Gefälschte AIS-Schifffahrtsdaten: Ortsangaben von Kriegsschiffen manipuliert

Angebote wie MarineTraffic visualisieren Ortsangaben, die Schiffe in die Welt funken. Für einige Kriegsschiffe werden die aber wohl gezielt gefälscht.

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(Bild: Nick Markantonis/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Unbekannte fälschen offenbar systematisch die Positionsdaten von Dutzenden Kriegsschiffen und könnten damit schlimmstenfalls militärische Konflikte auslösen. Das hat eine ausführliche Analyse der Organisationen SkyTruth und Global Fishing Watch ergeben, die nun veröffentlicht wurde. Darin beschreibt der Analyst Bjorn Bergman, wie er falsche Daten des sogenannten Automatischen Identifikationssystems (AIS) gefunden hat, die offenbar von Schiffen stammen, die zur jeweiligen Zeit gar keine solchen Daten preisgegeben hätten. Anders als andere fehlerhaften Ortsangaben würden die äußerst plausibel erscheinen und seien auf den ersten Blick nicht von echten zu unterscheiden. Das mache sie zu einer signifikanten Gefahr.

Das Automatic Identification System AIS ist ein seit Jahrzehnten standardisiertes Funksystem zum Austausch von vor allem Navigationsdaten in der Schifffahrt. Auf internationalen Gewässern ist der Betrieb einer AIS-Funkanlage vorgeschrieben, mit der Schiffe Empfängern in der Umgebung unter anderem ihre aktuelle Position mitteilen. Während kommerzielle und private Schiffe das durchgehend tun, sei das von Marineschiffen nie erwartet worden, erklärt Bergman. Viele würden ihre Position aber zumindest in und um Häfen oder in viel befahrenen Wasserstraßen preisgeben. Andernorts werden die Sender demnach dann aber deaktiviert. Senden Kriegsschiffe ihre Position, erfolge das zwar mit einer versuchten Anonymität, die lasse sich aber aufheben.

Mit diesen Hintergründen führt Bergman die Bedeutung seiner Entdeckung ein. Über einen Medienbericht war er demnach auf einen Fall in Schweden aufmerksam geworden, wo öffentlich einsehbare AIS-Daten neun Marineschiffe scheinbar bei einem Manöver gezeigt hatten. Das schwedische Militär habe aber versichert, dass diese Daten falsch waren. Bergman analysierte sie; auch wenn sie dem ersten Anschein nach nicht von echten zu unterscheiden waren, habe er ein Muster entdeckt. Anhand dieses Musters habe er automatisiert nach ähnlichen Fälschungen gesucht und fast 100 Kriegsschiffe aus den USA und Europa gefunden, deren Position teilweise derart gefälscht worden seien. Für Zeiträume, in denen die Schiffe ihre Position nicht preisgaben, speisten die unbekannten Verantwortlichen also falsche Ortsangabe in die AIS-Datenbanken ein.

In mühevoller Kleinarbeit hat Bergman seinen Verdacht dann für 15 der identifizierten Marineschiffe bestätigen können, erklärt er. Dafür hat er die für die archivierten AIS-Ortsangaben Bestätigungen aus anderen Quellen gesucht, unter anderem auf Satellitenaufnahmen oder über Fotos von Unbeteiligten aus Häfen. Tatsächlich habe er für 15 Schiffe damit bestätigen können, dass das von ihm identifizierte Muster in den AIS-Daten nur auftrat, wenn diese gefälscht waren. Seiner Meinung werden die nicht vor Ort generiert und deswegen auch dort nicht per Funk empfangen, sondern in die Systeme eingespeist, die sie etwa für Webseiten oder Apps wie jene von MarineTraffic aufbereiten. Für die Schifffahrt selbst seien die Fälschungen also nicht gefährlich, aber anderweitig.

Die mit den Fälschungen verbundene Gefahr erklärt Bergman an einem aktuellen Beispiel: So hätten der britische Zerstörer HMS Defender und die niederländische Fregatte HNLMS Evertsen Mitte Juni im ukrainischen Odessa vor Anker gelegen. Dann hätten öffentlich einsehbare AIS-Daten aber angezeigt, dass die Marineschiffe zum Hafen Sewastopol auf der von Russland besetzten Halbinsel Krim fahren würden. Dabei hätten die Schiffe da noch im Hafen gelegen und erst später hätten sie sich dem Gebiet – mit angeschaltetem AIS-Funk – genähert, aber eben nicht die Seegrenze überfahren. Mit den falschen AIS-Angaben könnten also falsche Narrative etabliert oder sogar Militärschläge begründet werden.

Falsche und echte AIS-Ortsangaben der HMS Defender

(Bild: SkyTruth/Global Fishing Watch, 2021)

Wer mit welchem Motiv hinter den Fälschungen stecken könnte, dazu äußert sich Bergman nicht. Dem US-Magazin Wired sagte Todd Humphreys vom Radionavigation Laboratory der University of Texas aber, dass das Vorgehen zu russischen Desinformationskampagnen passen würde. Bei den betroffenen Kriegsschiffen handelt es sich laut Bergman fast ausschließlich um solche von europäischen und/oder NATO-Staaten, darunter zwei Atom-U-Boote der USA. Die falschen Ortsangaben hätten oft ein Eindringen in russische oder umstrittene Gewässer gezeigt. Technisch sei das Problem zu lösen, meint Bergman. So ließen sich AIS-Ausstrahlungen kryptografisch signieren. Das von ihm entdeckte Muster hält er aber geheim, damit die Verantwortlichen diesen Weg zur Identifizierung nicht versperren können.

(mho)