EPSC 2020: Wie lässt sich der Wirtschaftsraum Erde-Mond beleben?

"Rules-based order" – ohne klare Regeln sei die Entwicklung einer Weltraumökonomie nicht möglich. Auch China und die USA müssen sich einigen.

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EPSC 2020: Wie lässt sich der Wirtschaftsraum Erde-Mond beleben?

(Bild: sdecoret / Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Das 1957/58 durchgeführte Internationale Geophysikalische Jahr gilt als Durchbruch für die bis dahin durch den Kalten Krieg stark eingeschränkte internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit. In seinem Rahmen wurde die ersten künstlichen Satelliten in den Erdorbit gebracht und die ersten Belege für die menschengemachte Erderwärmung gefunden. Es war eine Zeit des Optimismus, die Steely-Dan-Keyboarder Donald Fagen 25 Jahre später in seinem Song „I.G.Y.“ mit dem Refrain aufgriff: "What a beautiful world this will be / What a glorious time to be free“. Könnte ein Internationales Lunares Jahrzehnt diesen Geist der Kooperation jetzt für die Erschließung des Mondes wiederbeleben?

"Rules-based order" – eine auf klare Regeln gestützte Ordnung – wie ein Mantra wiederholt Vidvuds Beldavs (University of Latvia) immer wieder diesen Begriff in seiner Präsentation für die gegenwärtig laufende Konferenz der Planetenforscher EPSC 2020. Ohne eine solche Ordnung sei bei der Entwicklung einer Weltraumökonomie kein Fortschritt möglich. Diese Vision teile er nicht nur mit der Initiative für eine International Lunar Decade, deren Anfänge bis 2006 zurückreichten, sondern auch mit seinen Ko-Autoren Jim Crisafulli (National Space Society), der die Space Renaissance ins Leben gerufen habe, Dennis O'Brien vom Space Treaty Project sowie Bernard Foing, Leiter der International Lunar Exploration Working Group (ILEWG).

Der Aufbau einer Erde-Mond-Ökonomie durch die Nutzung der dort vorhandenen Ressourcen müsse alle Länder einschließen, nicht nur diejenigen, die über Raumfahrttechnologien verfügten. Dann habe so ein Projekt das Potenzial, globalen Bedrohungen wie Pandemien, Klimawandel oder Einschlägen von Asteroiden wirksamer als bisher begegnen zu können, und könne die Risiken militärischer Konfrontationen reduzieren. Als Beispiel für die Wirksamkeit internationaler Regeln nannte Beldavs die Gründung der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ebendiese Ordnung sei allerdings gegenwärtig durch erstarkende populistische und nationalistische Bestrebungen gefährdet.

Industriell betriebener Bergbau, Produktionsanlagen und Transportkapazitäten auf dem Mond könnten auf lange Sicht günstiger betrieben werden als auf der Erde. Aufgrund der weniger empfindlichen Umwelt, geringeren Schwerkraft und des Vakuums seien Starts vom Mond weniger aufwendig. Dadurch könnten sich Märkte insbesondere im erdnahen Orbit eröffnen, wo vom Mond aus Satelliten, Raumstationen oder Solarkraftwerke platziert werden würden. Besonders wertvolle, aus Mondstaub oder Asteroiden gewonnene Materialien wie etwa Seltene Erden könnten auch zur Erde gebracht werden. Und natürlich sei auch der Mond selbst ein Markt, ebenso wie von dort startende Missionen zum Mars.

Die Machbarkeit einer solchen Weltraumökonomie und die dafür erforderlichen politischen Fähigkeiten sollten bis 2030 bewiesen werden. Bis 2040 könnten dann erste Pilotprojekte folgen (etwa Wasserförderung auf dem Mond oder die Produktion von Basaltfasern), ab 2040 könnte der Wirtschaftsraum Erde-Mond dann erblühen und nach 2050 die irdische Ökonomie überflügeln. Schließlich stünden im Weltraum weit mehr Ressourcen und Energie zur Verfügung als auf der Erde. Voraussetzung dafür seien aber klare, verbindliche Regeln. Ohne eine "rules-based order" seien die erforderlichen langfristigen Planungen und Investitionen nicht möglich.

