"Für robuste Computersimulationen fehlen uns noch zu viele Informationen"

Telepolis-Gespräch mit Mario Capecchi, einem der diesjährigen Nobelpreisträger für Medizin.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Florian Rötzer

Etwas salopp könnte man von Gen-Ausknipsern sprechen: Die US-Amerikaner Mario Capecchi und Oliver Smithies und der Brite Martin Evans erhalten, wie das Karolinska-Institut am Montag bekannt gab, den Nobelpreis für Medizin für ihre Technik, in Versuchsmäusen gezielt Gene zu verändern oder auch auszuschalten ("gene targeting"). Den Humangenetikern ist es gelungen, transgene Mäuse als "Tiermodelle" für menschliche Krankheiten zu schaffen, um deren Verläufe besser studieren zu können. Während Mario Capecchis und Oliver Smithies Arbeit sich darauf konzentrierte, defekte Genschnipsel in die Zellen zu übertragen (homologe Rekombination), gelang es ihrem Kollegen Evans mit Hilfe embryonaler Stammzellen neue Gene in Mäuse zu schleusen und die Krankheiten somit vererbbar zu machen.

Eines der wesentlichen Probleme in der Forschung an genmanipulierten Mäusen (so genannten Knock-out-Mäusen) ist die Übertragbarkeit. Im Interview mit Telepolis äußert Mario Capecchi zwar, dass er seine Forschung auf andere Spezies ausdehnen will, räumt aber der Maus nach wie vor eine zentrale Rolle ein, die Computersimulationen nicht ersetzen können. "Für robuste Computersimulationen fehlen uns noch zu viele Informationen, es gibt zu viele Variablen. Natürlich ändert sich das mit der Zeit, aber für die nächsten 30 Jahre, schätze ich, wird die Maus die zentrale Rolle spielen."

Was die Forschung am Menschen anbelangt, gibt sich Capecchi vorsichtig und deutet einen qualitativen Ausbau der Arbeit nur an: "Wir profitieren von Information. Heute können wir alles und jeden sequenzieren. Das menschliche Genom liegt schon vor, diese Informationsbasis haben wir. Das ist auch alles, mit dem ich arbeiten werde, diese Informationsbasis. Ich würde auf diese Informationsbasis aber gern funktionell zugreifen statt einfach nur Gensequenzen zu vergleichen."

Viel deutlicher wird der Nobelpreisgewinner allerdings, wenn es um die auch hierzulande kontrovers geführte Debatte um den Einsatz menschlicher Stammzellen in der Forschung geht: "Ich habe eine sehr starke Meinung dazu – ich glaube, es wäre kriminell, darauf zu verzichten. Sie haben genausoviel Verantwortung für die Lebenden wie für die Ungeborenen. Ich finde sogar, dass wir den Lebenden gegenüber mehr Verantwortung haben. Zu sagen, wir kümmern uns nicht um Alzheimer, obwohl es bald die Hälfte der Bevölkerung betrifft, weil unsere Gesellschaft immer älter wird, das ist unmoralisch. Das heißt, wir müssen dazu alle verfügbaren Möglichkeiten nutzen. Ich sage nicht, dass wir es nicht mit adulten Stammzellen probieren sollten! Aber wir sollten embryonale Stammzellen nicht ausschließen und uns ansehen, was in welchem Kontext besser funktioniert. Es wird Fälle geben, wo eines von beiden besser geeignet ist – es wäre unverantwortlich, diese Möglichkeit auszuschließen."

Siehe in Telepolis das ganze Gespräch mit Mario Capecchi

(fr)