Hacken, Fressen und der ganze Rest namens Moral

Ein Artikel zweier anonymer Hacker zeigt, wie schnell es passieren kann, dass jemand für Firmen wie Gamma International arbeitet, die Überwachungssoftware für autoritäre Regime herstellt. Man könne aber aussteigen, versichern die Autoren.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 20 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Zu seinem 32. Geburtstag macht sich der Chaos Computer Club ein originelles Geburtstagsgeschenk. Er veröffentlicht die Geschichte zweier Hacker, die auszogen, ihren Spaß am Gerät zu haben. Ein Vorabdruck aus der Datenschleuder über ihre Erlebnisse unter dem Titel Letzter Ausstieg Gewissen zeigt, wie schnell jemand dazu geraten kann, für Überwachungsfirmen wie Gamma International zu arbeiten.

Die Vorgeschichte ist etwas verzwickt: Vor wenigen Tagen veröffentlichte Wikileaks neue Dokumente unter dem Titel Spy Files, überwiegend Werbe- und Präsentationsmaterial von Unternehmen, die Überwachungssoftware programmieren und in alle Welt verkaufen. Unter diesen Dokumenten findet sich auch die Vereinbarung einer strategischen Partnerschaft zwischen der Schweizer Dreamlab Technologies und der deutsch-britischen Firma Gamma International. Die Veröffentlichung dieser Vereinbarung nutzte der Chef der Schweizer Dreamlab zu einem umfassenden Geständnis. Ja, man habe als Zulieferer für Gamma gearbeitet und eine Komponente für einen Infection Proxy geliefert. Dies sei nach Ansicht seiner Entwickler aber so unproblematisch wie der Verkauf einer Netzwerkkarte. Nun habe das Unternehmen aber eingesehen, dass es keine Komponenten für rechtsstaatlich problematische Software entwickeln dürfe. Die besagten Entwickler hätten die Firma verlassen, eine eigene Firma gegründet und würden weiterhin "entsprechende technische und geschäftliche Beziehungen" ausbauen.

Der letzte Satz veranlasste die nur "Simon" und "Bernd" genannten Entwickler offenbar, nun selbst gegenüber Redakteuren der Datenschleuder auszupacken und ihre eigene Sicht der Dinge offenzulegen. Das Geständnis liest sich recht holprig, gibt aber dennoch einen Einblick, wie schnell unpolitische Technik-Geeks in eine Schieflage geraten können. Am Schluss programmierten sie Software, die Diktatoren einsetzen, um Oppositionelle auszuspionieren.

Dreh- und Angelpunkt in der Geschichte von Simon und Bernd ist Martin J. Münch, der Cheftechniker von Gamma International. Als Mitglied des Entwicklerteams von BackTrack erwarb sich Münch offenbar ein solches Ansehen in der Hacker-Community, dass er problemlos gute Programmierer gewinnen konnte. Sie wurden zunächst nicht über den wahren Einsatzort der Überwachungssoftware aufgeklärt, etwa Ägypten, wo Gamma direkt an die Staatssicherheit verkaufte. Doch auch die geschickteste Verschleierung und Tarnung hat Grenzen. Die bei Dreamlab Technologies angestellten Programmierer, die als Subunternehmer für Gamma arbeiteten, kündigten den Job und machten ihre eigene Firma auf. Diese soll – ganz anders als bei Dreamlab behauptet – nur noch reputierliche Programmierprojekte annehmen. Nach Recherchen von heise online bieten sie etwa ein embedded System an, das autonom programmiert werden kann, gut zu transportieren ist und leicht versteckt werden kann.

Der Chaos Computer Club kommentiert unter der Überschrift "Hacken, Fressen und Moral" die Erzählung von Simon und Bernd geradezu euphorisch: "Die Geschichte ist damit auch ein deutliches Signal an alle, die in einer ähnlichen Situation verstrickt sind und glauben, sich zwischen ihrem Gewissen und ihren sozialen und finanziellen Verpflichtungen entscheiden zu müssen. Es gibt ein Leben nach dem Ausstieg aus der Überwachungs- und digitalen Angriffsbranche – und es ist besser als zuvor." (mho)