EU-Innenpolitiker hinterfragen Vorstoß zu Websperren
Bei einer ersten Debatte des Richtlinienentwurfs der EU-Kommission zur schärferen Bekämpfung von Kinderpornographie plädierten im Innenausschuss des EU-Parlaments viele Abgeordnete für das Prinzip "Löschen statt Sperren".
Bei einer ersten Besprechung des Richtlinienentwurfs der EU-Kommission zur schärferen Bekämpfung der Kinderpornographie, die am heutigen Dienstag im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des EU-Parlaments stattfand, plädierten viele Abgeordnete für das Prinzip "Löschen statt Sperren". "Wir müssen ein starkes Signal senden, dass Löschen unsere Priorität ist", befand etwa die niederländische Sozialistin Emine Bozkurt. Blockaden von Webseiten mit Missbrauchsbildern könnten mit ein paar Klicks und umgangen werden, ergänzte die deutsche Grüne Franziska Keller. "Löschen ist effektiver." Es bestünden Kooperationen mit den meisten Ländern, in denen Kinderpornographie im Internet verfügbar gemacht würde. Da reiche es nicht aus, einfach nur einen Filter vorzuziehen. Zudem habe die Kommission offen gelassen, wer entscheiden solle, welche Seiten zu sperren seien.
Einschlägige Angebote im Web müssten "komplett gelöscht werden", forderte auch die litauische Sozialdemokratin Vilija Blinkeviciute. Websperren seien nicht hilfreich im Kampf gegen sexuellen Missbrauch und den Schutz der Opfer. Auch ihre spanische Fraktionskollegin Carmen Romero Lopez bezeichnete es als den "besten Ansatz", entsprechende Seiten aus dem Web zu entfernen. Die stellvertretende Ausschussvorsitzende, die niederländische Liberale Sophia in't Veld, sprach sich ebenfalls für "Löschen" aus. Die Kommission habe nicht erklären können, weshalb sie auch das Blockieren kinderpornographischer Seiten befürworte. 50 Prozent des Materials läge in den USA, die ja keine "Bananenrepublik" seien. Dort müsse es möglich sein, die inkriminierten Angebote von den Servern zu entfernen. Generell seien technische Ansätze kein sehr effektives Mittel gegen Kindesmissbrauch.
Selbst die schwedische Liberale Cecilia Wikstroem beäugte als Fraktionskollegin und Landsfrau von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, die den Vorschlag federführend ausgearbeitet hat, Artikel 21 zu Websperren skeptisch. Sie verwies darauf, dass die Maßnahme in ihrer Heimat als freiwillige Vereinbarung zwischen Providern und der Polizei eingeführt worden sei. Es solle daher auch für die anderen Mitgliedsstaaten keine Verpflichtung zur Blockade von Webseiten geben. Zugleich wunderte sie sich, dass die Kommission den Einbezug externen Expertenwissens bei der Vorbereitung des Entwurfs nicht für nötig befunden habe. Dabei habe die Behörde selbst angegeben, keine verlässlichen Daten über die Verbreitung von Kinderpornographie im Netz zu besitzen.
Im Großen und Ganzen für den Plan der Kommission sprachen sich allein der CDU-Abgeordnete Axel Voss und die Berichterstatterin der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), die Italienerin Roberta Angelilli, aus. Voss meinte, dass die Volksvertreter eine "klare Botschaft" zur Verhinderung der Verbreitung von Kinderpornographie aussenden müssten. Dabei mache es keinen Unterschied, "ob wir blockieren oder löschen". Die Provider müssten zur Verantwortung gezogen werden. Angelilli lobte zunächst den "sehr detaillierten Vorschlag" der Kommission. Nach der Debatte räumte sie ein, dass "gute Punkte" genannt worden seien und sie das weitere Vorgehen mit den Schattenberichterstattern der anderen Fraktionen besprechen wolle.
Fast alle Rednern unterstrichen, dass Kindesmissbrauch nicht im Internet passiere und die Täter in der Regel sehr eng mit ihren Opfern verknüpft seien. Es müsse bessere Vorsorgemaßnahmen für Verwandte, Lehrer und Priester geben. Auch andere Aspekte des Entwurfs hinterfragten die Abgeordneten. Bozkurt etwa wollte wissen, wie bei der angestrebten Bestrafung des Heranpirschens an Kinder über das Netz, dem sogenannten Grooming, eine Missbrauchsabsicht festgestellt werden solle. Auf Bedenken stieß auch die Initiative der Kommission, die Grenze des Kindesalter bei 18 Jahren festzulegen. Es gebe viele sexuelle Aktivitäten von Jugendlichen, erklärte Keller, "die wir nicht kriminalisieren sollten".
Ein Vertreter der spanischen Ratspräsidentschaft unterstützte den Vorstoß der Kommission prinzipiell, da er "Kinder besser schützt". Der Rat hatte am gestrigen Montag erwartungsgemäß einen einen Beschluss (PDF-Datei) für einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Cybercrime gefasst, der sich für Websperren stark macht. Der Spanier machte aber auch deutlich, dass die Grenzen zur Einschätzung bildhafter sexueller Darstellungen als Kinderpornographie noch stärker zu umreißen seien. Man müsse einen Weg finden, um etwa mit japanischen Manga-Comics umzugehen.Für die Kommission führte Reinhard Priebe aus, dass man eigentlich eine "präzisere Definition von Kinderpornographie" angestrebt habe. Zudem sollten "neue Formen des Missbrauchs", die das Internet erleichtere, kriminalisiert werden. Dies beziehe sich etwa auf das Anschauen kinderpornographischer Bilder ohne das Herunterladen von Dateien. Für Sperren plädiere man "als Ergänzung zum Löschen", wenn dieses nicht funktioniere. Zivilgesellschaftliche Organisationen hätten diesen Weg begrüßt. Nun könne das Parlament zum ersten Mal im Bereich einer innenpolitischen Maßnahme seine neue Rolle als Mitgesetzgeber erfüllen. Die EU-Bürger würden erwarten, "dass wir unseren Nachwuchs konsequent schützen".
Die von Priebe offenbar noch nicht bemerkte Kritik aus der Zivilgesellschaft hält derweil an. "Der Entwurf wirkt sehr mit der heißen Nadel gestrickt", konstatiert etwa Christian Bahls, Vorsitzender des Vereins "MissbrauchsOpfer gegen InternetSperren" (MOGIS). Bei Inhalten, die nicht gelöscht werden könnten, sollte seiner Ansicht nach genauer geschaut werden, warum dies der Fall sei. Diese Zustände einfach mit einem Stopp-Schild zu verdecken, könne "nicht das Mittel der Wahl sein". Der Entwurf berühre zudem entgegen der Aussage Malmströms auch die Meinungsfreiheit. Er zitiere Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach Einschränkungen dieses Grundrechts nur gesetzlich erlassen werden dürften und "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein müssten. Die Kommission wolle es Mitgliedsländern dagegen anheim geben, ob die umzusetzenden Sperren nicht auch per vertraglicher Lösung eingeführt werden könnten. (jk)