Gaskrise: Habeck stellt Priorisierung von Privatverbrauchern in Frage

Wenn kurzfristig Gasströme aussetzten, sei es sinnvoll, Privathaushalte zu bevorzugen, sagt der Wirtschaftsminister. Nun gebe es aber ein anderes Szenario.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 146 Kommentare lesen

Vizekanzler Robert Habeck zu Besuch bei der österreichischen Klimaministerin Leonore Gewessler.

(Bild: ORF)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Andreas Wilkens

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck stellt den bisherigen Vorrang von Privatverbrauchern in einer Gasmangel-Situation infrage. In einem Pressegespräch mit der österreichischen Klimaministerin Leonore Gewessler sagte er in Wien, die europäische Notfallverordnung Gas sehe vor, dass kritische Infrastruktur und Verbraucher geschützt seien. In einer kurzfristigen Störung der Gaslieferung sei das sinnvoll, es gehe aber nun um eine mögliche monatelange Unterbrechung von Gasströmen.

Mit "kurzfristig" meint Habeck eine etwa zwei Wochen andauernde Störung der Gaslieferung durch eine defekte Leitung oder einen Kraftwerkausfall durch eine Überschwemmung oder ein leichtes Erdbeben. So etwas könne vielleicht mit Kurzarbeitergeld für die Industrie kompensiert werden. Im jetzigen Szenario müsse aber noch einmal nachgedacht werden. "Niemand soll frieren, aber dass private Haushalte ihren Anteil leisten und eine langfristige Unterbrechung von industrieller Produktion massive Folgen auch für die Gesamtwirtschaft hat, für die Menschen im Land, für die Versorgungssituation, das ist inzwischen auch erkannt."

Von zentraler Bedeutung sei in der jetzigen Krisensituation die europäische Zusammenarbeit, sagte Habeck. Auf diese wird auch in der sogenannten SoS-Verordnung der EU hingewiesen, in der die Prinzipien der Gas-Priorisierung festgelegt sind. Der Präsident des Chemieverbands Christian Kullmann stellte in der Süddeutschen Zeitung zur Diskussion, was es den Haushalten nütze, weiter Gas zu bekommen, aber es angesichts der Wirtschaftslage nicht bezahlen zu können.

Momentan ist noch fraglich, welche Industrien und Branchen als systemkritisch eingestuft und daher bevorzugt mit Gas beliefert werden sollten. Der Bundesnetzagentur stehen nach eigenen Angaben nicht ausreichend Informationen darüber bereit, "ob ein Unternehmen zur Grundstoffindustrie gehört, ob die bei einem gasmangelbedingten Produktionsausfall fehlenden Güter importiert werden können, sowie ob und in welchem Umfang Unternehmen in Lieferketten eingebunden sind".

Insgesamt gab sich Habeck zuversichtlich: "Unter der Oberfläche sind gerade mächtige Bewegungen im Gange, die, wenn wir diese Zeit durchstehen, diesen Kontinent, Österreich und Deutschland stark und stärker machen." Der deutsche Vizekanzler bekannte sich zu einer Energie-Kooperation mit Österreich. Die beiden österreichischen Bundesländer Tirol und Vorarlberg sind ans deutsche Gasnetz angeschlossen, andererseits hat Österreich große Gasspeicher anzubieten.

Die aktuelle Krise erinnere zumindest in einem wichtigen Punkt an die Finanzkrise von 2008, sagte Habeck weiter. Alle Mahnungen seien in den Wind geschlagen worden. "Natürlich gab es Stimmen, eine einseitige Abhängigkeit von einem zwielichtigen Staatenlenker, das kann nicht richtig sein." Die Entscheidung zum Bau der Ostsee-Pipeline Nord-Stream 2 sei 2015 gefallen, ein Jahr nach der Besetzung der Krim durch Russland. Die Länder hätten sich nicht breit genug aufgestellt, sondern den einfachen, billigen und finanziellen Vorteil gerne genommen.

(anw)