Hintergrund: Warten auf Florida

In einigen Stunden dürfte das endgültige Resultat der US-Präsidenschaftswahlen feststehen. Für die globale IT-Ökonomie sind die Auswirkungen weniger eindeutig.

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Von
  • Wolfgang Stieler

Der etwas verfrühte Jubel über den Wahlsieg von George W. Bush jr. ist schnell wieder abgeklungen. Kleine und große Aktionäre, die mit eingestimmt hatten, aber auch diejenigen, die sich mehr von einem Präsidenten Al Gore versprechen, verfielen heute erst einmal wieder in gespannte Wartestellung, während im US-Bundesstaat Florida das denkbar knappe Resultat noch einmal nachgezählt wurde.

Die europäischen Börsen verloren nach anfänglichen Kursgewinnen an Boden und zeigten sich bis zum frühen Nachmittag uneinheitlich. Der Nasdaq-Future, der auf die Eröffnungstendenz der US-Technologiebörse hinweist, gab nach dem wieder unklar gewordenen Wahlausgang einen großen Teil seiner Gewinne wieder ab. Gewinnt Bush, prophezeien die Wirtschaftsspezialisten der Nachrichtenagentur Reuters, steigen die Aktien der Energieversorger, der Tabakindustrie und die Kurse einzelner Firmen wie etwa Microsoft. Gewinnt Gore, prophezeien die Analysten den Kursanstieg bei Versicherungen, einigen Banken und Umweltschutz-Firmen.

Deutet man die Börse als Polit-Barometer scheint der Fall klar zu sein: Der republikanische Kandidat George W. Bush jr. ist der Liebling der High-Tech-Händler und pro Microsoft, sein demokratischer Konkurrent Al Gore steht für staatliche Lenkung und den Kampf gegen Monopole. Die Analyse der US-Medien gibt allerdings ein weit weniger einheitliches Bild. Die Silicon-Valley-Hauszeitung Mercury News beispielsweise sprach sich, genau wie die Financial Times in einem Leitartikel für Al Gore aus. Bei den eher konservativen Analysten der Financial Times gilt des Wirtschaftsprogramm von Bush als zu riskant. Die Seattle Times, Lokalzeitung am Microsoft-Stammsitz, setzte sich dagegen verhement für Bush ein.

Die unentschiedene Haltung weiter Teile der High-Tech-Klientel spiegelt die komplizierte Interessenlage auf dem Gebiet der Anti-Trust-Politik wieder. Klare Schwarz-Weiß-Positionen oder Kategorien wie "wirtschaftsfreundlich" oder "wirtschaftsfeindlich" greifen hier kaum. Während kleine, flexible und möglicherweise zukunftsträchtige Unternehmen den Schutz vor "unfairen" Geschäftspraktiken der etablierten Konkurrenz fordern, beklagen umsatzstarke "Leistungsträger" der US-Wirtschaft, dass ihre Wirtschaftskraft zu sehr durch staatliche Eingriffe gebremst werde.

Trotz der zunehmenden Bedeutung der IT-Industrie für die US-Wirtschaft, die sich unter anderem im wachsenden Spendenaufkommen aus dem Silicon Valley ausdrückt, haben sich die beiden Kandidaten folgerichtig bei der Bewertung des Anti-Trust-Verfahrens zurückgehalten. Erst in der Schlussphase des Wahlkampfes, Ende Oktober, äußerte George W. Bush vorsichtige Bedenken gegen den Kartell-Prozess, den die US-Regierung gegen Microsoft führt. Er ziehe Innovation Rechtsstreitigkeiten vor, meinte er auf Fragen des Interviewers über den Microsoft-Prozess. Nach Ansicht von amerikanischen Beobachtern war dies bislang die eindeutigste Aussage eines US-Präsidentschaftskandidaten zum Microsoft-Prozess.

Ob sich daraus schließen lässt, dass eine Bush-Administration das Anti-Trust-Verfahren gegen Microsoft fallen ließe, wie seinerzeit die Reagan-Regierung das Verfahren gegen IBM, ist allerdings fraglich. Schließlich blieben als Kläger immer noch die Staatsanwälte von über zwölf US-Bundesstaaten, die bereits angekündigt haben, den Prozess notfalls auch im Alleingang weiter zu führen.

Für wahrscheinlicher halten Beobachter einen moderaten Kurswechsel in der Anti-Trust-Politik durch Neubesetzung diverser Ämter. So könnte beispielsweise der Vorsitzende der Federal Trade Commission 2001 abgelöst und durch den als wirtschaftsliberal geltenden Orson Swindle ersetzt werden. Letzendlich ist der Anti-Trust-Prozess gegen Microsoft nur ein Modell für weitergehende Fragen, wie etwa die sich herausbildenen Monopolstellungen auf dem Gebiet der Hochgeschwindigkeits-Internet-Zugänge. (wst)