Frankreich: Angstmache vor dem Atom-Ausstieg

Die sozialdemokratische Linke (PS) und die französischen Grünen haben einen Teilausstieg zum Programm gemacht, der Areva-Chef spricht von katastrophalen Aussichten

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Die Reaktion Deutschlands auf Fukushima sei einmalig, nun verfolge die Welt ganz genau, ob das "deutsche Unikat in der Energiepolitik" gut gehe und die Deutschen "den Mund nicht zu voll genomen haben", sagte der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer heute morgen. Besonders genau verfolgt wird das deutsche Ausstiegsexperiment in Frankreich.

Nachdem nun die Sozialdemokraten der Parti Socialiste sich auf ein Bündnis mit den Grünen für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr geeinigt haben, ist der partielle Atomausstieg, durchaus mit Blick auf das Nachbarland, zum Programmpunkt der vermutlich nächsten Regierung geworden. Vorgesehen ist, den derzeitigen 75-prozentigen Anteil der Atomkraft an der Stromerzeugung bis 2025 um 50 Prozent zu reduzieren.

Die Gegner eines solchen Ausstiegs betätigen nun den Angstknopf, um vor dem "Abenteuer Ausstieg" zu warnen. Nicht nur, dass man die Bevölkerung, die häufig mit Strom heizt, mit der Aussicht auf Stromausfälle und unbeheizte Wohnungen wegen des deutschen Ausstiegs schaudern lässt, auch der Verlust der Arbeitsplätze durch einen französischen Ausstieg wird als Abschreckungsmittel gerne verwendet.

Der Chef der EDF warnt vor dem Verlust von einer Million Arbeitsplätzen bei einem Ausstieg. Aus der Regierungsmannschaft äußerte sich Xavier Bertrand, Minister für Arbeit, Beschäftigung und Gesundheit, mit der Aussicht, dass 400.000 Arbeitsplätze verloren gehen würden. Bei den Schätzungen der Gesamtkosten geht man in den vollen Angst-Modus, wie das Internetmagazin Rue89 schildert.

Ohne auf genaue Szenarien zu achten, werden Ausstiegskosten zwischen 220 und 750 Milliarden veranschlagt - die letztere Zahl stammt von Bernard Bigot, dem Chef der staatlichen Atomenergie-Forschungseinrichtung "Kommissariats für Kernenergie und alternative Energien" (CEA), der sich allerdings hütete seine Kostenkalkulation selbst zu Ende zu rechnen und dies den Journalisten vom Figaro überlies).

Aus aktuellem Anlass, dem oben geschilderten Wahlbündnis samt Ausstiegsprogramm, ging nun auch Luc Orsel, Chef der Areva-Gruppe, zur Angstattacke über. Das anvisierte Abschalten von 24 der 58 Atomreaktoren bis 2025 würde "katastrophale Folgen" haben, wirtschaftlich, sozial und für die Umwelt, warnt Orsel. Was genannte Zahlen der Extrakosten anbelangt, bleibt Orsel im Vergleich zu den anderen Warnern bescheiden. Er erwähnt lediglich 70 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen, die nötig wären, um die abgeschalteten Atomkraftwerke durch eine gleichwertige Produktion aus anderen Quellen, Erneuerbare oder Gas, zu ersetzen. Doch wird er sehr deutlich und ausführlich, wenn es um Folgen geht, deren Kosten er gar nicht schätzen will: höhere Strompreise, weniger Kaufkraft, weniger Wettbewerbsfähigkeit der französischen Unternehmen, ein Bruch in der Energieversorgungs-Unabhängigkeit, Steigerung der CO2-Emissionen.

Und natürlich gibt es einen Seitenhieb Richtung Nachbarland: Orsel erklärt, dass Erneuerbare nur als Komplementärenergiequelle verstanden werden könnten, nicht als Ersatz für Strom aus Atomkraftwerken. Deutschland zeige, dass man sich mit einem Ausstieg in stärkere Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen begebe.