E-Rezept: Lauterbachs Ankündigungen Ärzten zufolge eine "Nacht- und Nebelaktion"

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat den Eindruck vermittelt, das E-Rezept würde ab dem 1. Juli durchstarten und erntet jetzt Kritik von allen Seiten.

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Für seine jüngsten Aussagen zum E-Rezept erntet Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach scharfe Kritik. Demnach sollen sich E-Rezepte ab dem 1. Juli über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) von gesetzlich Versicherten einlösen lassen. Diesen Einlöseweg hatte unter anderem die für die Digitalisierung zuständige Gematik bereits 2022 angekündigt.

"Zum 1. Juli 2023 können Patienten das erste Mal das E-Rezept in den Apotheken ganz einfach mit ihrer Versichertenkarte abrufen. Bis Ende Juli werden voraussichtlich schon 80 Prozent der Apotheken in Deutschland an das System angeschlossen sein", sagte Lauterbach gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Es sei endlich alltagstauglich. Doch das stimmt nicht so ganz, finden verschiedene Akteuren des Gesundheitswesens.

Inzwischen kritisieren ihn für seine irreführenden Aussagen neben dem Deutschen Apothekerverband auch die Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), in der der Test für das E-Rezept gestartet ist. Es gebe KVWL-Vorstand Thomas Müller zufolge erneute Irritation bezüglich der Aussagen des Bundesgesundheitsministers. Er blende aus, "dass die Voraussetzungen in den Praxen niedergelassener Vertragsärztinnen und Vertragsärzte noch nicht bundesweit gegeben sind". Außerdem plädiere Müller für eine "stufenweise Einführung" des E-Rezepts" – aber "nicht in einer Nacht- und Nebelaktion".

Ob der neue Einlöseweg tatsächlich in zwei Wochen möglich sein wird, ist unklar. Zwar wollen alle Krankenkassen die technischen Voraussetzungen dafür bis Ende Juni erfüllen, jedoch laufen die Tests derzeit noch. "Anfang Juli werden die ersten Apotheken in Deutschland starten, Rezepte mittels elektronischer Gesundheitskarte einzulösen. Bis Ende Juli soll ein Großteil der Apotheken in Deutschland bereit sein, Rezepte so entgegenzunehmen", teilt die Gematik auf Anfrage von heise online mit. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung kritisiert zudem, dass Details noch unklar sind. Außerdem werde der Eindruck erweckt, dass E-Rezepte ab dem 1. Juli in allen Arztpraxen ausgestellt werden können, was nicht der Fall sein wird.

Dabei schickt der Arzt oder die Ärztin das E-Rezept über die Telematikinfrastruktur (TI) – das Gesundheitsnetz – an den E-Rezept-Fachdienst. Bisher ist das laut Dashboard der Gematik seit Ende 2022 mehr als 2 Millionen Mal passiert (Stand 13. Juni 2023). Dafür ist unter anderem jedoch Voraussetzung, dass die Ärzte das E-Rezept auch umsetzen und auch die Apotheke "E-Rezept-ready" ist und es keine technischen Störungen oder TI-Ausfälle gibt. Aktuell werden die meisten E-Rezepte noch über den Ausdruck des Tokens ausgestellt und in den Apotheken eingelöst.

Im Gegensatz zu früheren Versionen der E-Rezept-Spezifikationen der Gematik wird mit dem jetzigen und vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Ulrich Kelber, bereits vorgeschlagenen Einlöseweg auch die Echtheit der Karte überprüft. Das bestätigte der BfDI-Sprecher gegenüber heise online. Wenn das Rezept vom E-Rezept-Fachdienst abgefragt wird, läuft zur Verifikation ein Abgleich mit dem von der Gematik betriebenen und von den Krankenkassen befüllten Versichertenstammdatenmanagement. Diesen Weg hatten der BfDI und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bereits seit Monaten abgesegnet. Anpassungen an der Hardware sind dem BfDI-Sprecher zufolge nicht notwendig.

Für den BfDI hatte es im vergangenen Jahr viel Kritik aufgrund seines Vetos beim damals spezifizierten Einlöseweg für das E-Rezept gegeben. Über den Weg hätten Apotheken allein mit der Versichertennummer Einblick darüber erhalten können, welche Medikamente auch ihnen unbekannte Personen verschrieben bekommen. Dass der BfDI für die einfachsten Forderungen beschimpft wurde, hatte daher auch Dr. Peter Haas von der Deutschen Gesellschaft für Medizininformatik kritisiert. Datenschutz sei ein hohes Gut, wenn stigmatisierende Daten "erst einmal draußen" seien, wäre es zu spät.

Als weitere mögliche Einlösewege für das E-Rezept ist es wie bisher möglich, dass Versicherte sich das Rezept selbst zuweisen. Dafür ist die E-Rezept-App der Gematik sowie eine elektronische Gesundheitskarte 2.1 samt PIN notwendig. Für die PIN müssen Versicherte sich authentifizieren – üblicherweise über Postident oder persönlich in der Krankenkassenfiliale. Da dieser Weg vielen Versicherten zu umständlich ist, haben die Verantwortlichen und an der Digitalisierung des Gesundheitswesens Beteiligten immer wieder Sonderwege veröffentlicht oder sogar eine weitere App entwickelt.

Außerdem können Versicherte nach dem Arztbesuch in den Apotheken auch einen QR-Code-ähnlichen E-Rezept-Token vorzeigen, um das Medikament zu erhalten. In Ausnahmefällen können Ärztinnen und Ärzte den E-Rezept-Token auch direkt an die Apotheken senden, etwa bei bestimmten Heimversorgungsverträgen, wie die Deutsche Apothekerzeitung schreibt. Nicht vorgesehen, aber ebenfalls möglich ist, dass E-Rezept-Token an Drittanbieter-Apps aus dem Apothekenumfeld gesendet werden. Das ist teils umstritten – etwa, wenn der Übertragungsweg für den Token nicht verschlüsselt ist. Für die Zulässigkeit sind die einzelnen Landesdatenschutzbeauftragten zuständig.

Die Fristen für den flächendeckenden Start des E-Rezepts haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder verschoben. Zwar ist es vor allem in Praxen und Apotheken, aber auch in Kliniken möglich, das E-Rezept zu nutzen, jedoch ist die Verbreitung noch sehr durchwachsen. Daher erhofft sich Lauterbach mit dem Einlöseweg über die eGK einen deutlichen Digitalisierungsschub. Erst vor wenigen Wochen hatte er das E-Rezept bundesweit für 2024 angekündigt.

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Zitate der Gematik und Kritik der KBV, der KVWL und DAV ergänzt.

(mack)