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EU-Gesundheitsdatenraum: Ärzte befürchten sinkendes Vertrauen der Patienten

Marie-Claire Koch
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(Bild: Shutterstock)

Der EHDS soll die EU-weite Gesundheitsversorgung verbessern. Offen sind jedoch einige Fragen, etwa wer den Datenschatz hütet und wer die hohen Kosten trägt.

Durch eine eHealth-Verordnung sollen die Gesundheitsdaten von EU-Bürgern in einen geplanten europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) fließen, unter anderem auch für eine Gesundheitsversorgung im Ausland, und um Europa im Gesundheitsbereich wettbewerbsfähiger zu machen. Die Gesundheitsdaten werden dann nicht nur dem öffentlichen, sondern möglicherweise auch dem privaten Sektor zu Forschungszwecken zur Verfügung stehen – für die Daten aus der elektronischen Patientenakte (ePA) mit Widerspruchsrecht, für die Abrechnungsdaten der Krankenkassen nicht. Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt und Stephan Hofmeister, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), haben dazu mit Politikern und Politikerinnen in den Brüsseler "Morning Rounds" diskutiert.

Reinhardt befürwortet grundsätzlich die Nutzung von Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken. "Der Europäische Gesundheitsdatenraum wird aber nur dann erfolgreich sein, wenn er Patienten und Ärzten deutliche Vorteile bietet. Ärzte haben nicht die Zeit für einen Nebenjob als Datenlieferanten für Forscher, Politiker und Entwickler von Produkten und Algorithmen. Die Übertragung eines Patientengesprächs oder einer Untersuchung in strukturierte Datensätze kostet Zeit, die für den Patientenkontakt fehlt und somit der Gesundheitsversorgung schadet". Am schlimmsten wäre es Reinhardt zufolge aber, "wenn Patienten aus Angst vor dem Missbrauch ihrer Gesundheitsdaten nicht mehr ihren Arzt aufsuchen würden".

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Daher müsse sich der EHDS das Vertrauen und die Akzeptanz der Patienten und der Ärzte erst verdienen. Dies erfordere laut Reinhardt auch den Einsatz geeigneter technischer Mittel, um die Sicherheit und Resilienz der Systeme zu gewährleisten. Das Vertrauen in die Politik sei allerdings gering. Laut Ipsos Global Trustworthiness Ranking 2022 [2] sind Ärzte mit 59 Prozent am vertrauenswürdigsten von allen Berufsgruppen, danach folgen Wissenschaftler mit 57 Prozent. Politiker hingegen belegen mit 12 Prozent den letzten Platz. Selbst wenn Menschen laut Reinhardt bereit wären, Daten mit anderen Gesundheitsexperten zu teilen, können sie ihre Gründe haben, dieselben Daten nicht mit dem Staat teilen zu wollen.

Eine ähnliche Ansicht vertritt der ständige Ausschuss der Ärzte der Europäischen Union (CPME). Er sehe auch eine mögliche Beschränkung der Grundrechte, wie aus seiner Stellungnahme zum EHDS hervorgeht [3]. Ebenso sei das Vertrauen der Patienten wichtig. Die Arzt-Patienten-Beziehung basiere zu Hofmeister auf 100-prozentigem Vertrauen. Wenn das fehle, gehen die Patienten eben woanders hin, auch wenn die Behandlung dann teurer sei. Außerdem habe kein Arzt die Zeit, sich, gerade bei Patienten mit langer Krankheitsgeschichte, 20 GByte an Informationen durchzulesen. Darüber hinaus stellte er die Repräsentativität der Daten infrage.

Laut Anca Thoma vom europäischen Patientenverband würden Ärzte durch KI-basierte Apps Zeit sparen und mehr Zeit für ihre Patienten und Patientinnen haben. Google, Facebook, Apps und Smart Watches sammeln bereits viele Gesundheitsdaten ihrer Kunden, das sehe sie als gefährlicher an als "Big Pharma". Es sei wichtig, die Plattformen zu regulieren. Aggregierte Gesundheitsdaten seien ihrer Ansicht nach öffentliches Gut.

Die Europaabgeordnete Birgit Sippel (SPD) sieht in dem Verhalten der Patienten beim Einsatz von Google und Co. zu Gesundheitsfragen kein Argument für das Teilen von Daten, man solle das Argument nicht gegen die Rechte der Patienten einsetzen. Ihrer Ansicht nach gebe es auch keine Argumente für ein Opt-out-Modell bei der elektronischen Patientenakte. Wer sie nützlich findet, könne sich eine zulegen. Ihr scheint es beim EHDS lediglich um das Interesse der Industrie an den Daten zu gehen.

Gesundheitsdaten sollten laut Sippel kein öffentliches Gut sein, sondern von der Regierung geschützt werden. Sie ist sich nicht sicher, ob alles im Einklang mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sei. Es müsse eine konkrete Entscheidung getroffen werden, "welche Art von Daten wir zu welchem Zweck verwenden, um das Beste für unsere Bürger zu erreichen", sagte Sippel. Wenn wir am Ende für jede Form von Daten Gesetze schaffen, auf nationaler und europäischer Ebene, dann müssen die verschiedenen Daten natürlich geteilt werden. Dann brauche es auch die DSGVO nicht.

