EU-Sanktionen: Kein Swift-Ausschluss für Russland – Deutschland in der Kritik

Die EU hat nun auch Sanktionen direkt gegen Putin verhängt. Das schärfste Schwert zieht sie aber nicht. Dafür wird vor allem Deutschland verantwortlich gemacht.

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(Bild: Graphics Master/Shutterstock.com)

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Als Reaktion auf den russischen Einmarsch in die Ukraine verhängt die Europäische Union nun auch gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow Sanktionen. Möglicherweise in der EU vorhandene Vermögen der beiden Politiker sollen eingefroren werden. Für diplomatische Gespräche sollen sie nach den jüngsten Angaben aber weiter in die EU einreisen dürfen.

Die EU-Außenminister beschlossen die neue Strafmaßnahme als Teil eines großen Sanktionspakets noch am Freitag endgültig. Unklar blieb zunächst, ob Putin und Lawrow Vermögen in der EU haben, das eingefroren werden könnte. Wenn nicht, wären die Maßnahmen rein symbolischer Natur. Auf die Grundzüge der Strafmaßnahmen hatten sich bereits am Donnerstag die Staats- und Regierungschefs bei einem EU-Sondergipfel verständigt.

Die Wirtschaftssanktionen betreffen unter anderem die Bereiche Energie, Finanzen und Transport sowie Exportkontrollen für bestimmte Produkte. Das schärfste Sanktionsschwert sollte aber wegen des Widerstands Deutschlands und einiger anderer Mitgliedstaaten nicht enthalten sein: der Ausschluss Russlands aus dem Banken- Kommunikationsnetzwerk Swift, mit dem russische Banken quasi vom globalen Finanzsystem abgeschnitten würden.

Swift ist eine in Belgien ansässige Organisation, die ein Kommunikationsnetzwerk für Banken betreibt, Nachrichtenformate dafür standardisiert und Software und Dienste rund um dieses Netzwerk anbietet. Weltweit nutzen 11.000 Geldinstitute und Finanzunternehmen das für ihren Nachrichten- und Zahlungsverkehr. Ein Ausschluss davon hätte zum Beispiel gravierende Folgen für die Fähigkeit eines Landes, Außenhandel zu betreiben. Swift ist als Genossenschaft in Hand der Banken organisiert und unterliegt EU-Recht. Verhängt die EU also entsprechende Sanktionen, muss Swift dem folgen.

2012 wurde der Iran von Swift gesperrt, Grund waren von der EU verhängte Sanktionen wegen des iranischen Atomprogramms. 2016 folgte der Wiederanschluss. 2018 wurde der Iran dann erneut ausgeschlossen. 2017 wurden Nordkorea, 2021 Afghanistan ausgeschlossen.

Russland hat bereits 2014 seine Zentralbank eine Swift-kompatible Alternative namens SPFS entwickeln lassen, wohl um solchen Sanktionen zu entgehen. Eigenen Angaben zufolge sind rund 400 Banken angeschlossen, das dürften aber vor allem russische Banken sein. Ein Bericht der russischen Nachrichtenagentur Tass nannte 2021 lediglich 23 ausländische Banken aus Armenien, Belarus, Deutschland, Kasachstan, Kirgisistan und der Schweiz als SPFS-Nutzer. Allerdings ist SPFS auch mit Chinas Interbank-Zahlungssystem Cips (Cross-Border Interbank Payment System) verbunden.

Trotz des Verzichts darauf, die Swift-Karte zu spielen, sprach Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) von wirksamen Sanktionen: "Wir treffen das System Putin dort, wo es getroffen werden muss, eben nicht nur wirtschaftlich und finanziell, sondern in seinem Machtkern", sagte sie. Mit Blick auf das gesamte Paket fügte sie hinzu: "Das wird Russland ruinieren."

Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz Verzicht auf einen Swift-Rausschmiss mit strategischen Erwägungen begründet. Man solle zunächst bei dem über die vergangenen Wochen vorbereiteten Sanktionspaket bleiben, sagte er. Alles andere müsse man sich "aufbehalten für eine Situation, wo das notwendig ist, auch noch andere Dinge zu tun". Was das für eine Situation sein könnte, sagte Scholz allerdings nicht.

Die zögerliche Haltung der Bundesregierung sorgt innerhalb der EU und in der Ukraine für Unmut. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte mit Blick auf die Luftangriffe auf die Ukraine und den Vormarsch russischer Bodentruppen auf Kiew: "Haben die gestrigen Sanktionen Russland überzeugt? Am Himmel über uns und auf unserer Erde hören wir, dass dies nicht ausreicht." Selenskyj fügte hinzu: "Wir verteidigen unseren Staat allein. Die mächtigsten Kräfte der Welt schauen aus der Ferne zu."

Der polnische Oppositionsführer und frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk wurde noch deutlicher. "Diejenigen EU-Regierungen, die harte Entscheidungen blockiert haben, haben Schande über sich selbst gebracht", schrieb Tusk am Freitag auf Twitter. Als Beispiele nannte er Deutschland, Ungarn und Italien. Die derzeitigen Strafmaßnahmen sind nach Ansicht von Tusk wirkungslos. "In diesem Krieg ist alles real: Putins Wahnsinn und Grausamkeit, ukrainische Opfer, die auf Kiew fallenden Bomben", kommentierte er. Die Sanktionen würden allerdings nur vorgetäuscht.

Die Bundesregierung verteidigte ihre demgegenüber ihre Zurückhaltung. "Eine Aussetzung von Swift wäre technisch aufwendig vorzubereiten, hätte auch massive Auswirkungen auf den Zahlungsverkehr in Deutschland und für deutsche Unternehmen im Geschäft mit Russland", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Deutschland sei beim EU-Gipfel in der Nacht zu Freitag mit seinen Bedenken auch nicht alleine gewesen. "Ich habe wahrgenommen, dass unter anderem Frankreich und Italien auch Einwände erhoben haben."

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würdigte das Sanktionspaket als Zeichen der Einheit der EU. "Unsere Einigkeit ist unsere Stärke", sagte sie. Der russische Präsident Wladimir Putin versuche, die Landkarte Europas neu zu zeichnen. "Er muss und er wird scheitern."

Bei den beschlossenen Sanktionen gegen den Finanzsektor geht es vor allem darum, Banken von den EU-Finanzmärkten abzuschneiden. Sie sollen sich in der EU künftig kein Geld mehr ausleihen und auch kein Geld mehr verleihen können. Zudem soll die Refinanzierung von russischen Staatsunternehmen in der EU verhindert werden. Ähnliches ist für den Energiesektor geplant.

Bei den Sanktionen gegen den Transportsektor geht es vor allem darum, die russische Luftverkehrsbranche und Eisenbahn von der Versorgung mit Ersatzteilen und anderer Technik abzuschneiden. Damit könne man mit relativ kleinem Aufwand riesige Wirkung erzielen und sogar ganze Flugzeugflotten stilllegen, hieß es am Donnerstag in Brüssel.

Die Exportkontrollen für Hightech-Produkte und Software sollen es auch anderen russischen Schlüsselindustrien schwer machen, sich weiterzuentwickeln. Dabei könne das Land mittel- und langfristig schwer getroffen werden, hieß es in Brüssel. Zudem sind Einschränkungen bei der Visavergabe vorgesehen, die sich gegen Russen richten, die bislang privilegierte Einreisemöglichkeiten in die EU hatten. Dazu zählen neben Diplomaten beispielsweise auch Geschäftsleute.

(axk)