IP-Adressen: Rechtsstreit um Afrinic gefährdet Selbstverwaltung​

Die afrikanische IP-Adressvergabestelle steht im Mittelpunkt eines Konflikts um IPv4-Adressen und deren Handel. Der Rechtsstreit droht den Betrieb zu lähmen.

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(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Im seit anderthalb Jahren eskalierenden Rechtsstreit zwischen der IP-Adressvergabestelle Afrinic und der Firma Cloud Innovation mussten die afrikanischen Adressverwalter eine Schlappe einstecken. Der Oberste Gerichtshof von Mauritius entschied am Mittwoch, dass Afrinic dem Unternehmen des chinesischen Adresshändlers Lu Heng zahlreiche IPv4-Adressen nicht vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren entziehen dürfe. Afrinic hat seinen Sitz auf Mauritius.

Lu Heng bietet über seine in Hong Kong ansässige Firma Larus und die auf den Seychellen registrierte Cloud Innovation weltweit begehrte IPv4-Adressen zur Miete an. Cloud Innovation, die jährlich rund 10.000 US-Dollar Mitgliedsgebühr an Afrinic entrichtet, hält etwa sechs bis sieben Millionen IPv4-Adressen. Larus vermietet eine IPv4-Nummer für rund 0,37 US-Dollar pro Monat.

Afrinic versucht seit März 2021, Cloud Innovation diese Adressblöcke wieder abzunehmen und argumentiert mit vertragswidriger Nutzung der Adressen. Der Adressverleiher ist dagegen mehrfach vor Gericht gezogen. Von den über vierzig Klagen und Anträgen auf einstweilige Verfügungen, die Afrikas IP-Adressverwaltung auf ihrer Website auflistet, betreffen mehr als die Hälfte den Rechtsstreit mit Lu Heng, Cloud Innovation und Larus.

IPv4-Adressen sind ein weltweit rares Gut. Auch bei Afrinic, das noch länger als die vier anderen regionalen IP-Adressverwaltungen (RIRs) über IPv4 verfügte, sind die kürzeren Adressen inzwischen praktisch aufgebraucht.

In dem laufenden Rechtsstreit geht es um die Frage, ob Lu Heng die von Afrinic bezogenen Adressen anders nutzt als ursprünglich angegeben und ob er die Nutzungsänderung laut (Abschnitt 4 des Vertrags) hätte anzeigen müssen. Eine Nutzungsbeschränkung von Afrinic-Adressen auf Netze in Afrika allein gebe es nicht, meint Lu Heng. Tatsächlich können auch Mitglieder des für Europa zuständigen RIPE ihre "europäischen" IP-Adressen außerhalb der Region benutzen. Regeln zur Mitteilung von "Nutzungsänderungen" werden laut Experten dabei eher lax angewandt.

In seiner Entscheidung vom Mittwoch widersprach der Oberste Gerichtshof in Mauritius zudem Afrinics Einwand, Cloud Innovation missbrauche mit immer neuen Klagen zur gleichen Angelegenheit die Gerichte. Afrinic hatte eine vor Gericht abgegebene Erklärung, auf den Ausschluss von Cloud Innovation zunächst zu verzichten, Ende 2021 zurückgezogen. Dass Cloud Innovation daraufhin wieder vor Gericht gezogen ist, hält die Richterin am Obersten Gerichtshof für angemessen. Das Unternehmen habe fürchten müssen, dass Afrinic ihm sofort alle Adressen entzieht. Wie die Hauptsache ausgeht, bleibt nach dieser Entscheidung weiter offen.

Weil der juristische Schlagabtausch das Funktionieren der afrikanischen Adressverwaltung bedroht – vor einem Jahr ließ Lu Heng die Konten von Afrinic vorübergehend sperren – springen nun die anderen vier RIRs ihrer afrikanischen Schwester bei. In einem Brief an die mauritische Regierung mahnt die Number Resource Organisation (NRO), der Dachverband der fünf RIRs, die zahlreichen Verfahren würden Afrinic daran hindern, seiner wichtigen Aufgabe nachzukommen.