Als Grundlage dafür empfiehlt Beldavs die Weltraumverträge der UNO, insbesondere das 1984 in Kraft getretene Moon Agreement. Dieses Abkommen werde bisher von 18 Staaten unterstützt, insbesondere von US-amerikanischen Raumfahrtunternehmen und Politikern jedoch zunehmend in Frage gestellt. So habe US-Präsident Donald Trump am 6. April 2020 ausdrücklich angeordnet, das Moon Agreement zu ignorieren. Leider sei die NASA mit den Artemis Accords ihres aktuellen Mondlandeprogramms dieser Anordnung gefolgt: Zwar werde das Moon Agreement darin nicht explizit genannt, es sei aber auch keinerlei Beteiligung der Vereinten Nationen vorgesehen, Entwicklungsländer würden komplett ausgeblendet und ausschließlich bilaterale Kooperationen angestrebt.

Eine Aufgabe der internationalen Vereinbarungen zur Nutzung des Weltraums, warnt Beldavs, würde die Tür zu Nationalismus und militärischen Konflikten im All öffnen und den Weg zu nachhaltiger Entwicklung versperren. Entgegen der Rhetorik von Trump und anderen US-Politikern habe keine Nation die Macht, ihre Ordnungsvorstellungen der übrigen Welt und dem Weltraum aufzuzwingen. Eine Regelung von Weltraumaktivitäten könne nicht außerhalb der UNO vollzogen werden und sei nicht machbar ohne Einbeziehung von USA und China "als gleichberechtigten Partnern". Das Moon Agreement schließe lediglich die militärische Nutzung des Weltraums aus, nicht aber die kommerzielle. Profitable Geschäfte mit Weltraumressourcen seien durchaus möglich. Der Vertrag sei zudem von vornherein so abgefasst worden, dass er an die unvorhersehbaren zukünftigen technologischen und politischen Entwicklungen angepasst werden kann. Ein Drittel der Unterzeichner reiche aus, um eine Konferenz einzuberufen, die über notwendige Änderungen berät. Das sei ein Prozess, der sich wahrscheinlich noch über Jahrzehnte hinziehen werde.

Die Notwendigkeit internationaler Kooperation für die Entwicklung einer Weltraumökonomie betonte auch Guo Linli (China Association for Science and Technology), konzentrierte sich in ihrem Vortrag aber vorrangig auf technologische Aspekte. So müssten insbesondere die Kosten für den Transport von Menschen und Fracht gesenkt werden durch wiederverwendbare Raumfahrzeuge, den Aufbau einer orbitalen Infrastruktur und die Nutzung von Ressourcen vor Ort.

Eine Infrastruktur mit Raumstationen in Erd- und Mondumlaufbahnen sei noch aus weiteren Gründen erstrebenswert. Astronauten bliebe dadurch erspart, die zweiwöchige Mondnacht auf der Oberfläche verbringen zu müssen. Stattdessen könnten sie die dort erforderlichen Arbeiten aus dem Mondorbit steuern. Die Suche nach Ressourcen könne mithilfe von Satelliten ebenfalls aus dem Orbit erfolgen. Natürlich müsse aber auch auf der Mondoberfläche eine Infrastruktur errichtet werden, um diese Ressourcen zu verarbeiten. Als besonders wichtig hebt Linli dabei den Umgang mit Abfällen und deren mögliche Wiederverwertung hervor.

Schlüsseltechnologien zur wirtschaftlichen Belebung der Erde-Mond-Region sollen demnächst in der "Lunar Base Yulin" getestet werden. Die 700 Hektar große Anlage soll im Norden der Provinz Shaanxi, nahe der Chinesischen Mauer, errichtet werden. Dort herrschten Verhältnisse, so Linli, die denen auf dem Mond oder Mars nahe kommen, etwa große Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht. Die simulierte Mondbasis soll aber nicht nur dem Astronautentraining dienen, sondern offenbar auch öffentlich zugänglich sein.

Zur Förderung der örtlichen (irdischen) Ökonomie solle auch ein „Lunar Hotel“ errichtet werden, sagte Linli, gestaltet wie auf dem Mond in Höhlen und mit modularen Kabinen. Im Jahr 2061, so ihre Prognose, werde China dann solche Stationen auch auf dem Mond selbst betreiben.

(bme)