Digital Health: Bundesregierung wartet auf Europa

Die Bundesregierung richtet sich bei der Gesundheitsdigitalisierung nach Europa – ohne Abgrenzung zwischen gemeinwohlorientierter und kommerzieller Forschung.

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(Bild: foxaon1987/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

Zur Digitalisierung des Gesundheitswesens hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Digitalstrategie vorgestellt. Demnach sollen die Gesundheitsdaten von Patientinnen und Patienten künftig der Forschung schneller und einfacher zur Verfügung stehen. Allerdings will sich die Bundesregierung für zentrale gesetzliche Vorhaben auf keine verbindlichen Termine festlegen, wie aus ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der Unionsparteien CDU/CSU hervorgeht.

Das Registergesetz, von dem in der politischen Diskussion in den vergangenen Monaten keine Rede war, soll bereits im Herbst 2023 vorgelegt werden. Grundlage hierfür ist ein 2021 vorgelegtes Gutachten sowie ein abgeschlossener Stakeholder-Dialog. Allerdings wird weder für das für die Digitalisierungsstrategie zentrale Gesundheitsdatennutzungsgesetz noch für das Forschungsdatengesetz ein Termin genannt. Der Grund: Das Bundesgesundheitsministerium will erst einmal die laufenden Verhandlungen zur Regelung des künftigen Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS) abwarten.

Ein zentraler Knackpunkt in den EHDS-Verhandlungen im Parlament ist etwa die Frage, ob Patientinnen und Patienten in die Weitergabe ihrer Gesundheitsdaten für Forschungszwecke einwilligen können oder nur einen Widerspruch einlegen dürfen. Außerdem wird definiert, wer wo welche Datenschnittstellen vorhalten und Datenstandards setzen darf. Schließlich sind auch Finanzierungsfragen stark umstritten. Das Europäische Parlament will über den Regelungsentwurf kurz nach der Sommerpause abstimmen, danach folgen die abschließenden Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission im Herbst und Winter.

Das Gesundheitsdatengesetz und das Forschungsdatengesetz sollen an die europäische Regelung anschließen und "eng aufeinander abgestimmt" werden. Während das Gesundheitsdatengesetz "zeitnah" vorgelegt werden soll, verweist das Bundesforschungsministerium für das Forschungsdatengesetz auf den laufenden Konsultationsprozess.

Eine weitere Anpassung an europäisches Recht soll im Fünften Buch Sozialgesetzbuch in § 303e stattfinden, der regelt, wer überhaupt einen Antrag stellen darf, die Forschungsdaten aus dem Gesundheitsbereich zu nutzen. Statt eine abschließende Liste nutzungsberechtigter Stellen vorzugeben, prüft die Bundesregierung, ob es genügt, einen bestimmten Nutzungszweck anzugeben. Damit könnten auch Pharmaunternehmen etwas leichter Zugang erhalten.

Gesundheitsdaten können pseudonym oder anonym weiterverarbeitet werden. Für anonyme Daten sieht die Bundesregierung jedoch nur begrenzt Möglichkeiten. Für viele Forschungsfragen seien sie nicht nutzbar, "weil Krankheits- oder Behandlungsverläufe über die Zeit nicht abgebildet werden können und wichtige Informationen verloren gehen". Allerdings könnten anonyme Daten für statistische Fragen ausreichend seien, etwa in einem sogenannten "Public Use File".

Gleichwohl könne noch nicht abschließend beantwortet werden, so die Bundesregierung, "unter welchen Bedingungen anonymisierte und nicht personenbezogene Daten für Forschung im öffentlichen Interesse genutzt werden können". Unklar ist auch, wie Datenzugänge vertraulich und diskriminierungsfrei gestaltet werden. Damit sind zentrale Umsetzungsfragen zur Anonymisierung weiterhin ungeklärt.

Anders ist das bei der Pseudonymisierung. Zur "Steigerung der Datenqualität" sollen bei der Datenerhebung, -sammlung, -nutzung und -aufbewahrung die Gesundheitsdaten mit „persistenten Identifikatoren ausgezeichnet und mit standardisierten Metadaten angereichert“ werden. Damit vereinfache sich die Nutzung der Forschungsdaten für die unmittelbaren Forschungszwecke sowie auch für deren "Nachnutzung".

Entwickelt wird der Standard für das Forschungsdatenmanagement im Rahmen einer nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI). Genutzt werden sollen die Daten nach den sogenannten FAIR-Prinzipien ("Findable, Accessible, Interoperable, Reusable"). Er gilt nicht nur für Gesundheitsdaten, sondern für alle Forschungsdaten der "gesamten deutschen Wissenslandschaft". Die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft wird in der Sektion "Industry Engagement" diskutiert. Das heißt, auch in der Frage der gemeinwohlorientierten oder kommerziell orientierten Forschung gibt die Bundesregierung keine klare Linie vor.

Die Bundesregierung prüfe jedoch, ob die Datenbestände zur datengetriebenen Gesundheitsprävention genutzt werden können – etwa im Rahmen von Früherkennungsprogrammen für Erkrankungen oder zur Identifizierung von gesundheitlichen Risikofaktoren. Dies sei etwa auf der Basis der Routinedaten möglich, die den gesetzlichen Krankenversicherungen vorliegen.

Wie das geplante Dateninstitut arbeiten wird, bleibt nach Aussage der Bundesregierung weiterhin unklar. Das Institut soll mit zahlreichen Initiativen zusammenarbeiten, die sich einem besseren Teilen und Nutzen von Daten verschrieben haben. Es soll diese vernetzen und Koordinierungsprobleme adressieren. Das Konzept zu diesem Dateninstitut ist fertig, die Mittel wurden diese Woche vom Haushaltsausschuss im Bundestag freigegeben: Für den Aufbau stehen für das Jahr 2023 nun 10 Mio. Euro zur Verfügung, jeweils weitere 10 Mio. Euro wurden für die Jahre 2024 und 2025 eingeplant.

Die eigentlich zentrale Frage, ob das Dateninstitut auch als Datentreuhänder oder als Datenvermittlungsdienst auftreten soll, klärt die Bundesregierung bewusst nicht. Das soll im Rahmen eines bedarfsorientierten Verfahrens stattfinden, sobald die Haushaltsmittel entsperrt sind. Dabei geht es darum, welche konkreten Pilotprojekte umgesetzt werden sollen. Zum Start sollen zwei Anwendungsfälle behandelt werden. Genaueres ist im Moment nicht bekannt. Diese geben dann die Daten-Governance vor. Das bedeutet, dass darüber diejenigen entscheiden werden, die die Daten verarbeiten wollen. Die Politik hat sich aus dieser Gestaltungsfrage herausgezogen.

(mack)