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Erfahrungswerte: Leica M9 – eine Liebesgeschichte Kommentare

Stefan Wintermeyer

Unter der Reihe "Erfahrungswerte" finden Sie ganz persönliche Ansichten von Foto-Profis zu aktuellen Kameras – mit dem Schwerpunkt auf die praktische Anwendung, weniger auf Messwerte und Testergebnisse. Diesmal an der Reihe: Die Leica M9.

Wieder mit rotem Punkt: Leica M9

Wieder mit rotem Punkt: Leica M9

Ich bin zwar Canon-Anhänger, gebe aber zu, dass das viel mit Zufall zu tun hat. Canon hatte mich irgendwann einmal mit einem Einsteiger-Kit angefixt. Damals dachte ich noch, man braucht hauptsächlich Zeit, ein wenig Talent und interessantes Licht für gute Fotos. Heute weiß ich, dass auch ein lichtstarkes Objektiv (EF 50mm/1,2) und ein Vollformatsensor (5D Mark II) nicht schaden. Nach vielen Experimenten bin ich beim besagten 50-mm Objektiv hängengeblieben und mache damit gefühlte 90% aller Fotos. Das 1:1,2er ist dabei ein Luxus, weil ich das Bokeh des mehr runden Blendenverschlusses dem der eher eckigeren 1:1,4er-Variante vorziehe. Zum Thema Luxus: Die Canon 5D Mark II kostet mit dem 1:1,2er rund 3250 Euro, mit dem 1:1,4er ein gutes Stück unter 3000 Euro, also immer noch kein echtes Schnäppchen.

Es gibt einfach Produkte, die eine latente Sehnsucht freisetzen. In Filmen sieht man immer wieder mal einen Künstler oder einen Reisereporter mit einer Leica M. Je nach künstlerischem Anspruch ist das dann eine M3 (alt mit chemischem Film) oder eine MP (neu mit chemischem Film) oder irgendetwas dazwischen (Der Filmausstatter hatte keine Ahnung). Bei mir hat die jahrelange, versteckte Anpreisung dieser für meine Generation exotische Messsucherkamera (Range-Finder-Kamera) Früchte getragen. Ich wurde immer neugieriger auf das M-Modell von Leica.

Aber erst einmal ein paar Basics zur Grundidee einer Messsucherkamera: Bei einer Spiegelreflexkamera sitzt zwischen Objektiv und Sensor ein Spiegel, der beim Auslösen hörbar weggeklappt wird. Dieser Spiegel liefert das vom Objektiv eingefangene Originalbild in den Sucher. So kann man genau sehen, was später vom Sensor aufgezeichnet wird. Bei einer Messsucherkamera bekommt man nicht das Bild aus dem Objektiv angezeigt, sondern ein parallel von einem separaten Linsen- und Spiegelsystem eingefangenes Bild. Über eine Mechanik wird diese Paralleloptik mit dem Objektiv verzahnt und kann dadurch den aktuellen Fokus des Objektives anzeigen.

Augenfokus statt Autofokus: Über ein zweites Sucherfenster wird ein Mischbild eingespiegelt, das bei Scharfstellung mit dem Sucherbild konvergiert.

Augenfokus statt Autofokus: Über ein zweites Sucherfenster wird ein Mischbild eingespiegelt, das bei Scharfstellung mit dem Sucherbild konvergiert.

Jetzt werden Sie sich fragen: "Wie funktioniert denn da der Autofokus?" Die Antwort ist einfach: Gar nicht. Die Fokussierung erfolgt manuell am Objektiv. Man sieht im Sucher zwei überlagerte Bilder, und wenn diese konvergieren, dann ist das Objektiv auf dieses Motivteil scharfgestellt. Es bedarf keiner großen Fantasie, um nachzuvollziehen, warum seit den 70er Jahren die Spiegelreflexkameras (SLR) immer populärer wurden. Eine SLR ist viel einfacher in der Bedienung – aber auch lauter und größer.

