"I bombed Beirut today"

Nahostkrieg und Massaker als Animation im israelischen Wettbewerbsbeitrag bei den Filmfestspielen von Cannes.

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Blaugraue Hunde hetzen durch die späte Nacht, der frühmorgendliche Himmel über ihnen ist in giftiges Gelb getaucht. Es sind genau 26. Wie Höllenhunde sehen sie aus - der surreale Auftakt zu einem Film, in dem die Welt mehr als einmal surreale Züge entwickelt.

Der bisher nur durch TV-Arbeiten bekannte Israeli Ari Folman überraschte bei seinem ersten Auftritt bei den Filmfestspielen von Cannes in einem der ungewöhnlichsten Filme im bisherigen Wettbewerb mit einer politischen Dokumentation, die in Form eines Animationsfilms erzählt wird: Waltz with Bashir erzählt eigene traumatische Erlebnisse des Regisseurs, der als 18-Jähriger im Libanonkrieg 1982 kämpfen musste und dort zum Augenzeugen des Massakers von Sabra und Shatila wurde - einem der bis heute dunkelsten Kapitel des Nahost-Konflikts. Die Taten verübten seinerzeit christliche Falangisten an Palästinensern, aber die mit ihnen verbündeten Israelis schauten unbeteiligt zu - eine Schuld, die Folman nicht vergessen kann.

Waltz with Bashir von Ari Folman
Waltz with Bashir von Ari Folman

Auf das konkrete Ereignis hin bezogen bietet der Film einen interessanten Ansatz, aber inhaltlich nichts wirklich Neues. Der Titel spielt auf den Falangisten-Fürst Bashir Gemayel an, den Star und Posterboy der christlichen Libanesen, dessen Ermordung dem Massaker einen Anlass bot. Politisch ist er, besonders auf die israelische Situation bezogen, aber sehr mutig und insofern verteidigenswert. Der Film wendet sich auch klar gegen übliche Machart von Dokumentarfilmen. "How would that have looked like? A middleaged man being interviewed against a black background, telling stories that happened 25 years ago, without any archival footage to support him", so Folman im Presseheft. Der Film wird zum Essay über das Wesen der Erinnerung, die nach Folmans Ansicht weit künstlicher sind, als man es glauben möchte: Der Mensch füllt die Löcher seiner Erinnerung mit Erinnerungen, die künstlich sind.

"Waltz with Bashir", der in Deutschland von der Berliner Firma Razor Film - von ihr stammt auch der oscarnominierte "Paradise Now" - produziert wurde, ist eine präzise historische Dokumentation, erzählt aber zugleich etwas Universales: Die Entmenschlichung im Krieg, der sich Soldaten keiner Armee entziehen können, und die den Film brennend aktuell macht. Der sehr realistische Animationsstil, der weniger abstrakt ist als etwa jener in Marjane Sarapis "Persepolis", aber ebenfalls holzschnittartig kontrastiert, bewirkt nur am Anfang Distanz: Fern aller Klischees findet Folman phantastische Bilder - und der Horror des Krieges wirkt hier plötzlich surreal. Wesentlich dazu trägt die Musik bei, die Originales von 1982 - der Song "Good Morning Libanon/ to much pain to carry on/ may your nightmares pass..." ein zugleich trauriges und zynisches Lied, gespielt beim Einmarsch - mit Neuem mischt, wie dem Song: "I bombed Beirut today", nach "I bombed Korea today" von Cake.