Große Netzpolitik vor ungewohnter Kulisse: die Summer School on Internet Governance

Ein Teil der globalen Internet-Community trifft sich für eine Woche in der sächsischen Kleinstadt Meißen: in einem ehemaligen Kloster.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Stefan Mey

Über die großen Themen der Netz-Politik wird oft auf pompösen Konferenzen in Berlin, London oder New York debattiert. Einmal im Jahr aber zieht sich ein Teil der globalen Internet-Community für eine Woche in die sächsische Kleinstadt Meißen zurück: in die europäische Summer School on Internet Governance im Ambiente eines ehemaligen Klosters.

Juan Du

(Bild: Stefan Mey / heise online)

Die 27-jährige Juan Du ist aus Hongkong zur Summer School gereist. Sie schreibt ihre Doktorarbeit über Internet Governance in China und ist eine der "Fellows": 27 junge Wissenschaftler und Berufsanfänger aus der ganzen Welt, die lernen wollen, wie das Internet global reguliert und gemanagt wird. Juan Du erhofft sich Impulse für ihre Doktorarbeit: "Ich möchte hier lernen, wie Internet Governance theoretisch und praktisch funktioniert und dann schauen, wie sich das auf den chinesischen Kontext übertragen lässt." Andere Fellows sind aus Georgien, Schweden, Ghana und Jordanien.

Olivier Crépin-Leblond gehört zur "Faculty": 22 alte Hasen der globalen Internet-Community, die ihre jeweiligen Fachgebiete erklären. Er selbst ist Vorsitzender des ALAC (At-Large Advisory Committee), der Nutzer-Vertretung der globalen Internet-Behörde ICANN. Avri Doria von dotgay, die sich seit Jahren in der ICANN engagiert, ist Teil der Faculty, Keith Drazek, der Chef-Lobbyist von Verisign sowie Vertreter verschiedener Länder-TLDs wie .br oder no. Für Freitag hat sich kurz eine Vertreterin der NTIA angekündigt, der umstrittenen, für Internet-Regulierung zuständigen Unterabteilung des US-Handelsministeriums.

Olivier Crépin-Leblond

(Bild: Stefan Mey / heise online)

Crépin-Leblond ist schon zum vierten Mal in Meißen. Damit die Interessen der Zivilgesellschaft in den globalen Entscheidungsgremien nicht zu kurz kommen, würden motivierte und vor allem gut informierte Freiwillige gebraucht: "Nur wenn sie das komplexe Thema Internet Governance mit seinen verwirrenden Abkürzungen und Mitwirkungsprozessen intuitiv verstehen, sind sie in der Lage, auch tatsächlich mitzuwirken. Um das zu ermöglichen, komme ich jedes Jahr her." Crépin-Leblond hat das Gefühl, dass das Konzept tatsächlich fruchtet. Immer wieder begegne er auf globalen Konferenzen und Versammlungen ehemaligen Fellows.

Das Programm in Meißen richtet sich an Doktoranden und an Berufsanfänger, die schon am Anfang ihrer Karriere stehen. Zwischen Montag und Freitag gibt es insgesamt 48 Stunden Unterricht: Vorträge, Diskussionen und ein mehrtägiges Rollenspiel, bei dem die Teilnehmer in simulierten Verhandlungen lernen sollen, wie sich das Multistakeholder-Modell der ICANN praktisch anfühlt. Am Montag ging es thematisch in den Vorträgen um das Internet-Governance-Ökosystem, am Dienstag um digitale Menschenrechte, Überwachung und Sicherheit, später in der Woche soll es um neue Top-Level-Domains gehen, das Multistakeholder-Modell und die von Netzaktivisten ersehnte Zukunft der ICANN ohne US-Aufsicht.

Exkursion der Summer School in Meißen

(Bild: Stefan Mey / heise online)

Die Summer School ist eine private Initiative. Die ICANN gibt etwas Geld, um sie zu finanzieren. Ein größerer Teil aber kommt von anderen Sponsoren aus der Domainbranche wie VeriSign und vor allem der deutschen Denic. Die Sponsoren übernehmen für etwa die Hälfte der Teilnehmer die Teilnahmegebühr und teilweise auch die Reisekosten. Die Idee für die Initiative entstand 2006 auf einem Treffen von Wissenschaftlern im sächsischen Rathen. Dem Wissenschaftler Wolfgang Kleinwächter und seinen Kollegen war eine Schieflage aufgefallen: Fast überall in der Welt waren auf hohem Niveau Internationale Beziehungen oder Globales Recht zu studieren, doch nirgendwo die noch junge Disziplin Internet Governance, die Lehre von dem komplizierten Ökosystem, in dem über die globale Internet-Regulierung entschieden wird.

Als Antwort darauf entstand die Summer School on Internet Governance, die mittlerweile auch schon Ableger in anderen Weltregionen hat, die aktivste in Südamerika. Die deutsche Ausgabe findet 2014 im achten Jahr in der "Evangelischen Akademie", einem ehemaligen Kloster in Meißen statt. "Die dicken Klostermauern strahlen Ruhe aus und verhindern Ablenkung, was die tiefgründigen Diskussionen über die komplizierten Themen der Sommer School unterstützt", meint Sandra Hoferichter, die die Summer School zusammen mit Kleinwächter organisiert.

Dass Meißen nicht Berlin ist, hat auch Vorteile, meinte Kleinwächter am ersten Tag spöttisch und kündigte den Fellows und der Faculty eine ergiebige und aufreibende Woche an: "Es gibt hier keinen Einkaufstempel, keine Großraum-Disco und keinen Sand-Strand. Ihr könntet einen Rundgang durch die Stadt machen, aber nach 30 Minuten habt ihr dann fast alles gesehen. Es bleibt euch also nichts anderes übrig, als eine Woche lang über nichts anderes als Internet Governance zu reden." (anw)