Elektronische Gesundheitskarte: IT-Branche warnt vor Moratorium

Der Branchenverband Bitkom warnt vor einem Milliardenverlust, sollte die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ausgesetzt werden, wie es derzeit Union und FDP in ihren Koalitionsverhandlungen diskutieren.

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Von
  • Detlef Borchers

Der IT-Branchenverband Bitkom hat die Politik eindringlich vor einem Moratorium bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) gewarnt. Union und FDP diskutieren im Rahmen ihrer Koalitionsverhandlungen derzeit, die gerade begonnene Kartenausgabe auszusetzen. Sollte der angelaufene Rollout der eGK gestoppt werden, drohe der deutschen IT-Industrie ein Milliardenverlust, erklärte Pablo Mentzinis, der beim Bitkom für den öffentlichen Sektor zuständig ist, am heutigen Donnerstag in Berlin.

Zu den Vorleistungen in Höhe von 300 Millionen Euro, die die IT-Branche erbracht habe, kämen die 600 Millionen Euro, die von den Krankenkassen bereits für die Kartenproduktion ausgegeben worden seien. Außerdem seien die Kosten für den Kauf neuer Terminals zu berücksichtigen, die die Ärzte als Fehlinvestition abschreiben könnten. Mentzinis machte zudem auf zusätzlich anfallende Kosten aufmerksam: Durch ein Moratorium müssten Krankenkassen die herkömmliche Krankenversichertenkarte (KVK) mit einem Foto produzieren, um den gesetzlichen Anforderungen nachzukommen.

Eine positive Rechnung präsentierte Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer. Er bezifferte die Investitionskosten für die eGK mit einmalig 1,7 Milliarden Euro und jährlichen Kosten von 150 Millionen Euro. Diesen Kosten stünden Einsparungen von jährlich 1 Milliarde Euro durch unterbundenen Kartenmissbrauch gegenüber. Außerdem könnten durch das elektronische Rezept 200 Millionen und dank geringerer Behandlungskosten 500 Millionen Euro pro Jahr gespart werden. So seien die Ausgaben für die eGK in kürzester Zeit amortisiert. "Wir sind in der EU das einzige Land neben Spanien, dass kein vergleichbares System der Vernetzung im Gesundheitswesen eingeführt hat", erklärte Scheer. Ein Stopp der aktuellen Entwicklung würde dazu führen, dass die deutsche IT-Branche keine Chance habe, ihr Know-How exportieren zu können. Deutschland würde in einem zukunftsträchtigen Technologiefeld wieder einmal die rote Laterne übernehmen, mahnte der Bitkom-Vorsitzende.

Scheer präsentierte außerdem die Ergebnisse einer Umfrage (PDF-Datei) über den Umgang mit ärztlichen Unterlagen, die unabhängig von der elektronischen Gesundheitskarte sind. Danach lässt sich fast jeder zweite Patient Untersuchungsunterlagen vom Arzt aushändigen, um Herr über seine Daten zu sein. Dieser "überraschende Wert" sei nur bei älteren Personen nicht erreicht, denen die Frage nach Unterlagen unangenehm sei, weil sie ein Misstrauen gegenüber dem Arzt ausdrücke. Insgesamt belege die Umfrage, dass deutsche Versicherte mündige Versicherte sein wollen.

Mentzinis wies bei seiner eindringlichen Warnung vor dem Moratorium besonders auf das Verschlüsselungsproblem hin. Es führe nach den Schlüssel-Vorgaben durch das BSI dazu, dass ab 2016 ohnehin neue Karten (die sogenannte Generation 1) mit neuen Verschlüsselungsverfahren eingeführt werden müssten. Sollte jetzt die eGK gestoppt werden, würde dies dazu führen, dass die aktuellen Karten (die Generation 0) nutzlos sind und die eigentlichen Gesundheitskarten erst später produziert werden. "Wir haben die ernste Sorge, dass die Kartenhersteller in dieser Situation aussteigen."

Ungeachtet der Warnungen der Industrielobby und der Verhandlungen der Koalitionswilligen gehen die Arbeiten an der eGK voran. So beginnt die für die Karteneinführung verantwortliche Projektgesellschaft Gematik damit, mehrtägige Workshops für Sicherheitsexperten anzubieten. Ziel ist es, qualifiziertes Fachpersonal heranzubilden, das den Einsatz der neuen Technik in Arztpraxen und Kliniken sowie später in Apotheken prüfen und begutachten kann.

(vbr)