IT-Gipfel: Erfolg mit Schönheitsfehlern

Bundesregierung, Wissenschaftler und Vertreter der ITK-Branche feiern den zweiten nationalen IT-Gipfel in Hannover als Erfolg. Doch vor allem in Detailfragen gibt es noch Differenzen, und auch von der Opposition kommt Kritik.

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Der Standort Deutschland soll im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) auch international eine führende Rolle spielen und diese in Zukunft behaupten. Zumindest darin waren sich die rund 400 Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik auf dem zweiten nationalen IT-Gipfel heute in Hannover einig. "IKT made in Germany" soll zu einem Markenzeichen werden, das für "hochinnovative, weltweit wettbewerbsfähige, sichere und effiziente sowie umweltfreundliche und nachhaltige Produkte und Anwendungen" steht, fassten die Teilnehmer ihre Ergebnisse in der "Hannoverschen Erklärung" (PDF-Datei) zusammen, dem Abschlussdokument des Gipfels.

Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, den Ministern Wolfgang Schäuble (Inneres), Michael Glos (Wirtschaft) und Brigitte Zypries (Justiz) sowie den Chefs großer Unternehmen und Verbände war das Treffen in der niedersächsischen Landeshauptstadt hochkarätig besetzt. Die Teilnehmer unterstrichen in ihrer Abschlusserklärung die Bedeutung der ITK-Industrie für den Standort und sprachen sich für die Fortsetzung des mit dem Potsdamer Gipfel im vergangenen Dezember eingeleiteten Prozesses aus. In Arbeitsgruppen hatten sich zuvor die Fachleute hinter verschlossenen Türen über die seit Potsdam erreichten Ziele und das weitere Vorgehen ausgetauscht.

Sowohl der Branchenverband Bitkom als auch die Regierungsvertreter hatten schon vor dem Ende der Veranstaltung von einem erfolgreichen Gipfel gesprochen. Doch der demonstrativen Harmonie zum Trotz gehen die Vorstellungen von Wirtschaft und Politik bei einigen Kernfragen des Gipfels noch auseinander. Die Bundesregierung sieht bei der Fachkräfteausbildung und der Nachwuchsförderung vor allem die Wirtschaft in der Verantwortung. So erteilten Merkel und Glos den Forderungen der Industrie nach niedrigeren Hürden bei der Einwanderung von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern eine Absage. Stattdessen sollten zuerst heimische Arbeitskräfte qualifiziert werden. Dafür kündigte die Bundesregierung eine "Qualifizierungsinitiative für Deutschland" an, die unter Federführung von Bundesforschungsministerin Annette Schavan noch in diesem Jahr starten soll.

Trotz der klaren Priorität auf Qualifizierung eigener Potenziale wollten die Regierungsvertreter die Tür in der Zuwanderungsfrage noch nicht ganz zuschlagen. Man habe sich langsam angenähert, erklärte Merkel und stellte in Aussicht, in der Fachkräftefrage weiter "Hand in Hand" mit Industrie und Wissenschaft arbeiten zu wollen. Im Abschlussdokument heißt es dazu lediglich, die Bundesregierung wolle ein "Konzept für eine arbeitsmarktadäquate Steuerung der Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte entwickeln, das den Interessen Deutschlands auch in der nächsten Dekade Rechnung trägt". In der "Hannoverschen Erklärung" ist als konkrete Maßnahme gegen den Fachkräftemangel unter anderem die Initiative "IT 50 plus" genannt, mit der ältere Arbeitnehmer qualifiziert werden sollen. Zudem sollen verstärkt Frauen für IT-Studiengänge- und -Berufe gewonnen werden. Für die Bundeskanzlerin stellt sich angesichts dieses erklärten Ziels auch die Frage nach der verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Hinsichtlich der von Merkel und den Gipfelteilnehmern unterstrichenen Bedeutung des Infrastrukturausbaus im Netzbereich sprach sich Telekom-Chef Rene Obermann für weniger sektorspezifische Regulierung aus und forderte stattdessen eine Regulierungspolitik, die den Wettbewerb der Infrastrukturen fördere. Den Plänen für eine Superregulierungsbehörde auf EU-Ebene, wie sie in Brüssel befürwortet wird, erteilte auch der Wirtschaftsminister erneut eine Absage. Glos sprach sich für mehr Kooperation der nationalen Regulierer aus.

Eines der sichtbarsten Ergebnisse seit dem ersten Gipfeltreffen in Potsdam ist die jüngst vom Kabinett beschlossene neue Position des IT-Beauftragen des Bundes. Merkel kündigte an, Innen-Staatssekretär Hans Bernhard Beus werde ab 1. Januar 2008 die Rolle des sogenannten "Bundes-CIO" bekleiden. Beus soll vor allem die IT-Modernisierung der Verwaltungen in Bund, Ländern und Kommunen koordinieren. Die Branche, die eine zentrale Figur für die IT-Fragen des Bundes stets gefordert hatte, kritisierte allerdings die Ausgestaltung des Postens.

Trotz der Differenzen im Detail zogen die Beteiligten ein weitgehend positives Fazit des Gipfels. Für Bitkom-Chef August-Wilhelm Scheer ist der zweite Gipfel ein Meilenstein, an dem die bisherigen Fortschritte eines langen Prozesses überprüft und diskutiert werden könnten. Scheer begrüßte daher die Ankündigung Merkels, den Gipfel im kommenden Jahr – dann voraussichtlich in Darmstadt – zu wiederholen. Auch Innenminister Schäuble sieht in der jährlichen Zusammenkunft "Meilensteine für den Fortschritt". Für Telekom-Chef Obermann geht von dem IT-Gipfel eine Signalwirkung für ein Thema von "höchster Bedeutung" aus. "Der Gipfel stimuliert das Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft", resümierte Infineon-Chef Wolfgang Ziebart.

Kritik am Gipfel äußerte dagegen die medienpolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen im Bundestag, Grietje Bettin. Sie vermisst vor allem eine Beteiligung der Zivilgesellschaft. Zudem würden "gerade die kleinen und mittelständigen Unternehmen" für Innovationen im IT-Bereich sorgen, "aber nicht ausreichend berücksichtigt. Mit ihrer Einladungspolitik hat die Bundesregierung wieder einmal offenbart, dass ihr erstes Ziel die Förderung nationaler Champions ist." Bettin begrüßte die Teilnahme des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar, das dürfe aber nicht nur Kosmetik sein. "Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung den Datenschutz durch Online-Durchsuchungen und Vorratsdatenspeicherung massiv unterhöhlt und Herrn Schaar zum IT-Gipfel einlädt, um gute Miene zum bösen Schein zu machen."

Siehe zum zweiten IT-Gipfel der Bundesregierung auch:

Zum ersten IT-Gipfel siehe auch: