Forscher pochen auf Erhöhung der Patentqualität

Eine Technikfolgenabschätzung auf EU-Ebene warnt vor Patentdickichten und will das System gewerblicher Schutzrechte etwa durch das Anheben der Erfindungshöhe und verstärkte Kontrolle verbessern.

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Eine Technikfolgenabschätzung auf EU-Ebene warnt vor dem verstärkten Entstehen von Patentdickichten und will das System gewerblicher Schutzrechte etwa durch das Anheben der Erfindungshöhe und eine verstärkte parlamentarische Kontrolle der Vergabestellen verbessern. Der Boom der Patentanträge insbesondere in der Computer-, Telekommunikations- und Elektronikindustrie lasse sich nicht mehr mit einem verstärkten Hang der Firmen zu Innovationen erklären, heißt es im abschließenden Entwurf (PDF-Datei) für den Report "Handelsoptionen für die Verbesserung des europäischen Patentsystems". Gewerbliche Schutzrechte würden nicht mehr als Mittel gegen Imitationen gesehen, sondern als allgemeine "Versicherung" gegen Patentklagen anderer Unternehmen. Mit dem eigentlichen Ziel des Systems zur Innovationsförderung habe diese besorgniserregende Entwicklung kaum noch etwas zu tun.

Auftraggeber der Untersuchung ist der Ausschuss für Technikfolgenabschätzung im EU-Parlament (STOA). Erstellt hat den Report das dänische Board of Technology mit einer Reihe europäischer Wissenschaftler sowie einem Rechtsexperten des Europäischen Patentamtes (EPA). Sie machen sich unter anderem für die Einführung eines EU-Gemeinschaftspatents mit einer übergeordneten Gerichtsbarkeit stark; hier sind die Mitgliedsstaaten bislang aber trotz immer wieder unternommener Bemühungen von Seiten der EU-Kommission noch weit von einer Einigung entfernt sind. Kritisch verweist das Abschlussdokument auf eine neunfache Wachstumsrate bei Patenten im Bereich Biotechnologie seit 1982 und einem sechsfachen Anstieg bei Schutzrechten im Sektor Informations- und Kommunikationstechnologie. Gleichzeitig schweift der Blick der Autoren kurz in die USA, wo sie eine "Patentexplosion" ausmachen.

Die Trends setzen die Prüfer im EPA der Analyse zufolge immer stärker unter Druck, nachdem die Zahl der Patentanmeldungen dort von 21.000 im Jahr 1980 auf 192.000 in 2005 angestiegen ist und sich gleichzeitig die durchschnittliche Zahl der pro Antrag erhobenen Ansprüche von zehn auf zwanzig verdoppelt hat. Insgesamt sei eine Verschlechterung der Patentqualität zu konstatieren. Die Geschwindigkeit, mit der neue materielle Felder und wissenschaftlich basierte Erfindungen in das Patentsystem eingeführt würden, mache es zugleich schwieriger, den Stand der Technik und damit den möglichen erfinderischen Schritt und die Neuheit einer Entwicklung einzuschätzen. Gelegentlich würden so zu breite Patente verliehen, um die andere Erfinder mühsam herum arbeiten müssten.

Konkret auf die "heiße Debatte" rund um Softwarepatente bezogen geht der Bericht aber konform mit der vielfach kritisierten weiten, Patente auf "computerimplementierte Erfindungen" einschließenden Vergabepraxis des Europäischen Patentamtes. Hingewiesen wird auf die unterschiedlichen Interessensgruppen, die auf der einen Seite am liebsten sogar reine Geschäftsmethoden ohne Anzeichen technischer Implementierungen schutzfähig wissen würden. Auf der anderen Seite sieht der Bericht allein Vertreter der Open-Source-Software, denen zufolge Patente Innovationen behindern und die daher Softwarepatente an sich ablehnen würden. Das EPA habe hier eine Mittelposition bezogen. Demnach könne Software geschützt werden, welche den Betrieb des Computers selbst kontrolliere oder gewissen Funktionen für den Nutzer zur Verfügung stelle. Eine Darstellung, mit der sich Blogger aus dem Umfeld des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) nicht abfinden wollen.

Um das Patentsystem insgesamt wieder auf die richtige Bahn zu bringen, bringen die Forscher eine Reihe von Möglichkeiten ins Spiel. So sollte etwa eine Klausel in das Europäische Patentübereinkommen eingeführt werden, mit der die ökonomische und volkswirtschaftliche Bedeutung gewerblicher Schutzrechte betont wird. Fürs EU-Parlament schlagen die Experten die Einrichtung eines ständigen Ausschusses zu Patentfragen vor, der mit einem unabhängigen Beratungsgremium zu verknüpfen sei. Auch bei der Kommission sollte auf mehr Kompetenz in dieser Angelegenheit geachtet werden.

Weiter empfiehlt der Bericht die Einführung von Maßnahmen, um den Druck zur Vergabe eines Schutzanspruchs aus dem System ein Stück weit herauszunehmen. Die Einreichung länglicher und zu komplexer Anträge sollte verhindert, der Prüfprozess und die Sichtung bereits publizierter bestehender Erfindungen für Drittparteien geöffnet werden. Die EPA-Prüfer will der Report mit besseren Ressourcen zur Vermeidung zu weitgehender Patente ausgerüstet und eine allgemeine Debatte über Schutzmöglichkeiten am Leben gehalten wissen. Zudem sollten Lizenzierungsverfahren vereinfacht und Möglichkeiten zur defensiven Publikation von Erfindungen in einer öffentlichen Datenbank geschaffen werden. Hinweise aus dem Vorbericht auf "allgemeine Bedenken", wonach das gegenwärtige Patentsystem auf technologische Fortschritte und Herausforderungen nicht mehr geeicht sei und die Open-Source-Bewegung deutlich gemacht habe, dass Innovation auch ohne Patente möglich sei, fehlen im Abschlusspapier. Dieses soll EU-Abgeordneten am Donnerstag in Brüssel im Rahmen eines Workshops vorgestellt werden.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)