Im Mobilfunk-Musterland Schweiz wächst Widerstand gegen 5G-Ausbau
Die Schweiz drückt beim 5G-Ausbau aufs Tempo. Dabei sind die Grenzwerte für Mobilfunkstrahlung zehn Mal schärfer als anderswo. Das wird nun zum Problem.
Die fünfte Mobilfunkgeneration 5G mit ultraschnellen Datenverbindungen kann man in Deutschland bislang nur an einigen Orten ausprobieren. Sieben Monate nach dem Ende der Frequenzauktion muss man schon gezielt 5G-Hotspots wie den Berliner Technologiepark Adlershof ansteuern, um in einem 5G-Netz zu funken. In der Schweiz ist das anders.
Das Alpenland ist bei dem neuen Mobilfunkstandard allen Europäern und fast dem ganzen Rest der Welt um Längen voraus. "Die Schweiz hat nach den USA die höchste Anzahl von 5G-Standorten", sagt Garrett Snyder von der US-Firma Ookla, die eine interaktive Weltkarte mit 5G-Standorten veröffentlicht.
Vorsprung trotz strengerer Grenzwerte
Und das, obwohl die Schweiz teils zehnmal schärfere Grenzwerte für die Mobilfunkstrahlung hat als Deutschland und die meisten anderen Länder. Zwar gelten hier wie dort für Mobilfunksendeanlagen Immissionsgrenzwerte von bis zu 61 Volt pro Meter. Zusätzlich hat die Schweiz aber Grenzwerte für Anlagen in der Nähe von Wohnungen, Schulen, Krankenhäusern, Arbeits- und Spielplätzen. Dort gelten höchstens 6 Volt pro Meter. In den Städten sind die meisten Anlagen deshalb bereits am Limit. Ein Ausbau ist dort nicht mehr möglich.
Deshalb fürchten Wirtschaft und Telekomverband (Asut) um den Spitzenplatz. Sie verlangen eine Lockerung der strengen Grenzwerte – während gleichzeitig aus Furcht vor mehr Strahlung der Widerstand gegen neue Antennen wächst. Einige Kantone in der Westschweiz haben schon ein Moratorium gegen den Bau weiterer 5G-Antennen erlassen. Am Protesttag gegen 5G demonstrierten Ende Januar laut Verein "Schutz vor Strahlung" in 16 Städten 2000 Leute.
Wenn die Grenzwerte nicht kippen, sei Schluss mit Musterländle, meint der Industrieverband Economiesuisse: "Wenn in der Schweiz kein Netz zur Verfügung steht, werden neue Produkte, Dienstleistungen und Innovationen an einem anderen Ort entstehen." Wenn die Grenzwerte bleiben, seien zu den 26.000 jetzigen Antennenstandorten gut 12.300 weitere nötig, hat eine Arbeitsgruppe des Umweltministeriums errechnet. Der Zeitbedarf für den Bau? "20 bis 30 Jahre." Das Netz könne aber mit vorhandenen Standorten international konkurrenzfähig ausgebaut werden, wenn der Grenzwert pro Anbieter auf 11 oder für eine Anlage auf 20 Volt pro Meter erhöht werde.
Kritiker fordern Zustimmung der Anwohner
Das ist eine Horrorvorstellung für die Kritiker. Jeder zehnte Bürger habe Symptome einer Elektrosensibilität, die sich durch Erschöpfung, Schlafstörungen, Herzbeschwerden oder Muskelverspannungen bemerkbar machen könne, behauptet die Bürgerinitiative, die eine Volksabstimmung "für einen gesundheitsverträglichen und stromsparenden Mobilfunk" will. Viele Auflagen sollten verschärft werden, meint sie. So sollen Firmen bei der Planung von neuen Anlagen oder der Erhöhung der Leistung bestehender Anlagen künftig die schriftliche Einwilligung der Menschen brauchen, die im Umkreis von 400 Metern wohnen.
Die beiden größten Schweizer Anbieter, Platzhirsch Swisscom mit einem Marktanteil von rund 60 Prozent am Mobilfunk und Sunrise mit etwa 26 Prozent, preschen mit ihren 5G-Ausbau dennoch erstmal unbeirrt voran. Swisscom spricht von 320 5G-Standorten, Sunrise von 384.
Wieso haben die Schweizer im Vergleich zu Deutschland bei 5G die Nase so weit vorn? Zum einen wegen der frühen und fairen Lizenzvergabe, sagt ein Branchenkenner. Nach der Versteigerung Anfang Februar 2019 begann der Betrieb im April. Da war in Deutschland gerade erst die Auktion gestartet. Zudem sei die Regierung nicht Milliardengewinnen nachgejagt. Die Versteigerung spülte ihr pro Kopf der Bevölkerung etwa halb so viel in die Staatskassen wie in Deutschland. "Wenn Betreiber astronomische Beträge für die Lizenzen hinlegen müssen, bleibt weniger Geld für den Netzausbau", sagt der Branchenkenner.
Hohe Ansprüche der Nutzer
Zum anderen geben die Schweizer so viel Geld wie kaum ein anderes Land für Informations- und Kommunikationstechnik aus, verlangen dafür aber auch die besten Netze und neuesten Standards. Das fordert die Anbieter. "In anderen Märkten reagieren Konsumenten stärker auf Preisunterschiede", sagt Sunrise-Sprecher Rolf Ziebold.
Das 5G-Netz soll viel mehr Bandbreite, größere Übertragungsraten und kürzere Reaktionszeiten möglich machen. Das über Mobilfunknetze transportierte Datenvolumen verdoppelt sich nach Branchenschätzungen etwa alle 18 Monate. "Es wird in drei, vier Jahren Anwendungen geben, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können", meint Swisscom-Sprecher Armin Schädeli.
Die deutsche Stiftung Warentest unterzog die Argumente der 5G-Kritiker im Herbst einem Faktencheck. Fazit: Nach aktuellem Stand der Forschung "besteht kaum Grund zur Sorge", dass Handystrahlung Krebs verursache oder Spermien schade. Auch durch den 5G-Ausbau seien keine großen Veränderungen zu erwarten. Wer sich davon nicht beruhigen lässt, kann die Strahlenbelastung mit einigen simplen Methoden reduzieren. So helfe es, beim mobilen Telefonieren Abstand zu halten. Bereits wenige Zentimeter Sicherheitsabstand zwischen Ohr und Handy senken demnach die Strahlenbelastung deutlich. Deshalb empfehlen die Warentester ein Headset oder eine Freisprechanlage. (mho)