IT-Branchenverband pocht auf Lockerung des Kündigungsschutzes

Die schwarz-roten Koalitionspartner haben eine Verlängerung der Probezeit auf zwei Jahre ins Auge gefasst. Gewerkschaften schreien Foul, die Lobbyverbände der schnelllebigen Hightech-Wirtschaft sehen die Branche als Profiteur.

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Zwischen Union und SPD ist ein handfester Streit um Regelungen zur Lockerung des Kündigungsschutzes in der Koalitionsvereinbarung entbrannt. Die Bild am Sonntag überraschte mit der Meldung, dass sich die Regierungspartner in spe darauf verständigt hätten, eine bis zu zweijährige Probezeit zu ermöglichen. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Klaus Brandner, dementierte die angebliche bereits erfolgte Einigung zwar postwendend; das heikle Sozial- und Wirtschaftsthema steht aber mit im Kernpunkt der heißen Phase der Koalitionsvereinbarungen in dieser Woche. Die Vorstellungen von Sozial- und Christdemokraten liegen dabei noch weit auseinander: So hatte die Union im Wahlkampf etwa die Forderung aufgestellt, den Kündigungsschutz künftig auf Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern zu beschränken. Rot-Grün hatte hier die Grenze in der vergangenen Legislaturperiode auf 10 Beschäftigte im Fall von Neueinstellungen angehoben.

Geht es nach dem IT-Branchenverband Bitkom, würde die deutliche Verlängerung der Probezeit den Interessen der schnelllebigen Hightech-Industrie entgegen kommen. "Nur ein den Anforderungen des 21. Jahrhunderts angepasstes Arbeitsrecht kann Wachstumsimpulse schnell in Beschäftigung umsetzen", schreibt die Lobbyvereinigung in ihrem Strategiepapier "IT, Telekommunikation und neue Medien in Deutschland", das sich mit konkreten Handlungsempfehlungen an die Politik wendet. "Die deutsche IT-Branche braucht daher ein innovatives Arbeitsrecht, das modernen Arbeitsformen und Arbeitszeitmodellen den notwendigen Raum gibt." Als erster Schritt sei dafür eine weitgehende Deregulierung des arbeitsrechtlichen Status quo erforderlich, befindet der Verband. Seine konkrete Forderung: "Der Anspruch auf Teilzeitarbeit sollte abgeschafft und die Wartezeit bis zum Beginn des Kündigungsschutzes von derzeit sechs Monaten deutlich verlängert werden."

Eine solche Deregulierung träfe nach Ansicht der Gewerkschaft ver.di allerdings wieder einmal nur die sozial Schwachen. "Angesichts der gegenwärtig schon an 'Hire & Fire' erinnernden Praxis im IT-Bereich bestünde zumindest die Chance, erst nach zwei Jahren statt schon nach sechs Monaten rausgeschmissen zu werden", lautet der ironische Teil der Antwort der Arbeitervertretung auf den Koalitionsvorschlag. Generell lehnt ver.di aber "jeden weiteren Angriff auf den Kündigungsschutz ab", heißt es beim Landesbezirk Berlin-Brandenburg. Die Bemühungen der Branche seien "auch aus unternehmerischer Sicht dumm", da gerade bei den dort vorherrschenden wenig trivialen Aufgaben der Erfolg der Tätigkeit vom sozialen Frieden und dem Aufbau verlässlicher Stammbelegschaften abhänge. Die ganze neue Diskussion sei daher nur unter dem Stichwort des allgemeinen Sozialabbaus einzuordnen.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbundes (DGB) warnt bei Verwirklichung der Unionspläne zur Lockerung des Kündigungsschutzes vor einer drastischen Verschlechterung für die Arbeitnehmer. Der mit der SPD diskutierte Vorschlag würde die Probezeit "ad absurdum" führen, fürchtet eine DGB-Sprecherin. Einige Arbeitgeber dürften nach Ansicht des DGB die Regelung ausnutzten, um den Kündigungsschutz gänzlich zu umgehen und jeden Job nach spätestens zwei Jahren kündigen.

Einen pragmatischeren Ansatz fordern Vertreter der ehemaligen "New Economy". "Durch die Möglichkeit, befristete Arbeitsverträge von maximal zwei Jahren zu schließen, bedeutet eine Verlängerung der Probezeit von sechs auf 24 Monate keine wesentliche Veränderung der Situation", verweist Matthias Schrader, Vorstandsvorsitzender des E-Business-Anbieters sinnerschrader in Hamburg, auf bereits bestehende Möglichkeiten zur Umgehung langer Kündigungsfristen. Wesentlich wichtiger für die Dienstleister sei eine höhere Rechtssicherheit bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, was beispielsweise durch eine veränderte Auftragslage notwendig sein könnte. Hier führe die gegenwärtige Lage "automatisch zur Erhöhung unseres Anteils an freien Mitarbeitern (Freelancern) und damit gesamtwirtschaftlich zum Abschmelzen von sozialversicherten Arbeitsplätzen." Sprecher großer Online-Auktionsfirmen und Internet-Anbieter wollten gegenüber heise online keine Stellungnahme über ihre Vorstellungen zur debattierten Probezeit-Ausweitung abgeben. (Stefan Krempl) / (jk)