zurück zum Artikel

Mobilfunknetz: Experten empfehlen Teilen von Infrastrukturen statt lokalem Roaming

Stefan Krempl
Funknetz: Experten empfehlen Teilen von Infrastrukturen statt lokalem Roaming

(Bild: dpa / Matthias Balk)

Eigentlich sollte es in einer Anhörung im Bundestag um "Glasfaser-Piraterie" gehen, doch Schwarz-Rot rückte seine Pläne gegen Funklöcher in den Vordergrund.

Sachverständige waren sich in einer Bundestagsanhörung über den Ausbau von Mobilfunk und Festnetz am Mittwoch uneins, was potenzielle Effekte und den Zeitplan einer Pflicht für nationales oder lokales Roaming angeht. Technische Vorbehalte gegen ein entsprechendes Vorhaben der großen Koalition äußerte etwa Thomas Haustein vom Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik: Es sei nicht ideal, um möglichst nahtlos durch das Internet gleiten und Applikationen weiterlaufen lassen zu können.

Beim Roaming müsse ständig das Netz gewechselt werden, was Internetdienste unterbreche, erläuterte Haustein in der Anhörung [1]. Besser wäre es, wenn Mobilfunkbetreiber ihre Sendeanlagen stärker untereinander teilten. Sinn eines solchen "Infrastruktur-Sharing mit Frequenz-Pooling" sei es, mehrere Teile des Spektrums zusammen zu verwenden. Eine Basisstation sende dabei die jeweilige Kennung des beteiligten Mobilfunkbetreibers. Im Hintergrund werde zu jedem Kernnetz eine getunnelte Verbindung hergestellt, die nach außen hin wahrnehmbar sei "als Netz des eigenen Providers". Ein solches Verfahren müsse weniger abgestimmt werden als Roaming.

Ursula Henseler-Unger vom Wissenschaftlichen Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) verwies auf die hohen Latenzen, die Netzwechsel mit sich brächten. Diese liefen den eigentlichen Vorteilen von 5G zuwider. Auch "aktives Sharing" bedinge "eine Menge Übergabeverkehr". Bei vernetzten Autos dauere ein solches Prozedere zu lange, um sich noch rechtzeitig in eine Funkzelle einzuloggen.

Sie spreche lieber über nationales Roaming, um neue Wettbewerber wie 1&1 [2] besser in den Markt zu bringen, unterstrich Henseler-Unger. Für die Betreiber drohe zunächst Rechtsunsicherheit, da jede Entscheidung der Regulierungsbehörde beklagt würde. Um derlei Auseinandersetzungen zumindest schnell führen zu können, sollte die Politik möglichst rasch in einen Gesetzgebungsprozess gehen. Wenn sich ein Netzbetreiber bewusst aus der Fläche heraushalten wolle und beispielsweise vor allem Studenten in Städten als Zielgruppe habe, "muss ich das Geschäftsmodell so akzeptieren".

Lokales Roaming sei zwar mit erträglichem Aufwand schnell umsetzbar, stelle aber "kein nachhaltiges Konzept" dar, erklärte Michael Horn vom Chaos Computer Club (CCC). Auch er sprach sich für "Sharing" aus: Besser wäre es, wenn Infrastrukturen und Standorte geteilt würden wie etwa in Polen. Um weiße Flecken zu schließen, gehe es längerfristig gar nicht anders. 5G-Netze wüchsen zudem rein technisch bedingt zusammen, wodurch Ressourcen viel flexibler aufgeteilt werden könnten. Der neue Standard sei so prädestiniert dafür, Dienste unabhängig vom reinen Netzbetrieb anzubieten. Das gehe aber nur, wenn die Anbieter auf Open Access [3] setzten.

Der Regensburger Infrastrukturrechtler Jürgen Kühling sieht den Gesetzgeber mit dem neuen EU-Paket zur Telecom-Regulierung [4] derweil verpflichtet, möglichst früh eine gesetzliche Grundlage für die Bundesnetzagentur zum Anordnen von nationalem und lokalem Roaming zu schaffen. Um die bereits rund um diesen Punkt geführten rechtlichen Streitigkeiten [5] einzuhegen und die Vorgaben rasch durchsetzen zu können, sollte diese Befugnis noch vor der anstehenden Frequenzauktion für 5G [6] verankert werden.

Das EU-Paket müsse auf jeden Fall bis Dezember 2020 "vollzugsscharf" gestellt werden und lasse relativ wenig Spielraum, meinte Kühling. Ein "Warnhinweis" vor solchen Roaming-Auflagen müsse "vor Zuteilung der Frequenzen" erfolgen. Sonst könnte der EU-Kodex erst 2025 angewendet werden. Eine "ganz große Lösung" für das Funkloch-Problem sieht Kühlung damit aber nicht verbunden. Es gehe zunächst nur um graue Flecken, in denen zumindest ein Netz bereits verfügbar sei. Eine solche Klausel und das damit einhergehende "Drohpotenzial" dürfte aber dazu führen, dass die Anbieter in weiterreichende Verhandlungen eintreten.

