EuGH: Nationale Gerichte dürfen Encrochat-Daten gegebenenfalls nicht verwenden​

Der EuGH erläutert, unter welchen Bedingungen Daten aus dem kompromittierten Messenger Encrochat übermittelt und als Beweise verwendet werden können.​

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Justitia-Statue

(Bild: Wirestock Images/Shutterstock.com)

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Daten von Mobiltelefonen, die über den verschlüsselten Kommunikationsdienst Encrochat ausgetauscht worden sind, dürfen auf dem Weg internationaler Rechtshilfe aus anderen EU-Staaten an deutsche Ermittlungsbehörden transferiert werden. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag entschieden. Demnach kann eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA), die auf den Transfer von Beweismitteln aus einem anderen Mitgliedstaat gerichtet ist, unter bestimmten Voraussetzungen von einem Staatsanwalt erlassen werden. Eine zusätzliche Richtergenehmigung ist folglich nicht nötig. Generell halten es die Luxemburger Richter für den Erlass einer EEA nicht für erforderlich, dass die Voraussetzungen erfüllt sind, die für die Erhebung der Beweismittel im Anordnungsstaat gelten.

Das Landgericht Berlin bat in dem Fall wegen illegalen Handels mit Betäubungsmitteln vor anderthalb Jahren den EuGH zu prüfen, ob die deutschen Strafverfolgungsbehörden beim Erlangen von Daten aus der Infiltration von Encrochat gegen EU-Vorschriften verstoßen haben. Zu klären war auch, ob sich ein solcher potenzieller Rechtsbruch auf die Verwertbarkeit der erhaltenen Informationen im Strafverfahren auswirken würde. Unklar waren den Berliner Richtern zudem die Folgen, wenn sich eine Telekommunikationsüberwachung auf sämtliche auf dem Hoheitsgebiet befindlichen Anschlüsse eines Dienstes erstreckt, obwohl nicht einmal konkrete Anhaltspunkte für das Begehen schwerer Straftaten durch einen individuellen Nutzer bestehen.

Der Umstand, dass die französischen Behörden in dem Fall die umstrittenen Beweise in Deutschland und im Interesse hiesiger Strafverfolger erhoben haben, ist laut dem jetzt veröffentlichten Urteil in der Rechtssache C-670/22 grundsätzlich unerheblich. Jedoch muss ein Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen die Anordnung der Staatsanwaltschaft befasst ist, die Wahrung der Grundrechte der betroffenen Personen überprüfen können. Der EuGH hebt weiter hervor, dass der Mitgliedstaat, in dem sich die Zielperson der Überwachung befindet (hier also Deutschland), von einer mit der Infiltration von Endgeräten verbundenen Maßnahme zur Abschöpfung von Verkehrs-, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdienstes unterrichtet werden muss.

Die zuständige Behörde des EU-Landes hat laut den Luxemburger Richtern so die Möglichkeit, den originär zuständigen Strafverfolgern mitzuteilen, dass die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs nicht durchgeführt werden kann oder zu beenden ist, wenn sie in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde. Diese Verpflichtungen sollen dem Beschluss zufolge "nicht nur die Achtung der Souveränität des unterrichteten Mitgliedstaats gewährleisten", sondern auch dem Schutz der betroffenen Personen dienen.

Ferner betont der EuGH: Das nationale Strafgericht muss in einem Strafverfahren gegen einen Verdächtigen möglicherweise Beweismittel unberücksichtigt lassen. Und zwar dann, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist, zu ihnen Stellung zu nehmen. Das Gleiche gelte, wenn die Vorhaltungen geeignet seien, "die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen". Mit diesen Vorgaben gehen die Luxemburger Richter über das Plädoyer der EuGH-Generalanwältin Tamara Ćapeta hinaus. Sie stellte darauf ab, dass die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs schon von französischen Gerichten genehmigt worden sei. In den vergangenen Monaten verhafteten Strafverfolger nach der Encrochat-Unterwanderung tausende Menschen in ganz Europa. Kritiker bemängeln, dass das auf Basis zumindest fragwürdiger Beweise und Verfahren geschehe. Das Bundesverfassungsgericht nahm eine entsprechende Beschwerde voriges Jahr aber nicht zur Entscheidung an.

(mki)