IT-Branche fordert Milliarden-Bildungsfonds

"Der Fachkräftemangel wird immer bedrohlicher, das Wachstum immer stärker gebremst."

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Von
  • Birthe Blechschmidt
  • dpa

Die deutsche Wirtschaft hat innerhalb kürzester Zeit die Aufholjagd beim Mobilfunk und Internet gewonnen. Mit rasanten Wachstumsraten hat sie alle anderen europäischen Länder aus dem Feld geschlagen. Dennoch schlägt die Industrie Alarm: "Der Fachkräftemangel wird immer bedrohlicher, das Wachstum immer stärker gebremst", klagte Volker Jung. Der Präsident des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM) richtete am Freitag in München einen eindringlichen Appell an Politiker in Berlin und den Bundesländern, dem Nachwuchs das Computer-Rüstzeug für die neue Kommunikations- und Informationswelt in die Hand zu geben und mehr ausländische Informatik-Spitzenleute ins Land zu lassen.

Mehr als drei Millionen Arbeitsplätze hingen in Deutschland bereits indirekt von der Informationstechnik und Telekommunikation ab, erklärte Jung. In der Branche werden 2000 und 2001 jeweils mehr als über 30.000 Stellen entstehen. Mindestens 60.000 Fachkräfte würden jedoch jährlich zusätzlich benötigt.

Die Green Card, mit der IT-Fachleute aus dem Ausland geholt werden sollen, um den eigenen Fachkräftemangel zu überbrücken, sei ein "ein Testfall für die Attraktivität Deutschlands als Lebens- und Arbeitsstandort", sagte Jung. Doch die Hetze kleiner aber lautstarker Gruppen gegen Ausländer schreckten viele von einer Arbeit in Deutschland ab. "Die rechtsradikalen Gruppen gefährden die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands."

Die Green Card-Aktion laufe schleppender als von der Industrie erwartet, räumte der Verbandspräsident ein. Die Branche hätte vor allem mehr Fachkräfte aus Mittel- und Osteuropa sowie Russland erwartet. Oftmals würden auch mangelnde Sprachkenntnisse eine Einstellung verhindern. Bislang seien rund 2000 Green Cards vergeben worden. Wöchentlich kämen bis zu 200 Arbeits- und Aufenthaltungsgenehmigungen hinzu. Bis nächsten Mai werden laut der Zentrale für Arbeitsvermittlung in Bonn voraussichtlich die ersten 10000 Green Cards vergeben sein.

"Die Green Card, die vor allem dem Mittelstand hilft, greift noch zu kurz", kritisierte der BITKOM-Präsident. Der Verband fordere deshalb einen Wegfall der Fünf-Jahres-Frist für Green Cards und eine aktive Einwanderungspolitik. Weltweit sei ein Wettbewerb um die besten Köpfe in der Branche entbrannt. "Wir sind gerade drauf und dran, diesen Wettlauf zu verlieren." Doch selbst die eigenen Spitzenkräfte wanderten in großer Zahl ab. "Der weiterhin zu hohe Spitzensteuersatz treibt die besten Leute ins Ausland."

Größter Konkurrent beim Kampf um Spritzenkräfte seien die Vereinigten Staaten, die mit wesentlich niedrigeren Steuersätzen lockten und eine "echte Green Card" ohne Frist anböten. Die USA haben erst kürzlich beschlossen, in den kommenden sechs Jahren bis zu 600.000 ausländischen Spezialisten zusätzlich die Arbeit im eigenen Land zu ermöglichen. Schon in Europa wird derzeit nach Branchenschätzungen eine halbe Million Softwareentwickler und Netzwerkspezialisten gesucht. In drei Jahren soll das Dezifit schon bei mehr als zwei Millionen liegen.

Deutschland müsse mit einer Bildungsoffensive antworten, forderte Jung. Der neue Bildungsfonds müsste mindestens mit einer Milliarde DM ausgestattet sein. Gerade 6600 Informatik-Absolventen jährlich reichten bei weitem nicht aus, um die Löcher zu stopfen. Auf Jahre hinaus werde einen riesigen Bedarf an jungen Nachwuchskräften geben, vor allem auch im Mittelstand. Die Unternehmen hätten keine Überlebenschance, wenn sie sich nicht auf die neuen Informationstechnologien einstellten. Die Schulen müssten sich den neuen Anforderungen anpassen. Nicht nur der Lehrer müsse seinen PC steuerlich absetzen können, sondern auch die Eltern die Anschaffung eines PCs für ihre Sprösslinge. "Das Laptop muss für jeden Schüler zum alltäglichen Gebrauchsgegenstand werden." (Birthe Blechschmidt, dpa)/ (cp)