Embodied Intelligence: Das Gehirn als Vorhersagemaschine
Im International Workshop on Embodied Intelligence wird diskutiert, wie stark die Umwelt nicht nur durch den Geist, sondern auch den Körper verstanden wird.
Was man nicht im Kopf hat, muss man in den Beinen haben – in Sprichwörtern wie diesem kommt immer noch die Vorstellung zum Ausdruck, dass Geist und Körper zwei Bereiche seien, die wenig miteinander zu tun haben. Dabei ist die Forschung zu Intelligenz und Kognition längst darüber hinaus. Im International Workshop on Embodied Intelligence werden diese Woche die verschiedenen Ansätze zum Zusammenspiel von Körper und Denken diskutiert.
KI mit Körpererfahrung
Yasuo Kuniyoshi (University of Tokyo), der die Veranstaltung mit einem Plenarvortrag eröffnete, ist überzeugt, dass nur durch Einbeziehung des Körpers eine allgemeine künstliche Intelligenz geschaffen werden könne, die nicht nur eng definierte Aufgaben wie Spracherkennung oder Schachspielen bewältigt, sondern sich am menschlichen Verstand orientiert.
Das Embodiment (ein Begriff, für den sich bislang keine deutsche Übersetzung etabliert hat) sei die Basis für die Entwicklung von menschlichem Verhalten und Denken. Das zeige sich bei menschlichen Embryos, deren Gehirn sich im Wechselspiel von Körper, Umwelt und Nervensystem forme. Diese dynamischen Interaktionen bewirkten einen Informationsfluss zwischen Muskeln und Gehirn, bei dem das Embodiment bedeutsame Grenzen setze, sowohl für die sensorischen Signale wie für die motorischen Aktivitäten. Aus zufällig generierten Bewegungen würde so nach und nach zielgerichtetes Verhalten. Diese Entwicklung versucht Kuniyoshi mit dem Computermodell eines Fötus ebenso wie mit dem Baby-Roboter Noby nachzuvollziehen.
Kuniyoshi geht davon aus, über das Embodiment auch die Entstehung von sozialem Verhalten, von Emotionen und Bewusstsein nachvollziehen zu können. Bestärkt wird er darin durch die Beobachtung, dass sich bereits bei 6 Monate alten Kindern noch vor dem Spracherwerb ein Gefühl für Moral und Gerechtigkeit beobachten lässt. Emotionen gingen aus dem Zusammenspiel von Neuronen im Cortex, kardiorespiratorischer Dynamik und Neuromodulatoren hervor. Bewusstsein wiederum erwachse aus integrierter Information.
Zukunft voraussehen
Andy Clark (University of Sussex) unterstrich diese Aussage: "Das Embodiment steht im Zentrum aller Mysterien über das Bewusstsein", sagte er. Entscheidend sei die Fähigkeit, die Zukunft vorherzusehen. Diese Idee vom Gehirn als einer "Vorhersagemaschine" steht auch im Zentrum des Projekts X-Spect und schwingt mit in dem von mehreren Rednern erwähnten Konzept des "predictive coding". Demnach strebt das Gehirn danach, Vorhersagefehler zu minimieren, indem es seine internen Modelle anpasst oder die Umwelt aktiv verändert. Wodurch genau dieser Prozess vorangetrieben wird, zählt zu den offenen Fragen dieses Forschungsgebiets.
Eher beiläufig warf Kuniyoshi am Ende seines Vortrags den Gedanken in den Raum, dass Intelligenz ein anthropomorphes Konzept sei, sich die Vorstellungen vom Denken also möglicherweise zu eng am menschlichen Vorbild bewegten.
Tierische KI und auĂźerirdische Formen
Für die Konferenzteilnehmer gilt das wohl eher nicht. So bezog sich Cecilia Laschi (National University of Singapore) ausführlich auf den Oktopus, der beim Laufen nur zwei seiner acht Arme kontrollieren müsse, und stellte mit SILVER (Seabed-Interaction Legged Vehicle for Exploration and Research) einen nach diesem Vorbild konstruierten Roboter vor. Matthew Crosby (Imperial College London) spannte einen Fächer vernunftbegabter Wesen auf, der vom Menschen über den Oktopus und außerirdische Lebewesen bis zur Künstlichen Intelligenz (KI) reichte. Er schlug vor, die Leistungsfähigkeit von KI im Animal-AI Testbed anhand von Aufgaben zu testen, die ursprünglich für Tiere konzipiert wurden.
Der Roboter schließlich, den Oswald Berthold vom Berliner Startup Jetpack Cognition Lab vorstellte, ähnelte weder einem Menschen noch irgend einem anderen irdischen Lebewesen. Flatcat nennt sich das seltsame, wuschelige Geschöpf, das sich auf unvorhersehbare, rätselhafte Weise bewegt. Es könne Kräfte wahrnehmen, sei lernfähig und verfüge über eine intrinsische Motivation, so Berthold. Firmenmitgründer Matthias Kubisch nennt auf Nachfrage als weiteren Grund für das ungewöhnliche Embodiment die "Funktionsehrlichkeit": "Wir möchten den Leuten keine Roboter präsentieren, die durch ihr Äußeres eine Erwartungshaltung wecken, die nicht erfüllt werden kann."
Für die Erfüllung praktischer Aufgaben ist Flatcat in Ermangelung entsprechender Aktuatoren offensichtlich ungeeignet. Unterhaltsam ist es aber schon, ihm zuzusehen, wie das Video von Flatcat (siehe unten) zeigt. Und für die Forschungen zur Embodied Intelligence mag es sich als inspirierend erweisen, welche Fähigkeiten dieser Roboter mit dem seltsamen Körperbau im Lauf der Zeit noch entwickelt. Beim Workshop punkteten die Berliner allein schon dadurch, dass sie sich trauten, den Roboter live vor der Kamera vorzuführen.
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GroĂźes Interesse
Der noch bis Freitag laufende International Workshop on Embodied Intelligence ist nach Aussage der Organisatoren aufgrund der Zahl der angemeldeten Teilnehmer schon jetzt die bislang größte wissenschaftliche Tagung zu diesem Thema. Zeitweise folgten am ersten Tag über 350 Zuhörer in einem Zoom-Meeting den Ausführungen der Referenten. Die Möglichkeit, eigene Forschungen in Kurzvorträgen vorzustellen, wurde von so viel Teilnehmern genutzt, dass dafür parallele Sitzungen eingerichtet werden mussten. Der Workshop bietet dadurch ein einzigartiges Panorama der derzeitigen Forschungslandschaft zu Embodied Intelligence.
(kbe)