Zwar sei die Kontensperre nach rund drei Monaten aufgehoben worden, doch lähme schon die nächste einstweilige Verfügung die Organisation, schreibt NRO weiter. Diese habe anstehende Wahlen für den Afrinic-Vorstand im Frühjahr unmöglich und die Adressvergabestelle damit praktisch kopflos gemacht haben. Die NRO-Chefs unterstützen Afrinics Begehren, den Status einer "internationalen Organisation" zu bekommen.

Zugleich drohen die RIR-Chefs unverhohlen mit dem Abzug der Adressvergabe: "Es wäre für die Community in Afrika schade, sollte sich durch die beschriebene Situation die Wahl von Mauritius als Sitz für Afrinic als Fehler herausstellen." Nicht nur bei Afrinic-Mitgliedern, sondern auch in den anderen Regionen kam diese Art der Einmischung nicht gut an.

Es gebe keine Beschlüsse, Afrinic als internationale Organisation zu installieren, erklärte Andrew Alston, der bis vor Kurzem noch Vorstandsmitglied bei Afrinic war, gegenüber heise online. Andererseits sei problematisch, wenn die NRO der Regierung und Generalstaatsanwaltschaft von Mauritius zu verstehen gebe, sich von dem Statuswechsel "angemessenere Resultate" zu versprechen. Diese Art von Einflussnahme müsse man entschieden ablehnen.

Sander Steffann, langjähriger Vorsitzender der Arbeitsgruppe Adresspolitik beim RIPE, kritisierte die aus seiner Sicht neo-kolonialistisch anmutenden Töne. Steffann, selbst keineswegs ein Freund von Lu Heng, wie er unterstreicht, ist vor allem besorgt, dass auch das RIPE in den Strudel von Afrinic gerate und am Ende das Modell der Selbstverwaltung insgesamt Schaden nehmen könnte.

Gezielte Attacken gegen Afrinic fährt unterdessen die Number Resource Society (NRS). Die neu gegründete NRS steht offenbar in direktem Zusammenhang mit Lu Hengs Larus Foundation, landet doch eine E-Mail an die Kontaktadresse direkt bei "info@larus.foundation". Der Afrinic wirft die NRS in einigen Videos Korruption, Erpressung und die Gefährdung des Internets insgesamt vor.

Zugleich schießt die NRS auch gegen das System der Adressverwaltung insgesamt. Die Aufsicht über die RIRs habe nicht mit dem Wachstum des Netzes Schritt gehalten. Einen radikalen Systemwechsel will NRS eigenen Angaben zufolge nicht, aber die Adressselbstverwaltung auch nicht einem exklusiven Club von Administratoren überlassen.

Die NRS ist allerdings nicht die einzige Partei, die das Vertrauen in die Selbstverwaltung untergräbt. Afrinics CEO Eddy Kayihura selbst sieht sich Vorwürfen hinsichtlich seiner Amtsführung gegenüber. Unter anderem sollen die Mitglieder und Gremien der Afrinic bei der Besetzung des Vorstands übergangen worden sein. Ein mauritisches Gericht hat Ende Juni interveniert und den CEO vorläufig suspendiert.

Kayihuara soll sich laut einem von der NRS veröffentlichten Brief an die Regierungsvertreter in der African Telecommunication Union gewandt haben, um Kandidaten für den nicht arbeitsfähigen Afrinic-Vorstand vorzuschlagen. Sich die Regierungen ins Haus zu holen, ist ein Sündenfall für eine Organisation, die laut Satzung von ihren Mitgliedern regiert werden soll. Damit spielt Afrinic den Staaten in die Hand, die in der International Telecommunications Union (ITU) schon lange auf "mehr Staat statt Selbstverwaltung" pochen.

(vbr)