Martin Dorazil von der EU-Kommission stellte klar, dass die Daten aus der elektronischen Patientenakte gemäß eHealth-Verordnung nicht geteilt werden müssen. "Es gibt keinen Grund für meinen Zahnarzt, die Informationen über meine psychiatrische Behandlung zu kennen", erklärt Dorazil. Ebenso werde es keine Möglichkeit geben, irgendwo die Rohdaten herunterzuladen. Der EHDS sei ein "Werkzeug", das Ärzten und Forschern bei der medizinischen Versorgung helfen soll, aber keine ultimative Lösung.

"Anstelle von innovationsgetriebener Gesundheit haben wir gesundheitsgetriebene Innovation", sagte Thoma. Sie setzt sich dafür ein, dass Patienten, die ihre Daten der Forschung zugänglich machen wollen, ihre Daten auch unproblematisch teilen können. Im schlimmsten Fall ändere sich für die Patienten nichts, im besten Fall verbessere sich ihre Gesundheit. Sie forderte darüber hinaus Investitionen in die Gesundheitskompetenz der Bürger und eine bessere Patienten-Zentrierung.

Thoma argumentierte außerdem, dass Patienten mit seltenen Erkrankungen teils ihre Genomdaten teilen, obwohl diese nicht anonymisierbar seien. Dies würden sie allerdings für eine Chance auf Heilung oder Verbesserung ihres Zustands tun. Hofmeister erwiderte daraufhin, dass es keinen Markt gebe, der die Medikamente für eine geringe Anzahl an Patienten produziere.

Hofmeister bemängelte darüber hinaus die fehlende Interoperabilität der Daten, was wiederum weitere Programme notwendig macht. Ein Kollege von Hofmeister hatte das die "digitale Alditüte"genannt. Bisher können in der ePA unter anderem PDF-, JPG-, TIFF-, RTF- und XML-Dateien hochgeladen werden, aber auch der Impfpass, der Mutterpass, das U-Heft und das Zahnbonusheft als Medizinische Informationsobjekte (MIOs), die den FHIR-Standard (Fast Healthcare Interoperability Resources) nutzen.

Sowohl die MIOs als auch die Dateien im FHIR- und XML-Format sollen Interoperabilität ermöglichen. In den Laboren seien die Daten laut Hofmeister jedoch nicht standardisiert. Ihm zufolge sei es notwendig, dass es Gesetze gebe, die Software-Häuser zur Interoperabilität zwingen. Bestimmte Anbieter würden von bestehenden Abhängigkeiten profitieren. Es brauche Datenstandards und mehr Zeit für die technischen Vorbereitungen des EHDS. Denkbar wäre beispielsweise FHIR.

Dorazil zufolge komme der Gesundheitsdatenraum nicht über Nacht. Bis dahin müssen noch viele Fragen geklärt werden, etwa, wer die für die Anonymisierung der Daten verantwortlich ist und welche Stelle über die Herausgabe entscheiden. Außerdem sind die Kosten für die Aufwände rund um den EHDS nicht abschätzbar. Bereits jetzt gibt es nach Angaben von Dorazil mehr als 12 Milliarden Euro Investitionen für den EHDS, allerdings reiche das nicht. Die KBV fordert, dass die Kosten für die Ärzte und Psychotherapeuten getragen werden.

Jan Willem Goudriaan, Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsverbund für den Öffentlichen Dienst (EGÖD), sieht zwar die Vorteile im Ökosystem EHDS, er stellte sich allerdings die Frage, wem es Vorteile bringen soll – etwa der Europäische Plattform für Sportinnovation (EPSI), dem Allgemeinwohl, oder Pharmaunternehmen. Das gab er in einem gemeinsam mit der Österreichischen Bundesarbeitskammer (AK) veranstalteten Webinar zu Bedenken. "Die Bedürfnisse und Interessen der Arbeitnehmer werden sich negativ auf das bereits überlastete und unterbesetzte Gesundheitspersonal auswirken", steht in der Stellungnahme des EGÖD [4] (PDF).

Daniela Zimmer von der AK sieht zudem die Gefahr, dass die Gesundheitsdaten möglicherweise sogar vom Arbeitgeber des Patienten eingesehen werden könnten. "Der Schutz gegen Datenmissbrauch wird im Entwurf nicht nennenswert geregelt" geht aus der Stellungnahme der AK zum EHDS [5] hervor. Dadurch könnten "zentral abrufbare Datenbestände dieser Größe und von hohem Handelswert samt EU-weiten Zugriffen [...] missbräuchliche, kriminelle Praktiken anziehen". Jan Penfrat von der Europäischen Bürgerrechtsorganisation EDRi sieht dabei auch die Gefahr der De-Anonymisierung der Gesundheitsdaten, die zu Erpressungen führen könnten. Daher fordert der EDRi in seiner EHDS-Stellungnahme auch, dass Patienten selbst über den Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten entscheiden sollten. Aktuell seien Cookies besser geschützt als die Patientendaten im aktuellen EHDS-Entwurf [6].

(mack [7])


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[2] https://www.ipsos.com/en/global-trustworthiness-index-2022
[3] https://www.cpme.eu/api/documents/adopted/2022/11/cpme.2022-065.FINAL.CPME.position.EHDS.pdf
[4] https://www.epsu.org/sites/default/files/article/files/EPSU%20position_EHDS.pdf
[5] https://www.akeuropa.eu/de/verordnung-ueber-den-europaeischen-raum-fuer-gesundheitsdaten
[6] https://www.heise.de/news/EU-Parlament-Mehr-Rechte-fuer-die-Patienten-im-Europaeischen-Gesundheitsdatenraum-7534925.html
[7] mailto:mack@heise.de