ICANN: Wir sind keine Demokratie

Hintergrund: Die Diskussion geht weiter, ob die Internet-Verwaltung ICANN nach einer demokratischen Legitimation strebt oder eine "wohlwollende Diktatur" der Techniker darstellt.

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Von
  • Jürgen Kuri

Hintergrund: ICANN sei keine Regierung, sie habe keine Regierungsmacht, und daher sei sie auch keine Demokratie. Eine notwendige Klarstellung zu den Online-Wahlen für die Internet-Verwaltung Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN)? Der Ansicht schien jedenfalls Andrew McLaughlin zu sein, Chief Policy Officer und Chief Financial Officer der ICANN. McLaughlin, im Hauptberuf Berkman Fellow an der Harvard Law School, betonte jedenfalls auf der Konferenz Internet Governance der Bertelsmann-Stiftung am vergangenen Donnerstag, dass die ICANN nicht mit den Kriterien gemessen werden könne, die man an demokratisch gewählte Regierungen anlege: "Die ICANN ist in einem gewissen Sinne keine demokratische Institution, aber sie versucht, sich auf Vertretungsstrukturen zu einigen." McLaughlin legte großes Schwergewicht darauf, dass die Vertretung der normalen Internet-Surfer die technische Integrität und Stabilität des Internet und des Domain Names Service nicht gefährden dürfe: "Die ICANN braucht hoch qualifizierte Direktoren, ein Ziel, das in einem gespannten Verhältnis zur Vertretungsfunktion stehen mag."

Michael Leibrandt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Vertreter der Bundesregierung im Governmental Advisory Committee (GAC) der ICANN, fand diese Aussagen von McLaughlin doch recht bemerkenswert: Zum ersten Mal habe ein Vertreter der ICANN eingeräumt, dass die Wahlen zum ICANN-Direktorium nicht bedeuteten, dass die ICANN auch eine demokratische Organisation sei. Es sei schon interessant: Man mache basisdemokratische Wahlen für eine nicht-demokratische Organisation. Nach Ansicht von Leibrandt aber ist die Betonung der technischen Zuständigkeiten des ICANN-Direktoriums gegenüber den Wahlen durch die Internet-Nutzer unnötig: In der ICANN-Struktur seien die Techniker ausreichend vertreten, die so genannten At-large-Direktoren als Vertreter der normalen Surfer sollten andere Qualifikationen haben – darunter eben Verständnis für die Probleme der Internet-Nutzer, die sie im Direktorium zur Sprache bringen müssten.

In eine ähnliche Kerbe schlug Jörg Tauss, SPD-Mitglied des Bundestags: Es sei grundsätzlich problematisch, wenn Organisation und Struktur der Internet-Verwaltung nicht demokratisch legitimiert seien. "Ich habe ein Interesse daran, dass die ICANN-Wahlen funktionieren. Ein Misslingen wäre eine Schlappe für Bemühungen, elektronische Demokratie und Wahlen übers Internet voranzutreiben", kommentierte Tauss.

Etwas überrascht über die Reaktionen, die seine Statements auslösten, versuchte McLaughlin allerdings zurückzurudern: Vielleicht sei das alles nur ein semantisches Problem. Die ICANN sei halt keine Regierung und daher keine Demokratie. "Wir werden Wahlen für einen gewissen Teil der Strukturen haben. Die ICANN profitiert von demokratischen Elementen."

Herbert Burkert, Professor für Medien- und Informationsrecht an der Universität St. Gallen, sieht allerdings ebenfalls die Stabilität des DNS als Totschlagargument: "Was können die At-large-Direktoren als Repräsentanten des kleinen Nutzers überhaupt erreichen, wenn ihnen das Argument der Stabilität entgegengehalten werden muss?" Am Ende werde für alle, die sich an den ICANN-Wahlen beteiligt haben, ein Rest von Enttäuschung bleiben, kommentierte er die bisherigen Wahl-Vorhaben der ICANN. Es gebe eine Legitimationsdistanz zwischen Bürgern und internationalen Organisationen – auf Dauer könne das so nicht mehr funktionieren. Eine Konsequenz daraus seien die Nicht-Regierungs-Organisationen (Non-Governmental Organisations, NGOs), die aber ihre eigenen Legitimationsprobleme hätten. Von ICANN lernen heiße daher unter Umständen, auch für die Verwaltung anderer knapper Ressourcen zu lernen.

Die Diskussion, wieweit ICANN überhaupt durch Wahlen demokratisch legitimiert werden will oder sich eher als "wohlwollende Diktatur" der Techniker über das Internet ansieht, offenbarte auf der Konferenz der Bertelsmann-Stiftung allerdings ein grundlegenderes Problem: Die ICANN sieht sich als Organisation, die ein sehr eng definiertes, technisches Betätigungsfeld hat – trotzdem haben ihre Entscheidungen in vielen Fällen politische und juristische Auswirkungen. Christine Maxwell von der Internet Society (ISOC) betonte in der Diskussion dann auch, die ICANN sollte neben den technischen Aspekten eine Balance mit politischen, sozialen und gesellschaftlichen Problemen suchen. Und Alan Davidson, Rechtsberater des Center for Democracy and Technology (CDT), stellte klar: "Selbst mit der eng definierten technischen Rolle der ICANN haben ihre Entscheidungen große Auswirkungen." Auch mit beschränktem Auftrag mache die ICANN Politik.

Wolfgang Kleinwächter, Professor an der Abteilung für Medien- und Informationswissenschaften der Universität Aarhus, sieht daher eine Grauzone zwischen dem, was die Regierungen bei der Internet-Verwaltung nicht mehr erledigen wollen, und dem, was die ICANN zu übernehmen bereit ist. Er plädiert aber nicht etwa für eine Art Super-ICANN, die alle politischen, juristischen und gesellschaftlichen Probleme berücksichtigt – vielmehr kann er sich viele ICANNs vorstellen, die sich mit unterschiedlichen Bereichen beschäftigen. Allerdings stellte er auch eine wohl berechtigte Frage: "Warum fordert niemand ein Internet-Parlament?" Ein Mitglieder-Rat der ICANN, der gewählt wird – vielleicht kann solch ein Gremium nicht nur die Legitimation der Internet-Verwaltung erhöhen, sondern auch die Techniker auf den Boden der Tatsachen, mit denen die Internet-Nutzer tagtäglich konfrontiert sind, zurückholen. (jk)