Europäisches Patentamt angeblich knapp bei Kasse

Alison Brimelow, die Präsidentin der Münchner Behörde, sieht das von ihr geführte Haus in einer tiefen finanziellen Krise. Offenbar hat sie aber in ihren Bilanzansatz die hohen Einnahmen durch Erneuerungsgebühren für Patente nicht eingerechnet.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 53 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Alison Brimelow, die Präsidentin des Europäischen Patentamtes (EPA), sieht die von ihr geführte Behörde in einer tiefen finanziellen Krise. Obwohl das EPA jährlich rund eine Milliarde Euro einnehme, steuere man aktuell auf ein großes Defizit von zwei Milliarden Euro zu, rechnete sie dem Branchendienst Intellectual Asset Management Magazine (iam) vor. Die Umstellung auf neue Rechnungsvorschriften in Form der International Financial Reporting Standards (IFRS) habe ergeben, dass die Institution mit Stammsitz in München im Gegensatz zu bisherigen Annahmen keine Maschine zum Gelddrucken sei. Erstmals würden in der neuen Bilanzierungsform nämlich künftige finanzielle Verpflichtungen wie etwa der Kranken- und Pensionsversicherung der Mitarbeiter auftauchen.

Ähnliche Befürchtungen äußerte die frühere Diplomatin laut dem Blog Blawg Austria vergangene Woche auch gegenüber der Financial Times. Allerdings verschob Brimelow den Zeitpunkt des finanziellen Desasters für die sich selbst finanzierende Behörde damals noch nach hinten. Spätestens 2020 werde die Einnahmendecke zu kurz, sagte sie dem Blatt. In der zweiten Dezemberwoche will sie das entsprechende jüngste Haushaltspapier nun im EPA-Verwaltungsrat auf den Tisch bringen und Gegenmaßnahmen gegen die angeblich drohende Verschuldung erörtern.

"Es müssen eine Menge Punkte angesprochen werden, um unsere Verpflichtungen unter Kontrolle zu bekommen", betonte Brimelow im Vorfeld der Sitzung. Das EPA müsse effizienter werden. Im Blick hat die Britin unter anderem das automatische Erhöhungsmodell für die Bezüge von Mitarbeitern und den damit gleichzeitig steigenden Pensionsansprüchen. Es gehe dabei um "wichtige Verhandlungen", zumal Belegschaftsvertreter das Finanzproblem nicht anerkennen würden. Auch die hohe Krankheitsrate unter den Mitarbeitern müsse angesprochen werden, da München an sich ja kein ungesunder Ort sein könne. Bessere Managementstrukturen dürften da laut Brimelow Abhilfe schaffen.

Die Stimmung zwischen der EPA-Führung und insbesondere den bei der Behörde tätigen Prüfern ist seit langem nicht sonderlich gut. Stein des Anstoßes ist vor allem die geplante Einführung neuer Produktivitätsvorgaben, die ironischerweise unter dem Titel PAX (Productivity Assessment for Examiners) firmieren. Gewerkschaftsvertreter kritisieren, dass die darin angelegten Prüfkriterien allein auf einen möglichst hohen quantitativen Ausstoß an zeitlich befristeten Monopolrechten ausgerichtet seien. Nach mehreren Streiks und Protestaktionen der Prüfer im vergangenen Jahr setzte das EPA-Management das umkämpfte Bewertungssystem zunächst bis Ende 2007 aus. Generell ist die Zufriedenheit mit dem Verwaltungsrat im Vergleich zu 2004 von acht Prozent auf sechs Prozent gesunken. Laut Brimelow stehe nun aber keine "Strafaktion" bei Bezahlung und sonstigen Bezügen an. Sie sprach von einer "Übung", um Wege zu finden, auf denen die Verhältnisse verbessert werden können.

Die EPA-Präsidentin verschweigt in der öffentlichen Debatte aber offenbar die gesamte Übersicht über die Finanzzahlen. Zum einen liegt das von ihr angesprochene Soll laut dem offiziellen Dokument für den Verwaltungsrat bei 1,2 Milliarden Euro. Zum anderen scheint Brimelow in ihrer Rechnung die hohen Einnahmen durch Verlängerungsgebühren für Patente nicht zu berücksichtigen. Diese Erlöse, die für die Aufrechterhaltung gewerblicher Schutzrechte fällig werden, lagen 2006 bei satten 2,3 Milliarden Euro. Aus unerfindlichen Gründen kann diese Summe nicht in die neue Bilanz nach der IFRS-Methode integriert werden. Trotzdem steht das Geld teilweise dem EPA zur Verfügung. Nationale Patentämter haben für ihre Kooperation mit der Münchner Behörde zwar rund 270 Millionen Euro von den Erneuerungsgebühren aufgrund durchgeführter Prüfungen und Abfragen des Stands der Technik einbehalten. Insgesamt dürfte das Europäische Patentamt letztlich 2006 aber einen Überschuss in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro erzielt haben. Von einer drohenden Finanzkrise kann somit nicht wirklich die Rede sein, falls Brimelow nicht noch zusätzliche unbilanzierte Haushaltslöcher aufgetan hat.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)