Eine halbe Million deutschsprachige Artikel in der Wikipedia

Die nächsten Herausforderungen für die freie Online-Enzyklopädie sind nicht in der Quantität, sondern in der Qualität der Artikel zu suchen.

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Von
  • Torsten Kleinz

Die Wikipedia hat den nächsten großen Meilenstein genommen. Um 2:03 Uhr in der Früh erstellte der Wikipedia-Nutzer Marcus Cyron den Artikel über die Eisschnellläuferin Janina Korowicka. Dies ist der fünfhunderttausendste Eintrag in der deutschsprachigen Ausgabe der freien Online-Enzyklopädie.

Mit über 200 Millionen Wörtern ist die Wikipedia nach Angaben des Vereins Wikimedia Deutschland zum größten deutschsprachigen Nachschlagewerk aller Zeiten geworden – und benötigte dazu weniger als sechs Jahre. Das Wachstum ist enorm: der Artikelbestand hat sich in weniger als anderthalb Jahren verdoppelt: Im Sommer 2005 wurde der zweihundertfünfzigtausendste Artikel gefeiert, die Marke von 100.000 Artikeln fiel im Januar 2003. Die deutschsprachige Ausgabe ist die zweitgrößte Ausgabe weltweit. Die englische Ausgabe durchbricht in Kürze die Grenze von 1,5 Millionen Artikeln.

Derzeit kommen in der deutschen Ausgabe jeden Tag etwa 500 Artikel hinzu, die bestehenden Artikel werden laufend überarbeitet. Die Arbeit wird komplett von freiwilligen Helfern erledigt, es gibt keine bezahlte Redaktion. Laut Wikipedia-Statistik haben bisher rund 35.000 Wikipedianer mit jeweils mehr als zehn Beiträgen an dem Projekt mitgewirkt, nicht gezählt sind dabei die vielen Nutzer, die zu dem Projekt ohne einen Benutzeraccount beitragen.

In den vergangenen Jahren ist die freie Online-Enzyklopädie in die Top10 der meist aufgerufenen Webseiten aufgerückt. Nach Schätzungen verzeichnet die deutschsprachige Ausgabe derzeit rund 300 Millionen Seitenaufrufe pro Monat. International wird das Projekt mit seinen weit über 100 Sprachausgaben jeden Monat von 154,8 Millionen Besuchern genutzt und steht damit auf Platz 6 aller Websites. "Diese Zahlen belegen auf eindrucksvolle Weise, dass es einen enormen Bedarf an aktuellem, frei verfügbarem Wissen gibt", erklärt Kurt Jansson, Vorsitzender von Wikimedia Deutschland.

Diese Besucheranzahl benötigt eine leistungsfähige Infrastruktur. Vor kurzem hat der deutsche Verein deshalb 15 neue Server angeschafft, die in einem niederländischen Rechenzentrum als Zwischenspeicher für Nutzer aus Europa dienen und damit Zugriffe auf das Online-Lexikon beschleunigen sollen. Insgesamt werden für den Betrieb des Mammut-Projekts knapp 300 Server eingesetzt, die sich überwiegend in den USA befinden und von der in Florida ansässigen Wikimedia Foundation betrieben werden. Auch um die Technik kümmern sich bei Wikimedia überwiegend Freiwillige. Das Projekt finanziert sich durch Spenden.

Die nächsten Herausforderungen sind nicht in der Quantität, sondern in der Qualität der Artikel zu suchen. Die Wikipedia wird immer wieder wegen kleinerer oder größerer Ungenauigkeiten oder Fehlinformationen kritisiert. Wirklich hochqualitative Artikel sind in der Minderheit: Gerade einmal zwei Promille Artikel sind maximal als Exzellente Artikel markiert.

In Zukunft sollen die Anstrengungen bei der Qualitätskontrolle noch weiter intensiviert werden, um die Verlässlichkeit für den Leser zu verbessern. "Einer der zentralen Erfolgsfaktoren des Projekts ist seine Offenheit und Aktualität, die auch bei aktuellen Ereignissen sichtbar wird", erklärt Jansson. Noch während der Ankündigung des Rücktrittes des US-Verteidigungsministers Rumsfeld am 8. November seien beispielsweise in vielen Sprachausgaben biographische Artikel über den designierten Nachfolger Rumsfelds, den ehemaligen CIA-Direktor Robert Gates, entstanden. Diese Aktualität geht aber auch zulasten der Zuverlässigkeit: So wurde die Wikipedia wegen dort veröffentlichten Spekulationen über die Todesursache des Enron-Managers Kenneth Lay kritisiert. Die Erhöhung der Zuverlässigkeit ist für die Betreiber der Wikipedia eine Gratwanderung: Auf der einen Seite möchten sie die Seite für Bearbeitungen von jedermann offen halten, auf der anderen Seite haben die freiwilligen Betreuer große Probleme den alltäglichen Vandalismen und unbeabsichtigt eingestellten Falschinformationen zu kämpfen.

Wikipedia-Gründer Jimmy Wales hatte daher die Einführung "stabiler" Artikelversionen angekündigt: Bestimmte Artikelversionen sollen als nicht-vandalisiert markiert werden, um den ungeübten Leser nicht mit verunstalteten Artikeln zu konfrontieren. In einem weiteren Schritt ist geplant "geprüfte" Artikelversionen einzuführen, bei denen jeder einzelne Fakt in einem Wikipedia-Artikel gegengelesen wird. Doch das Projekt verzögert sich bereits seit Monaten. Der erste Testlauf des neuen Features soll in der deutschsprachigen Wikipedia stattfinden. Larry Sanger, einer der Gründer der Wikipedia, hatte aus Frust über die "Amateurausrichtung" der Netz-Enzyklopädie sogar eine Abspaltung vorgeschlagen, die klassische Redaktionsprozesse und mehr Akademiker in das Projekt einbinden soll. Das Citizendium-Projekt steckt aber noch in der Vorbereitungs- und Diskussionsphase. (Torsten Kleinz) / (jk)