Hintergrund: Alcatel droht ein heißer Herbst

Serge Tchuruk, Chef des französischen Telekom-Ausrüsters Alcatel, muss sparen. Ein Fünftel aller Jobs in Europa will er wegen der schlechten Aussichten für die Branche streichen.

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  • Alex Missal
  • dpa

Serge Tchuruk, Chef des französischen Telekom-Ausrüsters Alcatel, muss sparen. Ein Fünftel aller Jobs in Europa will er wegen der schlechten Aussichten für die Branche streichen. In Deutschland sollen es fast zehn Prozent sein. Nüchtern betrachtet kommt die deutsche Tochter Alcatel SEL also mit einem blauen Auge davon, meint Falk Reimann, Analyst der Landesbank Baden- Württemberg (LBBW). Doch der Betriebsrat des über Jahre arg gebeutelten Teilkonzerns will diese brutale Logik nicht akzeptieren. Bei Alcatel Deutschland könnte sich der vorzeitig eingebrochene Winter daher noch in einen heißen Herbst verwandeln.

Die deutschen Geschäfte des Unternehmens laufen in diesem Jahr ganz im Gegensatz zu früheren Krisenzeiten nicht schlecht. Der Umsatz wird mindestens um fünf Prozent steigen, unterm Strich könnten sogar schwarze Zahlen stehen. Die Planung für 2002 sei indes noch gar nicht abgeschlossen. "Trotzdem ist bis auf einzelne Köpfe ausgerechnet, wer gehen muss", tobt Gesamtbetriebsratschef Alois Süss, ein Veteran des Unternehmens. Aus Protest verließen die Arbeitnehmervertreter sogar die Aufsichtsratssitzung am vergangenen Donnerstag. Die Sparmaßnahmen seien dem deutschen Vorstandschef Andreas Bernhardt aus Paris diktiert worden, wütet Süss.

Alcatel SEL hat schwierige Jahre hinter sich. Einst standen 42 000 Mitarbeiter, 1985 immerhin noch 33 000 auf der Gehaltsliste der Gruppe um die traditionsreiche Standard Elektrik Lorenz AG. Der amerikanische ITT-Konzern verkaufte seine Mehrheitsbeteiligung 1987 an Alcatel, das sich in den 90er Jahren vom breit aufgestellten Elektronikkonzern zum Ausrüster für die Telekom-Branche umformierte. Arbeitsplätze in der Produktion gingen in Deutschland zu Tausenden verloren, heute beschäftigt die Alcatel SEL AG ohne ihre Töchter und Schwestern nur noch knapp mehr als 9000 Mitarbeiter. Jede Ankündigung eines neuen Stellenabbaus weckt daher den alten Phantomschmerz und den Geist der Aufmüpfigkeit bei der übrig gebliebenen SEL-Belegschaft.

Der Handy-Boom und die Euphorie um die "New Economy" bestärkten das Unternehmen, einst Hoflieferant der Deutschen Telekom, sich munter dem Wettbewerb zu stellen. Dann verspekulierte sich die Mutter bei Zukäufen in den USA; die Fusion mit dem kränkelnden Konkurrenten Lucent wurde in letzter Minute abgeblasen. Die Marktbereinigung bei den Telekoms bringt Alcatel und internationale Wettbewerber wie Marconi oder Nortel um alte und neue Aufträge, vom Rausch bleiben zunächst nur Überkapazitäten zurück. Dass 2002 auch für die deutsche Alcatel SEL, die bei den lukrativen Aufträgen für den Bau der UMTS-Handynetze bisher leer ausging, ein schwieriges Jahr wird, gilt auch bei Branchenexperten als unumstritten.

Doch ob sich die Mitarbeiter mit den Argumenten des Vorstands abfinden, hängt auch von psychologischen Faktoren ab. Entscheidend könnte dabei sein, ob der nach außen eher zurückhaltend und besonnen wirkende Vorstandschef, der fünfte in zehn Jahren, den Beschäftigten seine Unabhängigkeit von der Pariser Konzernzentrale glaubhaft machen kann. (Alex Missal, dpa)/ (cp)