Das einzige, was bei der M9 Geräusch erzeugt, ist der hier verbaute Metall-Lamellen-Schlitzverschluss. Durch den geringeren Abstand des Objektives zum Sensor können im Durchmesser kleinere und einfacher zu korrigierende Linsen verbaut werden. Trotzdem ist Leica der einzige verbliebene Hersteller von Messsucherkameras. Das Autofokus-Argument war für den Consumer-Markt einfach zu wichtig.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: Erste Probefahrt

Eine Leica muss man nicht wie die Katze im Sack kaufen. Man bekommt, eine solvente Ausstrahlung vorausgesetzt, beim Fachhändler problemlos ein Testgerät für einen Tag oder übers Wochenende. Vor rund einem Jahr habe ich das mit dem Vorgänger der M9, der Leica M8.2 gemacht. Was soll ich sagen? Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Die M8.2 und ich sind während des gesamten Wochenendes keine Freunde geworden. Die Arbeit mit dem Schnittbildentfernungsmesser war – sagen wir mal – ungewohnt und deutlich langsamer als die maschinengewehrschnelle Canon 5D. Ich vermisste den Punkt-Belichtungsmesser und die Arbeit mit dem kleinen Sensor (Die Leica M8er-Reihe hatte noch keinen Vollformatsensor) empfand ich als suboptimal.

Aber es gab auch Highlights: Mit der Canon 5D kann man nicht wirklich brauchbar manuell fokussieren und damit sind Fotos durch spiegelnde Glasscheiben (z.B. Schaufenster) schwierig bis unmöglich. Das war für die M8.2 gar kein Problem. So lange man es mit dem Auge erkennt, kann man es auch fokussieren.


Die Kamera fällt nicht auf. Es ist mir ein Rätsel, aber die Leica M scheint für die meisten Menschen unsichtbar zu sein. Mit einer großen Spiegelreflexkamera wird man ständig angesprochen; oft "Fachgespräche", auf die man meistens gut verzichten kann. Mit einer Leica M fühlt man sich wie Harry Potter unter dem Unsichtbarkeitsumhang. Wahrscheinlich bemitleiden einen die meisten sogar, weil man mit so einer "alten" Kamera unterwegs ist.


Die Leica M ist leicht. OK, leicht ist auch hier relativ (Der Body wiegt mit einem 50mm-Summilux 920 g), aber man hängt sich die Leica einfach mit dem Tragegurt um und fertig. Die 5D wiegt mit dem 50mm/1:1.2-Objektiv gute 1,5 kg. Der Unterschied klingt nicht gewaltig, doch wenn man so eine Kamera mal einen ganzen Tag getragen hat, sieht man das anders.

Erfahrungswerte: Leica M9 – eine Liebesgeschichte

Ende 2009 wurde von Leica die M9 vorgestellt. Die kurze Laufzeit der M8 und M8.2 war ein Indiz für den beschränkten Erfolg dieses Modells. Im Unterschied zur "schnellgeschossenen" M8er Reihe hat die M9 einen Vollformatsensor und nicht mehr die allgemein bei der M8 verrissenen Farbprobleme. Ich hatte derweilen andere – zugegeben ein Jammern auf hohem Niveau: Gewicht und Größe der Canon-Ausrüstung und die optische Auffälligkeit der Kamera.

Gerade letzteres ist immer wieder ein Problem. Die Kamera schreit gerade zu nach Aufmerksamkeit, und das ist eigentlich das, was man als Fotograf am wenigsten braucht. Bei den meisten Kompaktkameras dagegen muss man das Bild auf dem Display am Rücken der Kamera komponieren. Für mich nachteilig, von der mangelhaften Lichtstärke der Objektive und den viel zu kleinen Sensoren ganz zu schweigen.

