Experten für mehr Freiheiten beim Urheberrecht

Sachverständige haben bei einer Anhörung im Bundestag Korrekturen am System zum Schutz von Kreativen und Verwertern gefordert, die von Lizenzpools über eine "Fair Use"-Klausel bis hin zur Kulturflatrate reichen.

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Sachverständige haben bei einer Anhörung der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Bundestags am Montag umfassende Korrekturen am System zum Schutz von Kreativen und Verwertern gefordert. Die Vorschläge der Experten reichten von der der Einführung von Lizenzpools über eine allgemeine "Fair Use"-Klausel nach US-Vorbild bis hin zur Kulturflatrate und der Verkürzung von Schutzfristen

"Wir können uns auch buchstäblich zu Tode schützen", warnte Thomas Dreier vom Karlsruher Zentrum für Angewandte Rechtswissenschaft vor weiteren Verschärfungen des Urheberrechts. Dieses befinde sich "mitten in einer Legitimationskrise", ergänzte der Jurist Gerald Spindler von der Universität Göttingen. Die Interessen von Urhebern, Verwertern und Nutzern müssten "in einen Gleichklang" gebracht werden. Dreier und Spindler setzten sich für einen flexibleren Ansatz gemäß dem "Fair Use"-Prinzip auf EU-Ebene ein. Eine solche Regelung sei "schneller an neue Technologien anzupassen", erläuterte Spindler. Dreier konnte sich gar ein Urheberrecht im Netz vorstellen, dass nur Plattformbetreiber in die Haftung und die Vergütungspflicht nehme, den Endnutzer aber davon freistelle.

Den größten Änderungsbedarf meldete Peter Tschmuck von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien mit einem "Plädoyer für ein kreativitäts- und innovationsförderndes Urheberrecht" an. Die einst "passiven Konsumenten" wollen nach Darstellung des Ökonomen heute digitale Inhalte vervielfältigen, sie mit anderen kombinieren und verändern, was das gegenwärtige Urheberrecht unmöglich mache. Zugleich habe eine "kalte Enteignung der Urheber" etwa durch exklusive Nutzungsverträge der Verwerter stattgefunden.

Tschmuck sprach sich daher für einen "Systemwechsel" aus, den die Politik auf EU-Ebene und bei Verhandlungen über internationale Abkommen vorantreiben müsse. So sei das Ausschließlichkeitsdenken im Vertragsrecht aufzugeben und etwa über "Creative Commons"-Lizenzen eine größere Palette an Nutzungsformen zu ermöglichen. Unerlässlich sei die Stärkung von Pauschalvergütungsmodellen für Privatkopien, wobei die Kulturflatrate für einzelne Sektoren wie den Musik- oder Filmbereich Vorteile haben könne. Ein kommerzielles Angebot werde durch diese Entkriminalisierung von Filesharing-Aktivitäten nicht behindert.

Sacha Wunsch-Vincent, Wirtschaftsexperte bei der Weltgesellschaft für geistiges Eigentum (WIPO), wunderte sich, warum die Unterhaltungsindustrie den mit einer Kulturflatrate zustande kommenden "großen Kuchen" nicht haben wolle. Er könne sich dies nur damit erklären, dass "dominante" Sparten "wohl noch bestehende Geschäftsmodelle aufrechterhalten wollen". Es sei aber kein gesetzgeberisches Eingreifen notwendig, eine Bündelung von Rechten etwa bei Internetprovidern reiche aus. Der WIPO-Vertreter monierte, dass momentan in vielen Ländern Gesetzgebungsverfahren im Copyright-Bereich durchgezogen würden, die die wenigen belastbaren Forschungsergebnisse nicht ausreichend berücksichtigten und die Potenziale des Internets abtöteten.

Medienrechtler Karl-Nikolaus Peifer von der Uni Köln mahnte, ein übergeordnetes Prinzip, wonach "jede faire Nutzung erlaubt sein muss", schaffe "enorme Rechtsunsicherheiten" und wäre "der Überzeugungskraft des Urheberrechts sehr abträglich". Ihm ging es darum, über umfassendere Lizenzierungssysteme einen einfacheren Zugang zu Rechten zu schaffen. Mit diesem Appell rannte er bei Wolfgang Kopf von der Telekom offene Türen ein. Der Regulierungsexperte beklagte, dass das Unternehmen bei neuen Angeboten, die einen persönlichen Zugriff und die Ablage von Inhalten erlaubten, immer wieder an urheberrechtliche Grenzen stieße und "Unsummen für Rechteklärung" ausgebe.

Der Kölner Medien- und Verfassungsrechtler Rolf Schwartmann hielt dagegen nichts von der Devise, dass "die Eigentumsordnung aufgrund ungezügelten Mediennutzungsverhaltens zur Disposition steht". Eine weitere Stärkung der Privatkopie oder eine Kulturflatrate verglich er mit der Legalisierung der Steuerhinterziehung, was nicht vertretbar sei. Eine Schwächung der Stellung des Urhebers würde ihm zufolge auch "die Achtung des körperlichen Eigentums" verringern. Als "größtes Problem" von Künstlern machte Ronald Schild, Geschäftsführer des Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels, nicht Schwierigkeiten aus, "Mashups" zu erstellen. Auch die Branche sei nicht mehr der Hemmschuh. Die "Einkommensverhinderungsmaschine" sei die illegale Nutzung geschützter Werke etwa über Tauschbörsen. (vbr)