EU: Neue Industriestrategie für die grüne und digitale Wende

Die EU-Kommission will Ökosysteme stärken und plant Allianzen für emissionsarme Industrien, Wasserstoff, Datenclouds, Online-Plattformen sowie Rohstoffe.

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EU: Neue Industriestrategie für die grüne und digitale Wende

Die EU-Kommissarinnen Margrethe Vestager (Digitalisierung), Valdis Dombrovskis (Wirtschaft) und Thierry Breton (Binnenmarkt) stellen ihre Industrie-Strategie vor.

(Bild: EU-Kommission/Lukasz Kobus)

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Mit einem umfassenden Maßnahmenpaket will die EU-Kommission die europäische Industrie und den Mittelstand dabei unterstützen, sich beim vorgesehenen Übergang zur Klimaneutralität und bei der digitalen Transformation "an die Spitze zu setzen". Alle Firmen sollten in Europa ihre Chancen nutzen können, "um den grünen Deal und die digitale Wende zu schaffen", erklärte die für Digitales zuständige Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager am Dienstag in Brüssel. Zugleich will die Regierungsinstitution verbliebene Hindernisse für einen gut funktionierenden Binnenmarkt abräumen und für einen "fairen Wettbewerb" sorgen.

Ein Ansatz der präsentierten neuen Industriestrategie ist es, hochinnovative Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der EU stärker voranzutreiben. Die bestehenden Allianzen für Batterien und Mikroelektronik inklusive Quantenrechner sollen so etwa durch unternehmerische Bündnisse für sauberen Wasserstoff, emissionsarme Industrien, Datenclouds, Online-Plattformen und Rohstoffe ergänzt werden. Valdis Dombrovskis, Kommissionsvize für Wirtschaft, brachte zudem Biotech und 5G als einschlägige Schlüsselbereiche ins Spiel.

"Die EU muss auch ihre industriellen Fähigkeiten rund um kritische digitale Infrastrukturen erweitern", heißt es in dem EU-Strategiepapier. Ein erfolgreicher Aufbau eines "hochsicheren" 5G-Netzwerks auf dem Stand der Technik werde ein starker Treiber für künftige digitale Dienste sein und im Zentrum "der industriellen Datenwelle" stehen. Europa müsse zudem jetzt in mobile Netzwerke der nächsten Generation (6G) investieren, wenn es auf diesem Gebiet Spitzenreiter werden wolle.

Im Vorfeld war besonders umstritten, ob die Kommission Fusionen zwischen Industriegrößen wie Siemens und Alstom künftig gestatten soll. "Starke Champions wachsen, wenn alle die gleichen Chancen haben", blieb Vestager dazu recht vage. Die Kommission will zunächst die bestehenden Wettbewerbsvorschriften laufend überprüfen und dabei die Vorgaben zur Fusionskontrolle und für staatliche Beihilfen in den Fokus nehmen. Mit Blick auf immer mächtiger werdende Internetkonzerne wie Amazon, Facebook oder Google zeigte sich Vestager besorgt, "dass Märkte kippen können und der Wettbewerb verlorengeht". Hier mache gegebenenfalls die kartellrechtliche Vorabregulierung Sinn, um Verstöße verhindern oder frühzeitiger aufspüren zu können.

Bis zur Jahresmitte will die Kommission ein Weißbuch veröffentlichen, "das sich mit den wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen ausländischer Subventionen im Binnenmarkt sowie mit dem ausländischen Zugriff auf öffentliche Aufträge in der EU" befasst. 2021 soll dazu ein Gesetzesentwurf folgen. Die Initiative werde Hand in Hand gehen mit den laufenden Arbeiten an weltweiten Regeln für Beihilfen in der Welthandelsorganisation und mit Maßnahmen, um den "Mangel an Gegenseitigkeit beim Zugang zum öffentlichen Beschaffungswesen in Drittländern" zu beheben.

Mit dem Plan sollen zudem Schritte erfolgen, um den CO2-Ausstoß "energieintensiver Industrien" zu senken und diese zu modernisieren, den Bereich nachhaltige und intelligente Mobilität zu stärken, Energieeffizienz zu fördern sowie eine ausreichende und konstante Versorgung mit kohlenstoffarmer Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen zu gewährleisten. Vorgesehen ist etwa auch ein Aktionsplan für Immaterialgüterrechte, um die technologische Unabhängigkeit zu wahren, gleiche Wettbewerbsbedingungen weltweit zu fördern, einschlägige Gesetze an den ökologischen und digitalen Wandel anzupassen sowie den "Diebstahl geistiges Eigentums" zu bekämpfen.

Parallel hat sich die Kommission vorgenommen, die "Risiken und Bedürfnisse verschiedener industrieller Ökosysteme systematisch" zu analysieren. Dafür will sie eng mit einem offenen Industrieforum zusammenarbeiten, das bis September 2020 eingerichtet werden soll. Es wird sich aus Vertretern aus Wirtschaft sowie Wissenschaftler, von Sozialpartner, der Mitgliedstaaten und der EU-Institutionen zusammensetzen. Als Beispiel für ein solches System nannte Binnenmarktkommissar Thierry Breton neben dem Gesundheitssektor oder der Biotechnologie die Automobilindustrie. Diese beschäftige europaweit an sich rund 2,5 Millionen Arbeitnehmer, mit Zulieferern und Dienstleistern komme man aber auf fast 30 Millionen.

Den Fahrplan für die Industrie ergänzt etwa eine spezielle Strategie für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Diesen will die Kommission spezielle Nachhaltigkeitsberater und Mittelstandsbotschafter in allen Mitgliedsstaaten zur Seite stellen sowie sie über Zentren für digitale Innovation in allen Regionen Europas mit Know-how versorgen. Ein Fonds für Börsengänge soll dafür sorgen, dass mittelständische Firmen einfacher Kapital beziehen können. Eine alternative Streitbeilegung für KMU soll erleichtert und die prompte Rechnungsbezahlung gesichert werden.

In einer Zeit verstärkter Handelskriege und Zeichens von Protektionismus als Gegenbewegung zur Globalisierung gehe es darum, eine zu starke Abhängigkeit von einzelnen Ländern oder Regionen zu verhindern, unterstrich Breton. Jeder, der Geschäfte mit den Europäern machen wolle, sollte ihren Regeln folgen. Zuvor hatte er mehrfach für einen Abschied von der Idee plädiert, dass niedrige Verbraucherpreise das zentrale Ziel der Industriepolitik sein müssten. Dazu findet sich in den Dokumenten aber nichts Konkretes.

Europa sollte mutig sein und den Anspruch verfolgen, "künftig eine Schlüsselrolle in Bereichen der Internetsicherheit und Künstlicher Intelligenz zu übernehmen und so eine Vorbildfunktion für eine verantwortungsvolle Datenpolitik zu verfolgen", forderte der eco-Verband der Internetwirtschaft. Bereits jetzt habe ein Großteil der EU-Mitgliedstaaten erkannt, "dass hohe ethische und datenschutzkonforme Standards zielführend im internationalen Wettbewerb sind und so als originär europäische strategische Faktoren eingesetzt werden können".

Die EU müsse "eigene wirtschafts- und industriepolitische Akzente setzen, um wettbewerbsfähiger zu werden, technologische Kapazitäten zu entwickeln und Abhängigkeiten zu verringern", stieß der IT-Verband Bitkom in ein ähnliches Horn. Die Kommission tue nun gut daran, das neue Vorhaben mit den parallelen Strategien etwa für Künstliche Intelligenz zu verzahnen "und bei der Vielzahl an Einzelmaßnahmen die richtigen Prioritäten zu setzen". (vbr)