Die Zeit verging und ich erwischte ich mich immer wieder bei der Web-Suche nach M9-Reviews. Vielleicht war ich mit meiner ersten Beurteilung zu vorschnell. Vielleicht brauchten die M und ich einfach mehr Zeit miteinander. Vielleicht war ich ein zu schlechter Fotograf, um die M zu verstehen. Vielleicht war die M9 auch einfach viel besser als die M8.2. Wie auch immer: Ich wollte es noch einmal versuchen. Nur eins war mir klar: An einem Wochenende wird das nichts. Ich musste diesmal mehr Zeit investieren und Leica war so freundlich, mir für diesen Artikel die M9 für einen guten Monat auszuleihen.

Lesen Sie weiter auf Seite 3: Experimentierfreude

Das Auspacken der Kamera erinnert an das von Apple-Produkten. Es ist alles schön durchdacht, sieht gut aus und macht einfach Spaß. Die Kamera an sich erinnert eher an die Technologiesteinzeit: Sie ist klobig und massiv. Zum Testen standen mir die folgenden Objektive zur Verfügung: Summarit 35mm (1:2,5), Summarit 50mm (1:2,5) und das Summilux 50mm (1:1,4).

Die ersten drei Tage waren deprimierend. Die Einstellerei des Objektives war für einen Auto-Fokus-Warmduscher wie mich eine Qual, das ganze Messsuchersystem völlig ungewohnt. Ein paar Mal habe ich ein Bild sogar mit einem Deckel auf dem Objektiv gemacht. Das bestraft die M9 mit einer langen Belichtungszeit, die man nicht abbrechen kann, und einer zweiten Aufnahme mit geschlossenem Verschluss, um für die Rauschunterdrückung bei langen Belichtungen ein Vergleichsbild zu bekommen. Der automatische Weißabgleich ist viel schlechter als bei der Canon; kein echtes Problem, aber trotzdem ärgerlich. Die mittenbetonte Belichtungsmessung war auch nicht mein Ding. Aber hin und wieder gelang auch mal ein Glückstreffer und der hielt mich bei der Stange. Am vierten Tag beschloss ich dann, meine Theoriekenntnisse zu verbessern. Eine moderne Spiegelreflexkamera nimmt einem wahnsinnig viel ab und man verlernt dadurch ein wenig das Denken vorm Abdrücken. Ich fand die kleinen digitalen Helfer immer gut, aber mir wurde langsam bewusst, dass ich das Phänomen Leica M nur über mehr fotografisches Handwerk verstehen konnte.

Ich fing damit an, die Zeitautomatik der M9 und damit meinen geistigen Autopiloten auszuschalten. Ich fühlte mich um mindestens zwei Technik-Generation zurückgesetzt und begann mit den drei Einstellungen: ISO-Wert, Blende und Belichtungsdauer systematisch zu experimentieren. Schnell war klar, dass hohe ISO-Zahlen eher ein Talent der 5D, aber auf keinen Fall der M9 waren. Die mittenbetonte Belichtungsmessung ist für jemanden, der bei einer Spiegelreflexkamera einen einzelnen Punkt anmessen kann, gewöhnungsbedürftig. Da muss man: a) sich reinlesen, b) viel ausprobieren und c) im Zweifelsfall ein Probebild machen und damit nachjustieren. Meine ganze Arbeitsweise änderte sich. Mein Fotografieren wurde vorausschauender und überlegter. Ich schoss mich schnell auf die Summilux 50mm Optik mit 1:1,4 Lichtstärke ein.