Der Mannheimer Regulierungsrechtler Thomas Fetzer vertrat die gegenteilige Meinung und äußerte "erhebliche europarechtliche Bedenken". Die nationale Umsetzungsfrist der Richtlinie bis Ende 2020 komme einem "Anwendungsverbot" der Vorschriften vor diesem Zeitpunkt gleich. Eine Anordnung für lokales Roaming müsse zudem die "Ultima Ratio" für den Fall bleiben, dass in unterversorgten Gebieten "nichts anderes mehr hilft". Wenn zwei Netzbetreiber eine Gegend bereits abdeckten, hätten im Zweifelsfall die O2-Kunden meist wieder das Nachsehen.

Eine Lanze gegen lokales Roaming brach Josef Bednarski, Konzernbetriebsrat der Deutschen Telekom: Dieses führe zu geringeren Investitionen in den Netzausbau und zeitlichen Verzögerungen beim Verbindungsaufbau. "Alles, was wir uns mit 5G vorstellen, wird so nicht realisierbar sein", warnte er. Auch er empfahl, die Funknetz-Infrastruktur gemeinsam zu nutzen.

Als "sehr ausgewogenen Kompromiss" wertete Bednarski den Regierungsentwurf für die Reform des DigiNetz-Gesetzes [7], an den Schwarz-Rot die auch innerhalb der Koalition noch umstrittene Roaming-Norm [8] anhängen will. Ziel dabei ist es, den sogenannten Überbau von Breitbandanschlüssen und eine damit verknüpfte Doppelversorgung von Haushalten mit schnellem Internet einzuschränken.

Sven Knapp vom Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) tat das Vorhaben dagegen als reine Beruhigungspille ab. Nach wie vor gingen viele Unternehmen wegen der Risiken, die sich aus dem derzeitigen gesetzlichen Anspruch zum Mitverlegen von Glasfaserleitungen in Leerrohren ergäben, nicht in den Ausbau. Vor allem kommunale Firmen wie Stadtwerke würden benachteiligt und müssten die Konkurrenz quasi immer mitnehmen. Dabei gingen sie im Kern genauso eigenwirtschaftlich vor. Die Abgeordneten müssten hier nachschärfen, "um gleiche Chancen für alle Marktteilnehmer zu schaffen".

Die Breitbandaktivitäten der klassischen Telekommunikationsunternehmen alleine reichten nicht aus, schlug Kay Ruge vom Deutschen Landkreistag in die gleiche Kerbe. Es gebe daher in hunderten Landkreisen eigene Projekte. Diese beruhten immer auf Mischkalkulationen inklusive der Anbindung wenig attraktiver Gebiete. Mitverlegt werde aber oft nur in lukrativen Regionen. Dieses Rosinenpicken gefährde die kommunalen Gesamtprojekte, es müsse daher rechtssicherer ausgeschlossen werden.

Der Bundesrat hatte sich im November für schärfere Maßnahmen gegen Überbau stark gemacht [9]. Er will, dass auch kommunale Unternehmen oder Zweckverbände, in die Steuergelder fließen, prinzipiell vor einem mehrfachen Verlegen schneller Internetleitungen geschützt werden. Dies gehe zu weit und sei europarechtswidrig, monierte Henseler-Unger. Die sehr weiche Formulierung aus dem Regierungsentwurf werde aber auch nicht viel bringen. (anw [10])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4308739

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bundestag.de/ausschuesse/a15_Verkehr/oeffentliche_anhoerungen/033-sitzung-inhalt/591690
[2] https://www.heise.de/news/5G-Frequenzauktion-Vier-Bieter-gehen-ins-Rennen-4288448.html
[3] https://www.heise.de/news/Offener-Zugang-soll-Durchbruch-beim-Glasfaserausbau-bringen-1708633.html
[4] https://www.heise.de/news/EU-Kosten-fuer-Ferngespraeche-sinken-Gigabitnetze-sollen-kommen-4240539.html
[5] https://www.heise.de/news/Telefonica-will-5G-Versteigerung-mit-Eilantrag-stoppen-4298660.html
[6] https://www.heise.de/news/5G-Frequenzen-Vergaberegeln-stehen-Zulassungsverfahren-eroeffnet-4232853.html
[7] https://www.heise.de/news/DigiNetz-Gesetz-Regierung-schwaecht-Initiative-gegen-Glasfaser-Piraterie-ab-4183594.html
[8] https://www.heise.de/news/5G-Ausbau-Koalition-streitet-ueber-lokales-Roaming-4308356.html
[9] https://www.heise.de/news/Glasfaser-Ueberbau-Bundesrat-draengt-auf-weitere-Korrekturen-am-DigiNetz-Gesetz-4231729.html
[10] mailto:anw@heise.de