Gesichtserkennung: Scharfe Kritik an Plan für "biometrische Rundum-Überwachung"​

CCC, FIfF & Co. warnen vor dem neuen "Sicherheitspaket" der Bundesregierung. Die Ampel verfalle in blinden Aktionismus und wolle Anonymität faktisch beenden.​

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(Bild: ImageFlow/Shutterstock.com)

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Die Bundesregierung will mit ihrem "Sicherheitspaket", das sie nach dem tödlichen Solinger-Messerangriff eilig am Donnerstag beschlossen hat, für die Ermittlungsbehörden eine "Befugnis zum biometrischen Abgleich von allgemein öffentlich zugänglichen Internetdaten ('Gesichtserkennung')" einführen. Ziel ist es, "die Identifizierung von Tatverdächtigen oder gesuchten Personen zu erleichtern". In der Zivilgesellschaft löst das Protest aus. So warnen etwa der Chaos Computer Club (CCC) und das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) vor einem "biometrischen Überwachungsexzess". Die vorgesehene automatisierte Erfassung von Gesichtsbildern aus dem Internet, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bereits mit ihrem Entwurf für die Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) anvisierte, sei "ein Angriff auf die Privatsphäre aller – ohne klare Notwendigkeit oder Nutzen".

Die Ampel wolle "faktisch Anonymität beenden und uns alle immer und überall identifizierbar machen", befürchtet der CCC "einen neuen Tiefpunkt im fortwährenden Abbau von Grundrechten" und eine "dystopische Zukunft". Dies stehe im klaren Gegensatz zum Koalitionsvertrag. Zudem verstricke sich die Regierung mit ihrem Verweis auf die EU-Verordnung für Künstliche Intelligenz (KI) in Widersprüche: Diese verbiete es, KI-Systeme zu nutzen, um Datenbanken für biometrische Gesichtserkennung durch das massenhafte ziellose Auslesen von Gesichtsfotos aus dem Netz zu erstellen oder zu erweitern. Genau diese werde mit dem Paket aber beabsichtigt. Laut dem Entwurf für die Reform des BKA-Gesetzes sollen sogar etwa "Bewegungs-, Handlungs- oder Sprechmuster" aus dem Internet gesammelt werden.

Die Regierung will auch die "automatisierte Analyse polizeilicher Daten durch das BKA und die Bundespolizei" gestützt durch KI genauso ermöglichen wie das Testen und Trainieren von Daten für KI-Anwendungen für Big-Data-Analysen im Stil von Palantir & Co. Das bedeute praktisch, "dass der ganze Zoo polizeilicher Datenbanken" zusammengeführt und automatisiert durchsucht werden können solle, monieren CCC und FIfF. Offenbar ignoriere die Regierung so "die Fehleranfälligkeit und Risiken von KI und sitzt dem KI-Hype auf". Datenschützer und Rechtsexperten warnen schon lange, dass die Unschuldsvermutung verloren geht, wenn die Polizei mit KI riesige Datenbestände durchforsten dürfte.

Die Koalition "scheint in diesen herausfordernden Zeiten in blinden Aktionismus zu verfallen", kritisiert Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender des SPD-nahen digitalpolitischen Vereins D64. Sie versuche die "konservative und grundrechtsfeindliche Sicherheitspolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte zu übertrumpfen". Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge solle sogar ohne Anfangsverdacht einer Straftat das Netz automatisiert nach Personen durchsuchen dürfen. Solcherlei sei nur möglich, "wenn riesige, unterschiedslose Gesichtsdatenbanken angelegt werden". Das sei mit dem EU-Recht unvereinbar. Matthias Spielkamp, Geschäftsführer von AlgorithmWatch, gibt zu bedenken: "Mehr Überwachung führt vor allem zu mehr Unfreiheit, nicht zu mehr Sicherheit." Der Deutsche Anwaltverein meint: Letztlich würde "jedes Smartphone zu einer potenziellen staatlichen Videoüberwachungsanlage".

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verlangte indes in einer Sondersitzung im NRW-Landtag zu Solingen: Die Sicherheitsbehörden müssten wissen, "was im Internet – und auch in Messenger-Diensten – vor sich geht". Ein großes Hindernis dafür sei der Datenschutz. Dieser sichere eine "vermeintliche Freiheit" im digitalen Raum ab und verhindere dabei "zu oft, dass wir unsere Freiheit im echten Leben so wirksam schützen können, wie es eigentlich längst möglich wäre". Der Schutz von Daten – etwa durch Verschlüsselung – müsse im Sinne einer neuen Balance zur Sicherheit häufiger zurückstehen. Zugleich betonte der Christdemokrat: "Wir brauchen eine verfassungskonform ausgestaltete Vorratsdatenspeicherung." Ganz in diesem Sinne konstatierte Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP): "Wir haben mehr Befugnisse erwartet." Er vermisst vor allem Vorgaben zum anlasslosen Speichern von IP-Adressen.

(mki)