Hackerkonferenz rC3: Mit "Zero-Covid-Spaces" die Corona-Pandemie stoppen
Ein Bioinformatiker und eine Notärztin plädierten auf dem Kongress rC3 dafür, in Eigenregie vor Infektionen abgesicherte Räume und Gruppen einzurichten.
Vor einem Jahr hätte sie sich nicht vorstellen können, dass die Menschheit Ende 2021 trotz großer Fortschritte in der Corona-Forschung und gesammelter Erfahrungen im Gesundheitswesen und in der Gesellschaft die Covid-19-Pandemie immer noch nicht in den Griff bekomme, erklärte die Notärztin Elisa Stein am Mittwoch zum Auftakt von Teil 2 ihres "Erlebnisberichts" auf dem virtuellen Hackertreffen rC3 (remote Chaos Communication Congress). Gemeinsam mit dem Bioinformatiker Cornelius Fischer machte sie sich daran, Erfolge im Kampf gegen und Auswege aus der Dauerseuche zu erörtern.
Für Fischer alias Dr. C0nne ist die große Frage, wie die Gesellschaft wieder zu einer gewissen Stabilität zurückkommen kann. Die Strategie, die Pandemie zu kontrollieren und nur die Ansteckungskurve möglichst niedrig zu halten ("flatten the curve"), sei gescheitert, waren sich der Molekularbiologe und die Helferin in einer Rettungsstelle einig. Andererseits sei ein umfassender Zero-Covid-Ansatz, wie ihn etwa Experten Anfang 2021 in einem Appell für einen "solidarischen europäischen Shutdown" zum Erreichen von Null-Neuinfektionen forderten, ohne Mitspielen der Politik auch nicht verfolgbar.
Ansteckungen verhindern
Das Ziel, die Ansteckungen Richtung null zu drücken, ist laut Fischer aber nach wie vor der einzige vernünftige Weg zum Stoppen der Pandemie. Er hält es da mit einer Schlussfolgerung des US-Physikers Yaneer Bar-Yam, wonach "Leben mit dem Virus nicht funktioniert". Menschen erkrankten nach wie vor teils schwer. Das daraus entstehende Leid werde immer so groß werden, "dass wir Übertragungen stoppen müssen".
Varianten wie Omikron, die in getrennten Populationen entstehen, würden zudem immer ansteckender und seien auf jüngere Populationen ausgerichtet, fügte Dr. C0nne an. Sie reisten dann mit dem Flugzeug einfach rund um die Welt. So entständen ständige Zyklen entlang des Räuber-Beute-Beziehungsmodells. Wenn die Gesellschaft dem nicht etwas "ganz Konkretes" dazwischenschiebe, "geht das ewig so weiter".
Fischer forderte daher ein Ende der Top-Down-Politik beim Verhängen in sich nicht schlüssiger Corona-Maßnahmen, die meist "nicht selbstgewollt" seien. Besser sei es, wenn sich kleinere Gruppierungen und Netzwerke in einer Basisbewegung quasi zur Selbsthilfe zusammenfänden. Er arbeite gerade an einem Modell, um eine einfache Anleitung zu formulieren für eine "umfassende Sicherheit durch machbare Sachen" in solchen Zusammenschlüssen von Gleichgesinnten.
Sichere Räume
Es gelte "sichere Räume" wie die eigene Wohnung, ein Hausprojekt, eine WG, ein Gemeindezentrum oder einen Jugendclub mit Gleichgesinnten einzurichten, die gemeinsam Verantwortung übernehmen, erläuterte der Mitgründer des Kollektivs zerocovid.space. Darin müssten die Teilnehmer dann "so viele Schutzschichten wie möglich anwenden", die vom Impfen über regelmäßiges Testen und das Tragen von Schutzmasken bis hin zum Einsatz von Luftfiltern reichten. Der Sicherheitsgrad multipliziere sich mit diesen Kombinationen, sodass die Ansteckungsgefahr ganz schnell unter ein Prozent gedrückt werden könne.
