High-Tech-Gastarbeiter sollen die IT-Branche retten (update)

Hintergrund: Die Computerbranche will mit zehntausenden von High-Tech-Gastarbeitern ihre Nachwuchsprobleme lösen.

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Die Computerbranche will mit zehntausenden von High-Tech-Gastarbeitern ihre Nachwuchsprobleme lösen. "Wenn wir in Deutschland in den Zukunftsmärkten weiter erfolgreich sein wollen, müssen wir qualifiziertes Personal aus dem Ausland holen", sagte der Vizepräsident des Branchenverbands BITKOM, Willi Berchtold, im Vorfeld der CeBIT. Der Deutschland-Chef von Hewlett-Packard, Jörg Menno Harms, forderte deshalb die Bundesregierung auf, 30.000 Visa auszustellen.

Beim Bundesministerium für Arbeit will man davon nicht all zu viel wissen. Erst Ende der vergangenen Woche hatte Staatssekretär Gerd Andres erklärt, er wolle den Fachkräftemangel zunächst im Inland decken und auf die zahlreichen Fördermaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit verwiesen. Auch gäbe es bislang "keine verlässlichen Schätzungen, wie hoch der Bedarf tatsächlich ist. Wer EDV-Spezialisten aus dem Ausland beschäftigen möchte, soll diesen Bedarf konkret nachweisen", forderte Andres.

Erstmals auf der CeBIT präsentiert sich in diesem Jahr auch die Gewerkschaft IG-Metall, die die IT-Branche in ihrer Zuständigkeit sieht und um die Gunst der Beschäftigten werben will. Offiziell hält man auch bei den Metallern nicht viel von der Idee mit den Gastarbeitern. Der bei IG-Metall für Ausländerfragen zuständige Portugiese Manuel Campos hält die Diskussion unter den Gewerkschaftern jedoch für keinesfalls abgeschlossen. Seiner Überzeugung nach könnten befristet zuziehende High-Tech-Gastarbeiter auch für Bewegung auf dem deutschen Arbeitsmarkt sorgen. Man müsse der Branche jedoch verschiedene Bedingungen für die Beschäftigung stellen: Bezahlung nach deutschen Tarifen, Zusicherung von Ausbildungsplätzen in Deutschland und nicht zuletzt Investitionen in die fehlende Infrastruktur der Herkunftsländer in Zusammenarbeit mit dem Entwicklungshilfe-Ministerium. Denn nicht zuletzt sei dies die Ursache, dass Fachkräfte in Russland und Indien in ihrer Heimat selbst nicht arbeiten können, so der Gewerkschafter gegenüber c't.

Die Zeiten ändern sich jedenfalls, der Arbeitskräftemangel verlagert sich. "Was in den sechziger Jahren Gastarbeiter aus Südeuropa für die Industriegesellschaft waren, sind heute vor allem osteuropäische IT-Spezialisten für die Informationsgesellschaft", bekräftigt Berchtold die Forderung nach High-Tech-Gastarbeitern. Der Branche fehlten derzeit 75.000 Fachkräfte, wodurch das Wachstum behindert werde. Marktbeobachter schätzen, dass allein in Deutschland in zwei Jahren sogar 250.000 Experten fehlen könnten.

Die Lage ist paradox. Einem Heer von Arbeitslosen stehen unzählige offene Stellen in der IT-Branche gegenüber. Eine Mehrzahl der Arbeitsuchenden kommt jedoch für die Firmen (und daher für Umschulungsmaßnahmen) aus Altersgründen von vornherein nicht in Frage. Ansonsten hat es den Anschein, dass IT-Unternehmen bei der Auswahl eines Bewerbers nicht mehr so pingelig sind und verstärkt mit internen Schulungen die mangelnde Qualifikation der Neuzugänge ausgleichen. Frei nach dem Motto: Alles nehmen, was jung ist und schon mal einen Computer gesehen hat. Doch trotz aller Bemühungen sind mittlerweile sämtliche Ressourcen des deutschen Arbeitsmarktes ausgeschöpft. Andreas Prestinger von der Unternehmensberatung META Group sieht die Ursache allen Übels im Anfang der neunziger Jahre, als sich wegen schlechter Beschäftigungsprognosen tausende junger Studenten von naturwissenschaftlichen oder technischen Fächern abgewandt hätten. Daher fehle eine ganze Studentengeneration.

Unternehmen und Universitäten mühen sich redlich, den Studis die IT-Fächer wieder schmackhaft zu machen, so dass im Jahr 1998 die Studentenzahlen in Informatik und E-Technik erstmals wieder anstiegen. Dennoch: Ausbildungsinitiativen sind zwar langfristig gesehen das einzige Mittel der Wahl, können aber die Probleme der Branche in den nächsten fünf Jahren kaum beheben, und die jährlich rund 7.000 Informatik-Absolventen sind auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Für viele Unternehmen bedeutet dies: Aufträge müssen abgelehnt werden, das Wachstum wird behindert, Marktanteile werden den Konkurrenten überlassen. "Der Kampf um qualifizierten Nachwuchs entscheidet über den Erfolg einer jungen Technologiefirma", so Berchtold. Besonders gefragt seien zur Zeit Netzwerkexperten, Java-Programmierer und Medieninformatiker.

Nach Angaben der Internet-Jobbörse worldwidejobs sucht allein die Münchner Siemens AG 1.000 Mitarbeiter, Debis fehlen 640 Fachkräfte und SAP hat 362 offene Stellen im Internet ausgeschrieben. Kurzfristig versuchen die Personalchefs, den Engpass mit bereits pensionierten Kollegen oder Vorruheständlern zu überbrücken. Neueinsteiger werden mit horrenden Gehältern gelockt oder berufserfahrene Spezialisten von anderen Firmen abgeworben. Auch "Kopfgeld" für die erfolgreiche Akquise eines neuen Kollegen zählt zum Repertoire.

Doch diese Maßnahmen allein nützen lediglich einzelnen Firmen, die sich im Verteilungskampf um die IT-Experten einen großen Teil des Kuchens sichern konnten. Die Probleme der gesamten IT-Branche bleiben dennoch bestehen, da junge Firmen mit geringen finanziellen Mitteln, aber großem Wachstumspotenzial, das Nachsehen haben. Dies lähmt wiederum den gesamten Markt, der gerade von solchen Unternehmen entscheidende Impulse erhält.

Die derzeitige Arbeitsmarktsituation verändert auch das Gesicht der Fachzeitschriften und -messen. Der Stellenmarkt in der Ausgabe 5/2000 der c't wird schon 88 Seiten umfassen; und die CeBIT hat sich inzwischen zur größten Job-Börse der Branche entwickelt. Der "CeBIT Job Market", Treffpunkt für Jobsuchende und Stellenanbieter ist in Halle 10 zu finden. (atr)