EU-Parlament fordert Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt im Internet

Die EU-Abgeordneten wollen Cyberstalking, sexistische Hetze, Handy-Zugriffe & Co. zum Schutz von Frauen und LGBTIQ-Personen unter Strafe gestellt wissen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 42 Kommentare lesen

(Bild: Shutterstock.com/SFIO CRACHO)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Mit großer Mehrheit von 513 zu 122 Stimmen bei 58 Enthaltungen hat das EU-Parlament am Dienstag eine europäische Richtlinie gefordert, um geschlechtsspezifische Cybergewalt zu bekämpfen und potenziell bereits bestehende einschlägige nationale Vorschriften zu vereinheitlichen. Die Abgeordneten appellieren vor allem an die EU-Kommission, Gewalt im Internet gegen Frauen und LGBTIQ-Personen (Lesbisch, Schwul, Bi, Trans- und Intersexuell sowie Queer) unter Strafe zu stellen.

Die Volksvertreter rufen in der verabschiedeten Resolution nach einer gemeinsamen Definition von geschlechtsspezifischer Gewalt im Netz. Nötig seien harmonisierte Mindest- und Höchststrafen bis hin zu drohendem Gefängnis. Den Ministerrat fordert das Parlament auf, die Liste der "EU-Straftaten" zu erweitern. Dabei sei geschlechtsspezifische Gewalt als Bereich "besonders schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension einzustufen".

Mit dem Gesetz wollen die Abgeordneten sicherstellen, dass Strafverfolger gegen eine breite Palette an Handlungen vorgehen können. Die lange Liste umfasst etwa Online-Belästigung, Cyberstalking, Verletzungen der Privatsphäre, und die Aufnahme und Weitergabe von Bildern sexueller Übergriffe.

Auch die Kontrolle oder Überwachung aus der Ferne etwa über Spionage-Apps, Bedrohungen und Aufrufe zur Gewalt, sexistische Hetze und ein unrechtmäßiger Zugriff auf Handys sollen eingeschlossen sein. Genannt werden ferner das Anstiften zu Selbstverletzungen, Verstöße gegen gerichtliche auferlegte Kommunikationseinschränkungen und Menschenhandel.

Geschlechtsspezifische Gewalt werde teilweise oder ganz durch den Einsatz etwa von Mobiltelefonen, Internet, Social-Media-Plattformen und E-Mail begangen, erleichtert oder verschlimmert, schreibt das Parlament. Sie richte sich gegen Frau oder LGBTIQ-Personen etwa aufgrund ihrer Geschlechtsidentität und führe zu körperlichem, sexuellem, psychologischem oder wirtschaftlichem Schaden. Dies könne die Androhung solcher Handlungen, Nötigung oder willkürlichen Freiheitsentzug im öffentlichen oder privaten Leben einschließen.

Besorgt zeigen sich die Volksvertreter etwa über die Vermarktung von Technologie wie "Stalkerware", die sexuellen Missbrauch erleichtere. Sie weisen darauf hin, dass Online-Plattformen im Kampf gegen das gesamte Phänomen eine wichtige Funktion übernehmen müssten. Nötig seien etwa "zeitnahe und zugängliche Meldeverfahren, der Schutz der Privatsphäre von Betroffenen im und angemessene Rechtsbehelfe.

Das Parlament macht sich für eine "wirksame Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden, Technologieunternehmen und Diensteanbietern" stark. Diese sollte "in vollem Einklang mit den Grundrechten und -freiheiten und den Datenschutzvorschriften" stehen.

Die Initiative begründen die Abgeordneten damit, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie LGBTIQ-Personen in der EU weitverbreitet und als "extreme Form der Diskriminierung zu verstehen" sei. Sie könne "enorme Auswirkungen auf die Opfer und ihre Familien und Gemeinschaften" haben und stelle eine Verletzung der Menschenrechte dar, "die in der Ungleichbehandlung der Geschlechter begründet ist". Zugleich trage sie zu dieser bei und verstärke sie noch.

Einschlägige Taten können laut der Entschließung schwerwiegende und lebenslange Folgen für die physiologische und psychische Gesundheit Opfer haben wie Stress, Konzentrationsprobleme, Angstzustände, Panikattacken, geringes Selbstwertgefühl, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörung, soziale Isolation, mangelndes Vertrauen und Gefühl des Kontrollverlusts, Angst, Selbstverletzung und Suizidgedanken.

Dies habe auch negative wirtschaftliche Folgen, argumentieren die Abgeordneten. Betroffene könnten in ihrer Fähigkeit eingeschränkt sein, sich Arbeit zu suchen, und finanziellen Belastungen unterworfen sein. Laut einer Studie lägen die Gesamtkosten von Belästigung und Stalking im Internet schätzungsweise zwischen 49 und 89 Milliarden Euro, wobei die größte Kategorie auf den Wert des Verlusts an Lebensqualität entfalle.

Geschlechtsspezifische Gewalt im Netz führe auch oft zu Selbstzensur, heißt es in dem Beschluss. Opfer nutzten nur Pseudonyme, äußerten sich im Internet nur noch zurückhaltend, löschten ihre Online-Konten oder gäben ihren Beruf komplett auf. Dies könnte zur Folge haben, "dass die Stimmen und Meinungen von Frauen zum Verstummen gebracht werden". Trotzdem berücksichtigen 15 Mitgliedstaaten die Geschlechtsidentität nicht in ihren Rechtsvorschriften gegen Hetze.

Weiter heben die Volksvertreter hervor, dass die Corona-Pandemie zu einem "dramatischen Anstieg von Gewalt und Missbrauch in Paarbeziehungen geführt hat". Diese "Schattenpandemie" schließe körperliche, psychologische, sexuelle und wirtschaftliche Gewalt sowie deren Online-Dimension ein, da sich ein größerer Teil des sozialen Lebens der Menschen ins Internet verlagert habe. Opfer seien so – bei tendenziell weniger leicht verfügbaren Hilfsangeboten – gezwungen worden, "mehr Zeit mit den Tätern zu verbringen".

Als Gegenmittel erachtet das Parlament auch "eine breite Vermittlung von digitaler Bildung, Kompetenzen und Fertigkeiten wie Cyberhygiene und Netiquette". Damit könnte einer missbräuchlichen Nutzung sozialer Medien vorgebaut und die Selbstbestimmung der Nutzer gefördert werden. Die Entwicklung von Überwachungssoftware sollte gegebenenfalls reguliert werden mit dem Ziel, die Grundrechte besser zu schützen. Verboten werden sollten Apps, die ohne klare Hinweise und Einwilligung des Nutzers spionieren.

Die Kommission hat für März einen Gesetzesvorschlag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen angekündigt, der den Online-Bereich mit abdecken soll. Hierzulande beschloss der Bundestag im Juni ein Gesetz, das ein schärferes Vorgehen gegen Cyberstalking und Rachepornos ermöglichen soll.

(mho)