Wichtig sei, dass sich innerhalb der Gruppen alle einig seien und keiner die "grundlegende Gefahr des Virus" verharmlose, betonte Fischer: "Wenn man Kompromisse machen muss" und weiter herumdiskutiere, "verliert man viel Schutz". Es komme hier auf die eigene Entscheidung an, dass jeder Teilnehmer das verfügbare Wissen richtig anwende. Dazu gehöre vor allem: Die Infektionsroute erfolge physikalisch über Tropfen in der Luft (Aerosole). Verlässliche Informationen dazu biete etwa das von Bar-Yam mit auf die Beine gestellte World Health Network.
Stein, die 2020 auf dem rC3 bereits aus dem Nähkästchen einer Notaufnahme in Corona-Zeiten geplaudert hatte, unterstützte die Idee und fühlte sich an die Berliner Kiezkommunen erinnert. Deren Wiederbelebung als "safe spaces" könne ein Gegenmodell zur bisherigen Dissonanz zwischen halbgaren Lockdowns und Geschwurbel von Corona-Leugnern sowie Impfgegnern sein: "Halbherzige Sachen bringen nichts, sie zermürben die Leute nur."
Ernste Auswirkungen
Die Medizinerin warnte davor, die Auswirkungen des Virus nicht ernst zu nehmen. Leider antworte selbst der Chatbot der Vivantes-Kliniken, für die sie arbeite, auf eine Frage dazu mit der zweifelhaften Aussage, dass die meisten Erkrankungen einen "milden Verlauf" nähmen. Über die Krankenhäuser des Konsortiums seien mittlerweile über 8000 Patienten versorgt worden. Nach wie vor gebe es keine "ursächliche Therapie", es ließen sich nur die Symptome bekämpfen. Dafür stünden inzwischen zwar etwa mehr Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das Personal habe sich gegenüber dem Vorjahr aber weiter reduziert: "Viele haben gekündigt" aufgrund von Burnout
.
Aktuell seien die Hospitäler voll und "schon völlig am Limit", verdeutlichte Stein. Mit der zu befürchtenden massiven Zunahme an Omikron-Fällen könne sie sich nicht vorstellen, "wie das funktionieren soll". Noch zu wenig bedacht und kaum richtig diagnostiziert werde das Long-Covid-Phänomen: Geschätzt träten bei rund zehn Prozent der Patienten Langzeitfolgen auf, die Lunge, Nieren, Gehirn, Herz, Blutgefäße und den Darm betreffen könnten. Die Dunkelziffer dürfte angesichts fehlender Messgrößen aber viel größer sein.
Klassische Long-Covid-Symptome sind der Ärztin zufolge Ziehen in der Brust, chronische Müdigkeit und "Nebel im Hirn". Autoimmunprozesse spielten ebenfalls eine Rolle. Auch hier könne man nur Physiotherapie machen, die Ernährung umstellen oder Sauerstoff geben. Es seien gravierende Auswirkungen für das öffentliche Leben sowie viele Krankheitsausfälle zu befürchten. Derzeit seien von den Langzeitpatienten fast 30 Prozent arbeitsunfähig, obwohl viele von ihrer eigentlichen Covid-Erkrankung gar nichts mitbekommen hätten. Stein riet nachdrücklich davon ab, mit Omikron eine "Durchseuchung" in Kauf zu nehmen. Genesen zu sein heiße auch nicht, gegen andere Varianten Immunität zu haben.
Mit der erst spät erfolgten Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko), Schwangere zu impfen, hadert die Aktivistin. Diese habe mit zu einer "Welle von Frühgeborenen wegen schwangeren Ungeimpften" geführt. Bei der Bauchlagenbeatmung könnten Kinder nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt werden, sodass sie per Kaiserschnitt entbunden werden müssten, dann selbst Covid hätten und ohne körperliche Nähe ihre ersten Tage verbrächten. Stein und Fischer verlangten, die Impfpatente freizugeben, um dem Virus weitere Möglichkeiten zum Mutieren zu nehmen. Es sei dringlich, Versorgungslücken im globalen Süden zu schließen.
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(jk)