„Geh raus und fotografiere!“

Wie gestalten Menschen ihr kleines, unperfektes Leben? Dieser Frage geht Martina Holmberg mit ihrer Kamera nach. Die 35-jährige Schwedin experimentiert dabei gerne, mit der Polaroidkamera genauso wie mit dem iPhone. Ein Interview.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Daniela Zinser

Martina Holmberg (35)

(Bild: seen.by)

Frau Holmberg, Sie haben eine ganz schöne Wandlung hinter sich - von der iPhone-Ignorantin zur Autorin des Buches „60 Tipps für kreative iPhone-Fotografie“. Wie lange haben Sie sich gewehrt?

Martina Holmberg: Als die Anfrage kam, ob ich so ein Buch schreiben will, war ich sehr skeptisch. Ich hielt das iPhone für ein Spielzeug und nicht für eine Kamera, und schließlich bin ich professionelle Fotografin und kein Technik-Nerd. Man kann das Objektiv nicht wechseln, die Auflösung ist relativ gering – wie sollte man da gute Bilder machen? Aber nach den ersten paar Tagen und den ersten paar hundert Fotos hat es mich gepackt. Es machte so viel Spaß und ich war so begeistert wie zu meiner Anfangszeit als Fotografin.

Was hat Ihre Begeisterung geweckt?

Martina Holmberg: Man kann das iPhone einfach mit sich herumtragen. Und man muss sich keine Sorgen um die Technik machen, sondern kann sich ganz auf das Motiv konzentrieren. Mit den Apps ist es sehr einfach, den Bildern unterschiedliche Stimmungen zu verleihen, den Ausdruck zu variieren oder zu verstärken, damit experimentiere ich gerne.

Wie man auf Ihren iPhone-Fotos sieht. Vom Schatten, den Ihre Beine werfen, über spielende Kinder, eine kleine Vogelleiche bis zum Porträt, jede Aufnahme hat ihren ganz eigenen Charakter. Was sind Ihre besten Tipps, um solche Bilder zu schießen?

Martina Holmberg: Vor allem: Viel ausprobieren und dabei Spaß haben. Es gibt so viele Apps. Man muss die finden, mit der man am besten das ausdrücken kann, was man sagen will. Es geht also mehr darum, warum ich gerade diese App verwende. Nicht einfach nur darum, dass ich es kann. Sonst kann es zu viel Effekthascherei sein. Wer seinen eigenen fotografischen Blick entwickeln will, nimmt sich am besten jeden Tag ein Thema vor. Zum Beispiel: Heute geh’ ich raus und fotografiere nur Schatten. Das klingt vielleicht langweilig, aber dadurch wird das Auge geschult.

Man sollte also nicht einfach nur drauflos fotografieren?

Martina Holmberg: Doch, Schnappschüsse sind toll. Aber auch da ist es wert, sich mal andere Motive zu suchen. Nicht nur Gesichter, Partys, Urlaubserinnerungen. Es gibt so viel Interessantes an ungeahnten Orten. Dabei geht es auch nicht nur darum, Fotos zu haben. Viele sind so mit Fotografieren beschäftigt, dass sie ein Konzert zum Beispiel gar nicht mehr wahrnehmen. Mit der Kamera kann man den Alltag bewusster erleben. Dabei ist aber die Frage ganz wichtig, egal ob für Amateurfotografen oder für professionelle: Was für eine Geschichte will ich mit diesem Bild erzählen?

In Ihrer Serie „Fade to Black“ haben Sie mit einer Polaroidkamera fotografiert – beim iPhone ahmen die beliebtesten Apps diesen Vintage-Look nach. Was fasziniert die Leute so an orangestichigen, leicht verschwommenen Bildern?

Martina Holmberg: Ich glaube, es ist die Sehnsucht nach etwas Altem, Bewährtem. Nach Authentischem und nach etwas, das nicht so perfekt ist. Digitalfotografie ist manchmal zu poliert, zu Hochglanz, das wirkt dann irgendwie langweilig und leblos. Unperfektes berührt mehr und ist echter, denn das Leben ist ja nun wahrlich auch nicht perfekt.

Ist das die Geschichte, die Sie mit Ihren Bildern erzählen wollen?

Martina Holmberg: Ja. Jeder möchte das perfekte Leben führen, und natürlich gelingt das nie. Aber mich interessiert, wie die Menschen versuchen, aus all den Widrigkeiten doch das Beste zu machen. Auf meinen Fotos sieht man, dass die Leute sich oft abgemüht haben mit ihrem Leben, der Grad ist schmal zwischen „Alles unter Kontrolle“ und Verrücktsein. Und gerade in der völligen Ordnung, der Vorhänge und der Dekoration zum Beispiel, liegt ein gewisser Wahn und die Angst, die Kontrolle zu verlieren.

Ihre aktuelle Arbeit „Mayfly“ zeigt Menschen, die sie in Schweden auf der Straße getroffen haben. Sie haben sie nach Hause begleitet und kamen in Wohnungen ganz in Pink oder voller Engel. Welche Geschichten haben Sie dort gefunden?

Martina Holmberg: Es gibt immer etwas, das mich anspricht, wenn Haare zu perfekt und zu angestrengt um gutes Aussehen bemüht wirken, zum Beispiel. Auf solche Leute gehe ich zu. Eine davon war Indra. Wegen ihrer chronischen Migräne arbeitet sie nicht mehr. Sie hat sich zuhause ein pinkfarbenes Universum geschaffen, in dem sie Cupcakes backt, bloggt und sich ganz um ihren Hund Loxy kümmert. Oder eben Gina, die Engeltherapie macht. All diese Menschen versuchen, das Beste und Schönste aus ihrem Leben herauszuholen.

Wie wir alle...

Martina Holmberg: ... ja, deshalb geht es mir auch nicht darum, diese Leute vorzuführen. Wir alle haben irgendwelche Probleme und versuchen, einen Sinn zu finden. Dieser Versuch ist manchmal amüsant, manchmal verzweifelt. Ich habe von diesen Menschen so viel gelernt. Ich urteile nun nicht mehr über Leute, die vielleicht nicht normal wirken. Jeder hat seine Gründe, seine Lebensgeschichte, sein Päckchen zu tragen. Und jedes Leben ist interessant.

Das Interview führte Daniela Zinser für seen.by im August 2012.

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(keh)