Hessens Innenministerium zweifelt nicht an Wahlcomputern

Dem Ministerium wird vorgeworfen, die Verwendungsgenehmigung "in Kenntnis der Verfassungswidrigkeit" erteilt zu haben.

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Von
  • Richard Sietmann

Das hessische Innenministerium will den beim Staatsgerichtshof gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Einsatz von Wahlcomputern bei der bevorstehenden Landtagswahl derzeit nicht kommentieren. Wie ein Ministeriumssprecher gegenüber heise online erklärte, sei man auch "nicht bereit, jetzt zu spekulieren", wie man reagieren werde, falls das Landesverfassungsgericht dem Antrag stattgebe. "Es gibt derzeit, so sagen das alle Fachleute, überhaupt keinen Anlaß zu Zweifeln."

Am 27. Januar wollen die Gemeinden Niestetal, Niedernhausen und Alsbach-Hähnlein sowie die Städte Bad Soden im Taunus, Langen, Obertshausen, Lampertheim und Viernheim die umstrittenen Nedap-Wahlcomputer einsetzen. Das Hessische Ministerium des Innern und für Sport habe die Verwendungsgenehmigung "in Kenntnis der Verfassungswidrigkeit" erteilt, heißt es in der Antragsschrift. "Gegen diese hoheitliche Entscheidung und den Einsatz der Wahlcomputer durch die Gemeinden und Städte ist ein effektiver Rechtsschutz nur vorab möglich."

Den Antrag gegen die Verletzung von Wahlgrundrechten hat die IT-Expertin Nicole Hornung aus dem südhessischen Alsbach-Hähnlein mit der Unterstützung des Chaos Computer Clubs (CCC) gestellt, der die Klage mit Mitteln aus einer Spendenaktion finanziert. Vertreten wird sie durch den Berliner Anwalt Till Jäger, der auch die beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anhängige Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Stimmerfassung mit Wahlcomputern bei der letzten Bundestagswahl vertritt.

"Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl wird verletzt, wenn Wahlcomputer eingesetzt werden, ohne dass der Wähler selbst kontrollieren kann, ob es sich um ein manipulationssicheres System handelt", heißt es in der Begründung. Das Öffentlichkeitsprinzip diene nicht allein dem Schutz vor Wahlmanipulationen, sondern auch dem Schutz des Vertrauens der Bürger in den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl. Dazu sei es erforderlich, dass der Wähler selbst beobachten kann, ob alles mit rechten Dingen vonstatten gehe. Bei der Verwendung von Wahlcomputern hingegen sei das Manipulationsrisiko ins Vorfeld des eigentlichen Wahlgangs verlagert und könne anders als bei der herkömmlichen Wahl mit Urne und Papier nicht mehr während der Wahl selbst aufgedeckt werden.

"Die Möglichkeit, einen Vergleich der eingesetzten Geräte einschließlich Software mit dem geprüften Baumuster vornehmen zu können, besteht jedenfalls nicht für die Antragstellerin oder den Wahlvorstand." Die Baumusterprüfung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt sehe keine Einzelüberprüfung der eingesetzten Geräte vor, sondern die Bauartzulassung stütze sich lediglich auf eine Erklärung des Herstellers, dass die tatsächlich eingesetzten Geräte baugleich zum geprüften Muster seien. "Dem Wähler ist eine solche Überprüfung weder technisch noch rechtlich möglich."

Die Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips würde zudem "zu einer formalen Ungleichheit mit den Wählern führen, die auf herkömmliche Weise wählen dürfen, und verstößt daher auch gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl", geht weiter aus der Begründung hervor. Ein Ausweichen auf die Briefwahl sei nicht möglich, "da diese nur zulässig ist, wenn der Wähler verhindert ist, selbst das Wahllokal aufzusuchen, nicht aber, um die Verwendung von Wahlcomputern zu vermeiden".

Als weiteren Verfassungsverstoß rügt der Vertreter der Antragstellerin, dass die hessische Regierung mit der im Oktober 2005 erlassenen Landeswahlgeräteverordnung (WahlGV) ihre Kompetenz nach Berlin abgegeben habe. Darin sei die Zulassung für Landeswahlen an die Bauartzulassung auf Bundesebene gekoppelt worden, sodass die Bauartzulassung durch das Bundesministerium des Innern erfolgt und unmittelbar für die Wahlen in Hessen gilt. "Dies entzieht dem Land Hessen die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Bauartzulassung und stellt eine unzulässige Mischverwaltung dar, die gegen Art. 30 GG verstößt."

Der CCC kritisierte unterdessen in einer Stellungnahme, dass die Wähler in den betroffenen Kommunen gezwungen werden sollen, ihre Stimmen an den Wahlcomputern abzugeben. Er bezeichnete die vom Innenministerium im Zuge der Verwendungsgenehmigung verordneten Auflagen wie die Versiegelung der Geräte sowie die Durchführung einer Probewahl an einem der Computer in jedem Wahlkreis als "Sicherheitsplacebo" und den Versuch, "ein kaputtes System durch kultartige Prozeduren zu retten". Diese Maßnahmen könnten nur "als unsinniger, zeitraubender und teurer Schildbürgerstreich angesehen werden", meint CCC-Sprecher Dirk Engling. "Ob die Software oder die Hardware der Computer manipuliert wurde, kann der Wähler weiterhin nicht wissen." (Richard Sietmann) / (anw)