Ex-Google-Chef Schmidt will mit KI die Wissenschaft revolutionieren

Ein Sprachmodell von Future House soll künftig in der Lage sein, Tausende von wissenschaftlichen Arbeiten zu sichten und schnell Hypothesen daraus abzuleiten.

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(Bild: metamorworks/Shutterstock.com)

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Der frühere Google-CEO Eric Schmidt geht davon aus, dass Künstliche Intelligenz (KI) die wissenschaftliche Forschung auf den Kopf stellen wird. Der Informatiker finanziert daher mit Future House eine neue gemeinnützige Organisation in San Francisco. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, mithilfe großer Sprachmodelle eine Vielzahl an Forschungsarbeiten im Handumdrehen zu analysieren sowie zusammenzufassen und so neue Antworten auf wissenschaftliche Fragen geben zu können. Im Kern soll dabei dieselbe Technologie zum Einsatz kommen wie bei ChatGPT, Bard oder Aleph Alpha. Future House will aber mehr als einen Chatbot aus solchen KI-Modellen herausholen.

Der von Future House geplante "KI-Wissenschaftler" solle binnen zehn Jahren in der Lage sein, Tausende von wissenschaftlichen Arbeiten zu sichten und in Eigenregie daraus – deutlich schneller als Menschen – Hypothesen abzuleiten, erklärte Future-House-Chef Sam Rodriques im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Bloomberg. Einerseits wolle man mit dem "AI Scientist" eigene Durchbrüche bei der Anwendung von KI in der Wissenschaft erzielen. Zugleich gehe es darum, den wissenschaftlichen Prozess selbst zu verändern: Die Lösung solle fähig sein, eigene Arbeitsthesen zu erstellen und zu prüfen, Experimente durchzuführen und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Rodriques räumte ein, dass gängige KI-Instrumente anfällig für Fehler und Voreingenommenheit sind. "Es ist nicht nur die Ungenauigkeit, über die man sich Sorgen machen muss", betonte er. Es gebe auch Bedenken, dass Menschen die Technik nutzen könnten, "um Waffen und ähnliches zu entwickeln". Future House werde daher gewährleisten müssen, dass "Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden". Details dazu nannte er nicht. Dabei glaubt der Erfinder daran, dass der KI-Wissenschaftler letztlich "ein wichtiger Schritt zum Aufbau leistungsfähigerer und besser ausgerichteter allgemeiner Intelligenzen ist". Wissenschaftliches Denken, die Fähigkeit, ein Modell der Welt zu erstellen und ein solches angesichts von Unsicherheit zu aktualisieren, sei ein wesentlicher Aspekt der menschlichen Erkenntnis.

Auf der Webseite der Unternehmung erläutert Rodriques, Future House werde sich zunächst auf die Biologie konzentrieren: Das sei die Wissenschaft, "die die Menschheit in den kommenden Jahrzehnten durch ihre Auswirkungen auf Medizin, Ernährungssicherheit und Klima am wahrscheinlichsten voranbringen wird". Die heutige biologische Forschung sei zudem skalierungsfähig. Neue Techniken ermöglichten es, zehn- oder hunderttausende Hypothesen in einem einzigen Experiment zu testen. Tausende von Proteinen ließen sich rechnerisch parallel entwerfen. Der grundlegende Engpass liege aktuell nicht nur in der Daten- oder Rechenleistung, sondern auch in der menschlichen Überlastung: Kein Forscher habe die Zeit, eine große Anzahl an Hypothesen aufzustellen oder die Masse an Biologieartikeln zu lesen, die jeden Tag veröffentlicht werden. Es gelte, diesen Flaschenhals zu beseitigen.

Der Biotechnologie-Experte geht davon aus, "dass alle wichtigen Komponenten und Fähigkeiten eines KI-Wissenschaftlers heute" bereits vorhanden sind. Wissenschaftliches Know-how werde in der Sprache dargestellt. Daher seien die jüngsten Erfolge mit Sprachmodellen ein großer Fortschritt. Es sei aber unmöglich, den "AI Scientist" ohne die Beteiligung menschlicher Wissenschaftler aufzubauen. Diese kämen in ihrer konkreten Projektarbeit "der Wahrheit am nächsten". Daher wolle man ein Labor betreiben, "in dem unsere Forscher mit Unterstützung unseres KI-Wissenschaftlers neuen Erfindungen und Entdeckungen nachgehen". Schmidt nannte das Palo Alto Research Center von Xerox als Vorbild, dessen Mitarbeiter Ethernet, den Laserdruck und andere Innovationen entwickelten.

Das Vermögen des einstigen Google-Managers wird auf 24,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Rodriques ließ durchblicken, Schmidt werde Future House in den ersten fünf Jahren finanzieren. Er schätzt, dass die Organisation allein bis Ende 2024 etwa 20 Millionen US-Dollar ausgeben wird. Danach werde es davon abhängen, "wie wir wachsen und was wir brauchen". Ein erheblicher Teil des Geldes werde in die Einstellung von Mitarbeitern und den Aufbau des Labors fließen. Schmidt will nach eigenen Angaben mit seiner Unterstützung dafür sorgen, dass Future House der Forschung Vorrang einräumen kann und nicht mit kurzfristigen kommerziellen Aktivitäten dem schnellen Geld hinterherhecheln muss. Einer der ersten Mitarbeiter ist Andrew White als wissenschaftlicher Leiter, der zuletzt außerordentlicher Professor für Chemieingenieurwesen an der Universität Rochester war. Er hat mit ChemCrow einen sprachbasierten Agenten mitentworfen, der chemische Reaktionen designen und ausführen kann.

(tiw)