In der zweiten Woche verstand ich, warum die für mich ursprünglich antiquiert anmutende Bedienweise der M9 so praktisch ist. Am Anfang macht man sich kurz Arbeit und stellt die Kamera für die gegebene Situation optimal ein. Danach wartet man auf den richtigen Moment und drückt ab. Bei der 5D entscheide ich mich meistens für eine Zeitautomatik und einen bestimmten ISO-Wert. Dabei gebe ich die Blende vor und fokussiere mit halbgedrücktem Auslöser. Dann gehe ich auf einen geeigneten Punkt zur Messung der Belichtung und speichere den durch Drücken eines weiteren Knopfes, den ich zu oft mit dem Knopf daneben verwechsle. Danach komponiere ich den Bildausschnitt und drücke den Auslöser ganz durch. Das wiederhole ich bei jedem Bild, auch wenn sich die Belichtung in dem entsprechenden Raum nicht ändert und sich das Hauptmotiv vielleicht auch gar nicht bewegt.

Ich hatte mir vorher nie Gedanken darüber gemacht, aber die Bedienung der 5D war damit auch nicht gerade einfach. Bei ganz schlechten Lichtsituationen konnte man zudem auch mit der 5D nur ohne Autofokus arbeiten. Dann verzweifelt man aber schnell, weil diese Generation von Kameras dem Fotografen im Sucher keine Hilfestellung gibt: Schnittbild- und Mikroprismen-Mattscheiben waren gestern.

Augenfokus: Funktioniert auch durch spiegelnde Glasflächen.

Augenfokus: Funktioniert auch durch spiegelnde Glasflächen.

Bei der M9 ist der Workflow anders. Auch hier entscheide ich mich am Anfang für einen bestimmten ISO-Wert, den ich im Menü einstelle. Dann stelle ich die Blende ein. Das Einstellrad klickt pro Einstellstufe. Mit etwas Übung geht das auch ohne hinzuschauen. Zum Schluss fokussiert man auf das gewünschte Objekt und misst die Belichtungszeit an einem dafür geeigneten Bereich im Bild. Die Belichtungszeit stellt man mit einem Einstellrad – meist auch wieder ohne hinzuschauen – ein. Die Kamera hilft dem Fotografen mit Pfeilen nach rechts oder links am Fuße des Bildes. Ein runder Punkt ohne Pfeil zeigt an, dass die Belichtung jetzt laut mittenbetonter Belichtungsmessung optimal ist. Ich gebe zu, dass ich hier ganz gerne die Belichtungszeit am unteren Rand eingeblendet bekommen würde. Bei der Zeitautomatik ist dieses Feature merkwürdigerweise aktiv.

Klingt reichlich unpraktisch? Dachte ich mir zuerst auch. Aber der Charme dieser initialen Arbeit liegt darin, dass man dann für die nächsten Bilder in der gleichen Situation "good to go" ist. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich zeitgleich mehrere Faktoren ändern. Normalweise bewegt sich nur das Objekt und man muss nachfokussieren, aber man muss in dem Fall nicht die Belichtungszeit neu einstellen. Man erarbeitet sich einmal eine bestimmte Situation und kann sich dann ganz auf das Bild konzentrieren. Nur fürs Protokoll: Auch die M9 hat zusätzlich zur Zeit- auch eine aktivierbare ISO-Automatik, der man ein Maximum vorgeben kann.

Lesen Sie weiter auf Seite 4: Sucher und Objektive

Das Messsuchersystem der Leica M hat eine ganze Reihe an Besonderheiten. Der Sucher zeigt zum Beispiel mehr an als das eigentliche Bild. Das ist ein Vorteil, weil man noch abdrücken kann, kurz bevor jemand ins Bild geht . Bei der Spiegelreflexkamera ist es dann schon zu spät.

Ein Leuchtrahmen im Sucher zeigt den Bildausschnitt des aktuell benutzen Objektivs. Zusätzlich bekommt man noch ein damit korrespondierendes Objektiv in einem anderen Rahmen angezeigt. Zwei alternative Leuchtrahmen für wiederum andere Brennweiten kann man mit einem kleinen Hebel neben dem Objektiv aktivieren. Man kann somit schon vor einem potentiellen Objektivwechsel abschätzen, ob dieser sinnvoll ist.

