FOSDEM 2009: Mit Open Source aufrecht durch die Krise gehen

Open Source kann kleiner werden, entschlacken, schneller starten und stabiler auf vielen neuen kleinen Geräten eine offene Zukunft ins Visier nehmen - das war ein Trendthema des "Free and Open Source Developers' European Meeting".

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Von
  • Detlef Borchers

Mit einer exzellent organisierten Veranstaltung zeigten die freiwilligen Organisatoren der des "Free and Open Source Developers' European Meeting" (FOSDEM 2009) die hohe Kunst des Skalierens. 250 Vorträge für 5000 Entwickler, die nach Angaben des Veranstalters aus ganz Europa anreisten, wurden größtenteils ohne Probleme durchgeführt. Wenn eine derart große Veranstaltung überhaupt ein allgemeines technisches Trend-Thema haben kann, dann wurde es von den allgegenwärtigen Netbooks und etlichen Android-Telefonen demonstriert: Open Source kann kleiner werden, entschlacken, schneller starten und stabiler auf vielen neuen kleinen Geräten eine offene Zukunft ins Visier nehmen.

Zum Start der Konferenz europäischer Entwickler von freier und offener Software zeigte Simon Phipps, der Open Source-Evangelist von Sun Microsystems, ein hübsches Bild: Mozilla, Tux, das BSD-Teufelchen und der Java-Zwerg sitzen friedlich am Tisch und trinken Kaffee. Hinter ihnen an der Wand ein GNU-Wappen und ein Bild des Ahnherren Richard Stallman. Ein friedliches Miteinander, für das die FOSDEM seit jeher bekannt ist, wenngleich in der universitären Umgebung die Idylle fehlt. In zwanzig Räumen trafen sich die verschiedenen Stämme der Open Source und hielten ihre Unterkonferenzen ab. Dazu im schlauchähnlichen Mittelgang die Tische mit den üblichen Devotionalien und ein Bücherstand vom O'Reilly-Verlag, an dem die komplette Auflage eines Drupal-Buches in einer Stunde ausverkauft war. Das Ganze eingerahmt von mehreren Keynotes. Zu Anfang machte Phipps kurzen Prozess mit dem 2002 auf einer Debian-Mailingliste aufgetauchten Vorwurf, dass Suns RPC proprietär sei und die Sourcen mit dem Geist der Unfreiheit infiziere.

Es folgte eine kleine Ermutigung von Mark Surman von der Mozilla Foundation unter dem Motto "Free, Open, Future?" Er forderte seine Zuhörer auf, einmal nicht an Morgen zu denken, sondern an das Jahr 2060: "Wie weit kann sich der Gedanke von offener und freier Produktion in der Gesellschaft fortpflanzen? Sind unsere Konzeptionen vom Studieren-Kopieren-Modifizieren-Teilen dafür geeignet, eine freie, hackbare Zukunft zu gestalten." In seinem Vortrag ließ Surman keinen Zweifel daran, dass das Ökosystem der Open Source bestens geeignet ist, die ökonomische Krise zu überleben. 4,5 Millionen verkaufte Linux-Netbooks innerhalb eines Jahres zeigten dies. Später allerdings erklärte Gervase Markham im überfüllten Vortragsraum der Mozilla-Foundation, dass die Stiftung aus finanziellen Gründen etliche Projekte gestoppt habe, um das geschrumpfte Stiftungskapital in der Krise nicht zu gefährden.

Nach Surman machte sich Bdale Garbee, Open Source Evangelist bei Hewlett Packard, daran, die Prinzipien der Debian-Community zu erklären. Während im vergangenen Jahr viel über die Debian-Maintainer geredet wurde, standen diesmal die Werte des Debian Manifestos und der Debian Constitution im Vordergrund. "Unterschätzt niemals die ethischen Normen des Projekts. Erst kommen diese Normen, dann die Visionen, dann die Strategie und ganz zum Schluss die Projekte. Die Normen sind unser Anker, wenn die Dinge etwas stürmisch werden." Auch Garbee gab sich überzeugt, dass Debian aus der ökonomischen Krise gestärkt hervorgehen wird, weil die Community stabil sei und ständig wachse.

Viele der 250 Vorträge werden entweder als Video oder als Präsentation im Netz auftauchen, sodass auch die überfüllten Veranstaltungen von allen nachgeholt werden können. Erwähnt sei vielleicht noch der Vortrag des Novell-Evangelisten Joe Brockmeier, dem erst das Mikrofon, dann der Laptop, schließlich der Beamer und zum Schluss der Strom ausfiel. Brockmeier behielt die Nerven und erzählte, days OpenSuse verstärkt in der Erziehung, an Schulen und Universitäten in Erscheinung treten will. Eine Entscheidung, die durchaus Sinn ergibt, weil Lehrangebote wie etwa das in Frankreich entwickelte Marionnet zur Ausbildung von Netzwerk-Administratoren oder Musecore für den Musikunterricht selbst Open Source sind. Auch wenn der Hype um den noch im letzten Jahr [ticker:103986 bewunderten OLPC] abgeklungen ist (er war nur noch am Fedora-Stand zu sehen), werden Schulen zunehmend mit Netbooks ausgestattet, für die Linux die erste Wahl ist. Allgemein, so der Eindruck von der FOSDEM, scheint der Trend zu abgespeckten, kleinen Distributionen zu gehen, die etwa mit Embedded Debian für spezielle Geräte aufwarten oder wie Exherbo spezielle Probleme angehen. Das gilt auch für einzelne Pakete wie den abgespeckten X-Manager LXDE, mit dem Open Office auf ressourcenarmen Rechnern in drei Sekunden gestartet werden kann.

Eine Anmerkung zum Schluss: Der Berichterstatter hatte die FOSDEM 2008 kritisiert, weil sie von der Organisation her einige Defizite aufwies. Dieses Jahr zeigten die Freiwilligen, wie ein kostenloses Treffen mit noch mehr Freiwilligen skalieren kann. Von wenigen unlogischen Raum-Verteilungen abgesehen, muss dieser "Universität" der Open Source ein Lob gespendet werden. Es gab einen Gepäckraum für die zahlreichen Rucksack-Reisenden, einen Bus-Shuttle zum Bahnhof und offenbar sogar ein Besichtigungsprogramm für die mitreisenden LebensabschnittsgefährtInnen der Entwickler. Diese stellten am Vorabend der FOSDEM mit einer Zeche von 10.000 Euro in einer Bierkneipe einen neuen Rekord auf.

Nicht verändert hat sich die Anmutung einer großen Universität mit bretterharten Bänken und deprimierenden Seminarräumen. Ein bisschen minderten die aufgehängten Poster von einer im Blumenbeet tippenden Hackerin die Tristesse. Das war die Werbung für das Open Air-Treffen Hacking at Random, das genau zum 40. Jubiläum des Woodstock-Festivals im niederländischen Nationalpark Hoge Veluwe auf dem ehemailigen Camp-Gelände der sozialistischen Jugend abgehalten wird. Keine Frage, dass sich einige der in Brüssel vertretenen Entwickler-Räume bereits dran machten, ihre Dörfer zu planen. (Detlef Borchers) / (jk)