Empfehlung von Expertenrat: Heilende Phagen schneller in die Praxis bringen

Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag empfiehlt, das Potenzial von Viren, die Bakterien töten, künftig besser auszuschöpfen.

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Phagen (Illustration)

(Bild: Shutterstock / ART-ur)

Lesezeit: 2 Min.

Jedes Jahr sterben in Europa mehr als 35.000 Menschen, weil Antibiotika nicht mehr wirken. Sogenannte Phagen – Viren, die Bakterien töten – könnten helfen, die Zahl zu senken, und vielen Menschen Leid ersparen. Doch bisher kommt die Phagentherapie in Deutschland nur in Ausnahmefällen zum Einsatz. Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) beim Deutschen Bundestag empfiehlt nun, ihr heilendes Potenzial künftig besser auszuschöpfen. Um schnell voranzukommen, ist es dem aktuellen Bericht zufolge nötig, die Phagen-Forschung gezielter zu fördern, spezielle Zulassungsprogramme und wirtschaftliche Anreize zu schaffen sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen anzupassen.

Zwar fehlt noch ein Wirksamkeitsnachweis aus großen klinischen Studien. Doch immer wieder sorgen Fall-Untersuchungen für Aufsehen, in denen Menschen mit hartnäckigen Infektionen dank einer sogenannten magistralen Phagentherapie geheilt werden konnten. Dabei kommen Phagen zum Einsatz, die speziell für die Bakterien eines bestimmten Patienten ausgesucht wurden. Ein Handlungsleitfaden aus Belgien, der Standards für solche Therapien setzt, könnte zur Blaupause für alle Länder Europas werden. In der EU wird eine entsprechende Regulierung gerade diskutiert.

Auch Standardmedikamente gegen bestimmte Keime ließen sich aus Phagen herstellen. Ein Cocktail aus drei Phagen gegen den Krankenhauskeim pseudomonas aeruginosa beispielsweise wird in den nächsten Monaten in ersten klinischen Tests an der Charité in Berlin zeigen, was er kann.

Bisher deutet nichts darauf hin, dass Phagen, sofern sie sorgfältig aufbereitet werden, unerwünschte Nebenwirkungen haben. Im Gegenteil: Phagen sind hart zu Keimen, aber sanft zum Körper. Anders als Antibiotika wirken sie ganz gezielt nur gegen eine bestimmte Bakterienart. Nützliche Bakterien im Körper des Menschen, etwa in der Darmflora, bleiben unbehelligt.

Zudem belasten Phagen die Abwässer kaum. Sie dosieren sich quasi selber, vermehren sich in "ihren" Zielbakterien, bevor sie diese regelrecht sprengen. Sobald die Bakterien vernichtet sind, stoppt auch die Phagenproduktion. Da Phagen eine Art natürlicher Feind von Bakterien sind, findet man sie ohnehin praktisch überall, in Pfützen, Kläranlagen und auch im menschlichen Körper.

Ihre heilenden Fähigkeiten sind übrigens keine Neuigkeit. In einigen osteuropäischen Ländern, vor allem Georgien und Polen, sind Phagen schon seit rund 100 Jahren im Einsatz. Sie sind allerdings vielerorts in Vergessenheit geraten, als Antibiotika aufkamen. Die aktuelle Empfehlung des Büros für Technikfolgen-Abschätzung könnte den gewünschten Fortschritt bringen.

Mehr über Phagen:

Warum ein Revival nicht nur wegen des Rats der Experten für den Bundestag immer wahrscheinlicher wird, wie genau Phagen wirken und wie Forschende für den Einsatz dieses besonderen Virentypus in der Medizin schon seit vielen Jahren kämpfen, ist in der aktuellen Ausgabe 5/2023 der MIT Technology Review (jetzt im heise shop) und bei heise+ zu lesen:

(anh)