Das Bild im Leuchtrahmen ist nie 100% das gleiche Bild wie das vom Sensor eingefange. Da das Messsuchersystem parallel zur Objektivoptik arbeitet, kann es nicht das exakt gleiche Bild anzeigen (sog. Parallaxenfehler). Das ist nicht schönzureden, hört sich aber viel dramatischer an, als es ist. Seit 1953 ist dieses System bei den M-Modellen im Einsatz und ein paar Millimeter Bild mehr rechts oder links machen den Bock nicht fett.

Unauffällig aus der Hand: Bilddaten 1/15 sec bei f/ 1,5, ISO 800, 50 mm (Leica Summilux-M 50mm f/1.4 ASPH.)

Unauffällig aus der Hand: Bilddaten 1/15 sec bei f/ 1,5, ISO 800, 50 mm (Leica Summilux-M 50mm f/1.4 ASPH.)

Die Komposition eines Bildes mit einem solchen System ist eine andere als mit einer Spiegelreflexkamera. Auf der einen Seite sieht man viel mehr, auf der anderen Seite muss man oft nach Gefühl arbeiten. Die Arbeit mit dem Messsuchersystem ist eher ein künstlerischer Akt. Die Arbeit mit einer DSLR ist dagegen von mathematischer Präzision geprägt. Das ist nicht jedermanns Sache.

Bei Porträts ist das Messsuchersystem im Vorteil. Schauen Sie sich bitte einmal in den diversen Foto-Communities Porträts von Leica M-Fotografen im Vergleich zu Proträts von DSLR-Fotografen an. Die Masse der Leica M-Aufnahmen zeigt das vielbeschworene Glitzern in den Augen. Es ist mit dem Messsuchersystem viel leichter, Wimpern zu fokussieren als mit einer Spiegelreflexkamera.

Die Summilux-Optiken kommen sehr nah an perfekte Objektive heran, und es macht eine Riesenfreude, damit zu arbeiten. Man merkt, dass diese keine billigen Massenobjektive sind. Die Wiederkaufspreise von alten Leica-Objektiven auf ebay sprechen für sich. Auch hier mein Tipp: Nutzen Sie die Möglichkeit des Internets und schauen Sie sich Fotos an, die mit Leica-Objektiven gemacht wurden. Wenn Sie von der Art und Weise der Fotos angefixt werden, ist es bereits zu spät, und wenn Sie gar keinen Unterschied sehen, brauchen Sie auch keine Spiegelreflex zu kaufen. Dann reicht auch eine Kompaktkamera mit eingebautem Blitz.

Leica baut seit 1954 Objektive mit einem M-Bajonett-Anschluss. Alle diese Objektive kann man auch an eine moderne M9 anschließen. Seit 2006 werden die gebauten M-Objektive mit einer Art Strichcode ausgestattet, die der digitalen M9 anzeigt, um welches Objektiv es sich handelt. Für alte Objektive kann die optische Codierung im Werk nachgerüstet werden, oder man stellt das Objektiv per Hand im Menü ein.

Lesen Sie weiter auf Seite 5: Lautstärke, Display, Menüführung

Ich habe einmal erlebt, wie ein Pfarrer eine Trauzeremonie mit gut 150 anwesenden Gästen unterbrach, um einen Fotografen wegen der Lautstärke seiner Spiegelreflex zu maßregeln und ihm laut und reichlich unchristlich mit dem Rauswurf zu drohen (so viel zum Hausrecht in einer Kirche). Das sind Situationen, in denen die Leica auftrumpfen kann. Schon in der normalen Einstellung ist das Auslösegeräusch und das Aufziehen des Verschlusses recht leise. Aber die M9 hat mit dem Diskret-Modus noch einen Trick im Ärmel: Mit diesem Modus wird das Auslösen des Verschlusses beim Drücken aktiviert (sehr leise) und der Verschluss erst wieder aufgezogen, wenn man den Auslöser loslässt. Man kann also ein Foto machen, dann die Kamera kurz unter einer Jacke verstecken und den Auslöser loslassen. Das Ganze erfordert eine erhöhte Konzentration und etwas Übung, ist aber im Fall des Falles extrem praktisch.

