Heftige Proteste gegen neue Web-Zensurgelüste

Die vom DGB und von Jugendschützern ins Spiel gebrachte weitere Inanspruchnahme von Zugangsanbietern für Web-Sperrungen stößt in der Internetwirtschaft, bei Bundespolitikern und Netzverbänden auf großen Widerstand.

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Die weiteren Auflagen für Provider zu Web-Sperrungen, die jüngst vom DGB und vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck lautstark gefordert wurden, stoßen in der Internetwirtschaft und bei Netzpolitikern des Bundestags auf heftige Kritik.

"Nun verlangen schon die Gewerkschaften -- bekanntermaßen Kompetenzzentren für Internetfragen -- von der Politik die Aussperrung brauner Webseiten von den Servern", schüttelt Hans-Joachim Otto nur noch den Kopf. Der medienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion hatte jüngst erst gegen den ursprünglichen Vorstoß des Düsseldorfer Regierungspräsidenten Jürgen Büssow zur Netzsäuberung protestiert, da er das eigentliche Problem nicht löse. Nun mache sich eine "unheilige Allianz aus regulierungswütigen Gewerkschaftlern, Ministerpräsidenten und bayrischen Landfrauen" ans Werk, sich dem weltweiten Informationsfluss im Internet entgegenzustemmen."Wo hören Jugend- und Staatschutz auf und wo beginnt die Zensur?", fragt sich der FDP-Koordinator für Internet und Medien

Ottos Kollege von der SPD-Fraktion, Jörg Tauss, wettert derweil gegen "fachfremde Politiker und Funktionäre, die einen deutschen Sonderweg fordern und die politische Auseinandersetzung durch technische Zensurmaßnahmen ersetzen wollen."

Dass die Zensurgelüste überhand nehmen, findet auch Martina Krogmann, Internet-Beauftragte der CDU/CSU-Fraktion. Es sei bedenklich, dass immer mehr "Ahnunglose auf den Vorstoß eines Einzelnen aufspringen". Das "populistische Vorgehen" könne das internationale Netz nicht jugendfrei machen. "Das geht nur", meint die Unions-Netzexpertin, "wenn Politik, Wirtschaft und die User zusammen wirken." So seien die Surfer selbst gefragt, Filterlösungen am eigenen PC aufzusetzen. Die Wirtschaft könne im internationalen Rahmen Selbstverpflichtungen eingehen. Und die Politiker seien gefordert, mehr für die Medienkompetenz der Bürger zu tun. Alle anderen Vorschläge seien "absurd und schädlich", würden sich aus "einem Medienbegriff der 70er" speisen und "dem Internet und der Netzwirtschaft erhebliche Schäden zufügen".

Harald Summa, Chef des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco, hält das Gebaren der deutschen Regulierer derweil nur noch für "töricht". Was der DGB unterstütze, "ist die Vernichtung von Arbeitsplätzen", erklärte eco-Justiziarin Hannah Seiffert gegenüber heise online. Zahlreiche Provider würden sich angesichts unerfüllbarer politischer Zensurwünsche überlegen, "den Standort Deutschland zu verkleinern oder dicht zu machen." Dass mit Beck just der "Medienkoordinator der Länder" juristisch und technisch nicht durchsetzbare netzseitige Sperrungen für Pornoangebote fordere, die für Erwachsene ganz legal zugänglich sein müssten, verweise auf einen "großen Beratungsbedarf".

Alarmiert zeigt sich auch der Förderverein für Informationstechnik und Gesellschaft (Fitug). Denn längst sei das Ziel der Netzregulierer nicht mehr, ein paar Neonazis aus dem Web zu entfernen: "Es geht ganz einfach um die Frage, ob sich Netznutzer in der Bundesrepublik auch in Zukunft noch frei darüber unterrichten können, was anderswo auf der Welt gesagt wird." Es drohe die Gefahr, dass sie "die Informationsgesellschaft nur noch durch den Filter eines Sozialarbeiters im Amt des Regierungspräsidenten wahrnehmen dürfen."

Die Netzpolitiker auf Bundesebene sind sich derweil einig, durch rechtliche Neuordnungen die -- bislang nicht gerichtlich endgültig bestätigte -- Handlungsgrundlage für Website-Sperrungen nehmen zu wollen. "Wir müssen die unterschiedlichen Zuständigkeiten jetzt wirklich aufheben", betonte Krogmann. Ähnlich haben sich die Medienexperten der rot-grünen Regierungskoalition und der FDP bereits geäußert. Gemeinsam will die parteiübergreifende Allianz im wieder eingesetzten Unterausschuss Neue Medien dauerhaft ein Gegengewicht zu den Netz-Blockierern etablieren.

Für einen besseren Ansatz zur Bekämpfung rechtsextremistischer Inhalte hält Tauss außerdem das von Deutschland unterzeichnete Protokoll des Europarats gegen rassistische und fremdenfeindliche Handlungen in Computernetzen. "Es berücksichtigt an zentraler Stelle die technischen Besonderheiten digitaler paketvermittelter Kommunikation, indem es eine strafrechtliche Verantwortlichkeit oder eine Pflicht zur kontinuierlichen Inhaltekontrolle von Internet-Providern ablehnt", betonte der SPD-Politiker. "Technisch unsinnige und letztlich rein symbolische" Netzsperren, wie sie von Büssow präferiert werden, seien damit "diskreditiert".

Siehe zu den Forderungen nach Website-Sperrungen und insbesondere zur Einschätzung der Sperrungsverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf auch:

(Stefan Krempl) / (jk)