EuroDIG diskutiert Antworten auf Konsolidierung im Netz

Experten fordern mehr Interoperabilität, mehr offene Standards und mehr föderative Modelle, die kleine Anbieter wettbewerbsfähig machen.

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EuroDIG diskutiert Antworten auf Konsolidierung im Netz

(Bild: mixmagic / shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert

Der One-Stop-Shop auf einer der großen Internet Plattformen, die mehr und mehr zum "total service environment" werden, liegt im Trend, und das nicht erst, seit Facebook auch noch seine eigene Währung angekündigt hat. Beim European Dialogue on Internet Governance wurden mögliche Antworten auf Konsolidierung und Konzentration des Internets diskutiert, von föderativen Diensten bis zu Ex-Ante-Regulierung.

Sich einen ganzen Arbeitstag lang der Dienste im Ökosystem eines einzelnen großen Dienstleisters im Netz zu bedienen, ist kein Problem mehr, beschrieb Carl Gahnberg von der Internet Society (ISOC) die Entwicklung. Mancher kleine Anbieter könne andererseits sein gesamtes Geschäft über einen der Riesen abwickeln. Nach Ansicht der Internet Society, die sich des Themas angenommen hat, lautet die drängende Frage, ob das Internet bald Geschichte sein und an die Stelle des Universalnetzes spezialisierte Netze-Slices treten.

Um Antworten aus technischer Sicht bemüht sich unter anderem eine Gruppe des Internet Architecture Board. IAB-Mitglied und Ericsson Entwickler Jari Arkko, Autor eines Request for Comment zum Thema Konsolidierung aus Sicht der Ingenieure, verwies beim EuroDIG etwa auf Probleme bei Email-Diensten oder der DNS Infrastruktur. Wer selbst seinen Mailserver betreiben will, hat es zunehmend schwer, selbst wenn er – anders als manch großer Anbieter – vereinbarte technische Standards getreulich umsetzt.

Der zunehmenden Konzentration von DNS-Verkehren, aktuell weiter befeuert durch mögliche Implementierungen von DNS über HTTPS, widmete der EuroDIG ein eigenes Panel. 90 Prozent der DNS-Anfragen weltweit gerieten in die Hand weniger Browserfirmen, allen voran Google und Mozilla, und all dieser Verkehr unterliege Vorgaben eines einzigen Rechtssystems, des US-amerikanischen, meinte Vittorio Bertola von OpenXchange

Mehr Anstrengungen für Interoperabilität und offene Standards und mehr föderative Modelle, die kleinere Anbieter wettbewerbsfähig gegenüber den Riesen machen, kann sich Entwickler Arkko von Seiten der Techniker vorstellen. EuroDig-Teilnehmer erinnerten daran, dass die Entwicklergemeinde mehr tun könnte, um bereits existierende alternative Angebote zu verbessern. Alternative Social-Media-Plattformen wie etwa Mastodon tun sich nach wie vor schwer. Aber auch die Nutzer selbst seien gefragt. Mehr Bewusstseinsbildung und Bereitschaft zum Wechsel wären dringend notwendig, meinte eine Teilnehmerin.

Arkko erinnerte zugleich daran, dass Standards allein nicht immer schon Garant für Interoperabilität sind. Die Geschichte proprietärer Internet-Messaging-Welten ist laut Arkko eine gute Illustration dafür, wie Geschäftsmodelle die Fortentwicklung ursprünglich bestehender Standards verhinderten. Eine Weiterentwicklung von Protokollen wie "talk", "ytalk", "utalk" hätte das Kommunizieren über Plattformen und so etwas wie Portabilität erleichtern können.

Sehr viel härtere wettbewerbsrechtliche Regulierung forderte ein Vertreter der Deutschen Telekom. Aktuelle Konzentrationskontrolle und wettbewerbsrechtliche Regelungen reichten nicht aus. Vielmehr sei ein Ex-ante-Regulierungsregime notwendig. Bislang haben die Wettbewerbshüter aber schon mögliche Wettbewerbsregeln zurückhaltend genutzt und so Zukäufen und dem Aufbau der "Totaldienste" nichts entgegengesetzt. Facebooks Ankündigung einer eigenen "Währung" – Libra – bestätigte die Konzentrationskritiker auf dem EuroDIG.

Einen deutlich besseren Dialog zwischen Technik und Politik, zwischen Standardisierung und Gesetzgeber empfahl Wolfgang Kleinwächter, Völkerrechtler und einer der namhaftesten deutschen Internet Governance Experten. In einer Debatte über die Schnittstellen zwischen Politik und Standardisierung nannte Kleinwächter das vielfach zitierte deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz ein Missverständnis. Damit habe der Gesetzgeber eine öffentliche Aufgabe praktisch an einen Algorithmus – den Filteralgorithmus der großen Plattformen – übertragen.

Das Gesetz illustriere paradigmatisch die Defizite im Verständnis der Politik dafür, was Code und Standards leisten könnten beziehungsweise sollten. Den Entwicklern sei andererseits oft die politische Tragweite ihrer Codes nicht bewusst, wandte Kleinwächter ein.

Ein Dialog zwischen Technikern und Politikern, um zu guten Lösungen zu kommen, sei doch gar nicht so schlecht, bekundete Kuo Wei Wu, Geschäftsführer der taiwanischen National Infrastructure Enterprise Promotion Agency. Wirklich gefährlich werde es, wenn der "Code Maker" und der "Law Maker" ein- und derselbe seien – und das gebe es mancherorts schon heute.

Massig Gelegenheit für diesen Dialog wird es beim internationalen Internet Governance Forum 2019 vom 25. bis zum 29 November geben, das in diesem Jahr Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin eröffnen will. (bme)