Das Menü ist übersichtlich; man könnte es auch spartanisch nennen. Es gibt nicht viel zum Einstellen und das Wenige ist sehr logisch dargestellt. Ich musste nicht einmal ins Handbuch schauen. Bei der Canon habe ich immer das kleine Mini-Handbuch in der Fototasche. Die Auflösung des Displays der Leica M9 ist allerdings nicht zeit- und erst recht nicht preisklassengerecht. Außerdem dauert der Bildaufbau beim Anzeigen von Fotos viel zu lange. Ich weiß nicht, warum Leica hier an einem schnelleren Prozessor, mehr RAM oder einem gewiefteren Programmierer gespart hat. Das Display reicht für eine schnelle Kontrolle aus, aber für mehr auch nicht. Das Hineinzoomen in ein Bild ist ebenfalls quälend langsam.

Jemand, der mit einer solchen Kamera JPEGs abspeichert, gehört meiner Meinung nach in die Artefakt- und Farbfehlerhölle. Ich habe noch nie ein JPEG mit einer Vollformatkamera aufgenommen und wüsste nicht, warum ich jetzt damit anfangen sollte. Wer auf diesem Niveau arbeitet, kommt um Raw-Bilder nicht herum. Diese werden von Leica im DNG-Format auf einer SD(HC)-Karte abgespeichert.

Die fehlende Videofunktion stört mich bei einer Foto-Kamera nicht, auch wenn ich sie bei der Canon 5D zu schätzen gelernt habe. Es macht schon Spaß, mit einem lichtstarken Objektiv Videos aufzunehmen. Allerdings bin ich der Ansicht, dass man sich entscheiden muss: Entweder man filmt oder man fotografiert.

Lesen Sie weiter auf Seite 6: Preis und Wert

Der Body der Leica M9 kostet 5495 Euro, das Summilux 50mm (1:1,4) Objektiv allein noch einmal 2795 Euro. Ausrufezeichen! Sie können also für den Preis nur des Summilux-Objektivs auch eine Canon 5D Mark II inklusive eines EF 50mm 1:1,4 kaufen. Für den Preis des Bodys könnten Sie dann zusätzlich einen Satz richtig schöner Objektive erwerben und hätten immer noch Geld übrig. Und das Beste: Finden Sie erst einmal einen Händler, der Ihnen eine Leica M9 mit einem Summilux direkt verkaufen kann! Bei den von mir auf die Schnelle angerufenen konnte ich mich nur auf eine Warteliste setzen lassen.

Mir ist nicht klar, ob diese Knappheit gewollt ist. Auf jeden Fall hilft sie auch bei gebrauchter Hardware, den Preis auf einem hohen Niveau zu halten. Ein Leica-Objektiv kann man jederzeit zu einem Top-Preis verkaufen. Es gibt sogar Objektive, die an Wert gewinnen. Bei den digitalen Bodys betreten wir natürlich Neuland. Aber auch hier zeichnet sich (etwa bei ebay) ab, dass auch gebrauchte M8 oder M8.2 zu guten Preisen zu veräußern sind.

Nachtgesehen: Bilddaten 1/30 sec bei  f/1,5, ISO 640, 50 mm (Leica Summilux-M 50mm f/1.4 ASPH.)

Nachtgesehen: Bilddaten 1/30 sec bei f/1,5, ISO 640, 50 mm (Leica Summilux-M 50mm f/1.4 ASPH.)

