Herr-der-Ringe-Vorzeit

Neuen Genuntersuchungen nach verkehrte der Homo sapiens nicht nur mit Neandertalern und Denisovanern, sondern auch mit einer vierten und bisher noch unbekannten archaischen Population

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Dem Evolutionsgenetiker David Reich von der Harvard Medical School in Boston gelang es mit Unterstützung von Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, eine deutlich vollständigere Version des Genoms der Denisovaner zu erarbeiten, die vor über 30.000 Jahren in Asien lebten und etwa vier Prozent zum Erbgut von Melanesiern und australischen Ureinwohnern beitrugen. Wie diese Population aussah, weiß man nicht, weil keine Schädel erhalten sind, sondern nur ein kleiner Teil eines Fingerknochens und zwei Zähne.

Aus dem vollständigeren Denisovanergenom schließt der Evolutionsgenetiker im Vergleich mit anderen Erbgutdaten, dass sich die Population nicht nur mit den Vorfahren des modernen Menschen und mit Neandertalern vermischte, sondern auch mit einer bislang noch unbekannten archaischen Population. Mark Thomas, ein Evolutionsgenetiker am Londoner University College verglich das durch die Thesen entstehende neue Bild der menschlichen Vorgeschichte auf einer Konferenz der Royal Society in London, auf der Wissenschaftler Erkenntnisse zu alter DNA austauschten, gegenüber dem Nature-Autor Ewen Callaway mit der Welt aus John Ronald Reuel Tolkiens Romanzyklus Der Herr der Ringe, in der zahlreiche unterschiedliche humanoide Populationen leben.

Reichs Vorzeitthesen sind nicht die einzigen, die derzeit Aufsehen erregen: Andere neue Genuntersuchungen an 24.000 Jahre alten Knochen eines Jungen aus dem sibirischen Ort Mal’ta legen nahe, dass die Vorfahren der amerikanischen Ureinwohner nicht nur asiatische, sondern zu 14 bis 38 Prozent europide Vorfahren hatten. Durchgeführt wurden die Untersuchungen von Eske Willerslev vom Zentrum für Geogenetik an der Universität Kopenhagen. Er fand heraus, dass der Junge von seiner Erscheinung her klar europiden und nicht ostasiatischen Typs gewesen sein muss. Darüber hinaus weist sein Erbgut aber auch Merkmale auf, die man sonst nur in dem amerikanischer Ureinwohner findet.