriSign aber innerhalb der kommenden zwei Jahre durch einen anderen Technikprovider ersetzen. Der spanische ICANN-Direktor Amadeu Abril i Abril sagte allerdings gegenüber heise online: "Selbst wenn es der beste Vorschlag wäre, könnte sich der Vorstand nicht für VeriSign entscheiden." Die restlichen zehn Anwärter warben abwechselnd und in unterschiedlicher Mixtur mit drei Vorzügen: geballter technischer Kompetenz, politisch korrekten oder doch wenigstens bekanntem Namen sowie dem Hinweis auf lange Verbindungen zu nicht-kommerziellen Organisationen, für die .org künftig stärker als bisher vermarktet werden soll. Als letzter freigelassener sowjetischer Dissident stellte sich der Vertreter der eigens für die Bewerbung ins Leben gerufenen dotorg-Foundation vor. Mit dem potenten Partner Microsoft warb die andere Neugründung, die .org-Foundation.

Die geballte technische Kompetenz warfen dagegen Bind-Entwickler Paul Vixie und sein Partner Karl Malamud in die Waagschale. "Paul, ich, Rebecca und Suzanne werden persönlich für einen reibungslosen Übergabe sorgen", versprach Malamud den ICANN-Direktoren. .biz-Anbieter Neustar erinnerte bei der Vorstellung gleich zweimal daran, dass man den nordamerikanischen Nummernplan umgezogen habe und auch Hakon Haugnes von der britischen Global Name Registry warnte: "Dieser Übergang ist nicht einfach ein Umzug einer Datenbank von den USA nach Großbritannien." Zu dumm, dass ausgerechnet am Tag des Beauty-Contest die von GNR verwaltete Top Level Domain .name mit technischen Problemen zu kämpfen hatte.

Den besten politischen Partner hat sich zweifellos Afilias geangelt; der gemeinsamen Bewerbung der .info-Registry mit der Internet Society, der "Mutterorganisation" von IAB, IETF und anderen wichtigen Internetorganisationen, werden allgemein gute Chancen eingeräumt. Auf eine enge Verbindung zur nichtkommerziellen Welt kann auch die britische Poptel verweisen, die bei der Neuvergabe der Top-Level-Domains bereits den Zuschlag für die Genossenschaftsdomain .coop bekommen hat. Poptel hat sich als Technikpartner die australische Länderregistry ins Boot geholt.

Eigene Bewerbungen gaben auch die Länder-Top-Level-Domain-Betreiber Nominet (.uk) und Switch (.ch, .li) ab. Nominet-Vertreter Steve Dyer, der gegenüber heise online bereits bekannt gab, dass er sich auch für die .eu-Domain bewerben will, erklärte dabei offen: "Wir wollen eine kommerzielle Registry machen." Einen guten Start in Bukarest hatte Switch im Beauty-Contest: Ginge es nach dem Beifall des Publikums, dann hätten die Schweizer mit einem technisch soliden Vorschlag -- wer hat sonst Backups in einem Schweizer Berg? -- das Rennen fast schon gemacht. Anders als kommerzielle Bewerber wie Neustar oder Nominet könnte die Stiftung auch in den Genuss der von VeriSign ausgesetzten fünf Millionen US-Dollar kommen.

In der Frage, ob ein Nicht-US-Betreiber einem US-Bewerber vorgezogen werde, ist der ICANN-Vorstand, der im August in einer Telefonkonferenz endgültig entscheiden soll, gespalten. ICANN-Präsident Vint Cerf erklärte, sein Augenmerk liege allein auf der technischen Stabilität. "Für mich spielt die Jurisdiktion allerdings schon eine Rolle", sagte der für Europa gewählte ICANN-Direktor Andy Müller-Maguhn. "Wenn zwei Bewerber von gleicher technischer Qualität sind, sollte meiner Meinung nach der nicht-amerikanische zum Zug kommen", sagte der niederländische Direktor Hans Kraiijenbrink. Vier der Bewerber kommen aus Europa.

ICANNs Direktoren müssen sich vor der Entscheidung durch Tausende von Bewerbungsseiten arbeiten, in denen technische Details und unternehmerische Verflechtungen versteckt sein können. VeriSign-Kritiker sind etwa überzeugt, dass der Exmonopolist außer bei seiner eigenen Bewerbung und als Afilias-Partner noch an anderer Stelle seine Finger im Spiel hat. (Monika Ermert) / (jk)