Hartz-IV-Wohnregelung verfassungswidrig?

Das Sozialgericht Mainz sieht in aktuellen Anwendung des § 22 Absatz 1 SGB II einen Verstoß gegen die Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip

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Unter den "Kosten der Unterkunft" versteht man die Gelder, die Hartz-IV-Empfängern nach § 22 Absatz 1 SGB II für Miete und Heizung gezahlt bekommen. Diese Aufwendungen werden nicht komplett erstattet, sondern nur zu dem Teil, den ihre Kommune für "angemessen" erachtet. Wessen Miete als zu hoch oder wessen Wohnfläche als zu groß gilt, den fordert das Jobcenter zu einem Umzug auf. Lebt er sechs Monate danach noch in der Wohnung, kürzt die Arbeitsagentur seinen Bezug.

Diese Regelungen zu den "Kosten der Unterkunft" sind seit ihrem Inkrafttreten immer wieder Anlass für Prozesse. In einer jetzt bekannt gewordenen Entscheidung des Mainzer Sozialgerichts vom 8. Juni (Az.: S 17 AS 1452/09) kommen die Richter im Fall eines Geringverdienerehepaares aus Worms, für dessen 62 m² große und 358,13 Euro teure Wohnung das örtliche Jobcenter nur 292,20 Miete erstatten wollte, zu dem Schluss, dass die Konkretisierung des Begriffs "angemessen" in § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II durch das Bundessozialgericht "nicht mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar" sei. Dazu bezieht sich die 17. Kammer auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010, in dem der damalige Hartz-IV-Regelsatz als zu pauschal ermittelt verworfen wurde.

Aus § 22 Absatz 1 Satz 3 SGB II, der auf die "Besonderheit des Einzelfalls" abstellt, folgert das Mainzer Sozialgericht, dass "zur Konkretisierung der Angemessenheit eine Einzelfallprüfung erfolgen" soll. Zudem sieht die Kammer den unbestimmten Rechtsbegriff "unangemessen" nur dann verfassungskonform ausgelegt, wenn das Jobcenter prüft, ob Mieten "deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen". In diesem Zusammenhang verweisen die Richter unter anderem auf Seite 57 des Gesetzentwurfs zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt aus dem Jahr 2003, wo sich nachlesen lässt, dass die "zu beachtenden Voraussetzungen […] den sozialhilferechtlichen Regelungen" entsprechen. Damals hatte der Sozialhilfeträger zu prüfen "ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war". Konnte die Behörde das nicht nachweisen, dann musste sie "die Aufwendungen in voller Höhe weiter […] übernehmen".