Das von mir benutzte Summilux ist ein verdammt gutes Objektiv und es ist meine erste Wahl für die M9. Das Summarit (1:2,5) ist leichter und etwas kürzer, aber die 1:1,4er Lichtstärke ist mir die paar Gramm mehr wert. Wer bei einem Objektiv weder auf Gewicht (700 g), noch auf Grösse (75,1 mm Länge) und erst recht nicht auf den Preis (7995 Euro) Rücksicht nehmen muss, für den hat Leica noch das Noctilux 50mm mit der einmaligen Lichtstärke von 1:0,95 im Programm. Aber auch diese Linse ist bei Fachhändlern nur per Warteliste bestellbar.

Ja! Diese Kamera werde ich mir kaufen; auch wenn ich noch nicht weiß, wovon. Die Rücksendung des Testgerätes war Anlass zu mehrtägiger Trauer. Mit der M9 muss man sich reiben. Aber ist man erst einmal warm geworden, dann sieht man die Vorteile dieser Arbeitsweise und sie ermöglicht neue und bessere Fotos. Es ist ein wenig wie der Umstieg von Zoom- auf Festbrennweiten-Objektive. Am Anfang fuchtelt man immer noch am Objektiv und möchte rein- oder rauszoomen. Die Umstellung fällt nicht leicht. Hat man sich aber erst dran gewöhnt, wird man mit so viel besseren Fotos belohnt, dass man gar nicht mehr verstehen kann, warum so viele Menschen mit Zoomoptiken arbeiten. Die Beschränkung auf das Wesentliche – bei der Festbrennweite ist es die Qualität der Optik – bringt neue Möglichkeiten und man verzichtet im Gegenzug gerne auf andere Annehmlichkeiten.

Man muss die M9 aber mögen, denn Sie hat klare Grenzen. So muss ein Eventfotograf, der damit seine Miete bezahlt, sehr gut oder sehr mutig sein, um mit einer M9 zu erscheinen. Überall, wo schnell gearbeitet wird und mehr auf Durchsatz zu einem definierten Niveau als auf künstlerischen Aspekt geachtet wird, ist man mit einer SDLR auf der sicheren Seite. Das sind aber dann auch genau die langweiligen Hochzeitsbilder, die wir alle zu Genüge kennen. Wer das Besondere sucht und sich vor der Arbeit nicht scheut, für den ist die M9 ideal. Mit der Leica M9 zu arbeiten macht einfach Spaß. Da wird das Fotografieren wieder zur Kunstform.

Zusätzlich zur Arbeit mit dem Messsuchersystem empfinde ich die Unauffälligkeit der Leica-M-Kameras als unbezahlbar. Das geringe Auslösegeräusch ist ein Goodie, aber der Umstand, das die Kamera von den meisten Menschen falsch eingeschätzt wird, ist nicht zu toppen. Wer mit einer Leica M9 auftaucht, wird schlimmstenfalls als verschrobener Hobby-Fotograf eingestuft. Es wird erwartet, das die Kamera mit einem Schwarzweiß-Film bestückt wurde, den der Fotografen eigenhändig in seiner Dunkelkammer entwickelt. Die Leica M9 ist Understatement pur.

Nachtrag: Wie ein Leser zu berichten weiß, hatte Leica noch mit einem technischen Problem zu kämpfen, das wohl auch die Lieferzeit erklärt: Der verwendete Kodak-Sensor hat aufgrund des geringen Auflagemaßes von 27,8 mm Probleme mit Weitwinkel-Optiken, bei denen sich ein seitlicher Magentastich im Bild zeigt. Leica schreibt dazu auf Nachfrage: "Fertigung und Lieferung der M9 laufen planmäßig. Die Nachfrage der M9 übersteigt unsere Fertigungs- und Materialkapazitäten bei weitem.
Die "Magenta" Problematik ist bekannt und gelöst. Die entsprechende Firmware ist derzeit in der abschließenden Prüfung und wird Mitte März als kostenloser Download zur Verfügung stehen." (cm) (cm [1])


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